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nmz 2001/12 | nur Internet
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Kulturpolitik
Rede von Prof. Dr. Ingo Zimmermann, Präsident des Sächsischen Musikrates e.V.,
anlässlich der 2. Sächsischen Kulturraumkonferenz am 7. November 2001 im Sächsischen Landtag
Herbert Wehner meinte einmal, die Wähler legitimierten mit ihrer Stimme die Politiker für all jene
Taten, die nach den Wahlen gegen sie unternommen würden. Die Vertreter der Kultur, mit denen vor Wahlen
gemeinhin ein pfleglicher Umgang gesucht wird, bekommen nachher aus dem Munde von Politikern schon mal Qualitätsurteile
über Kunst und Kultur und Belehrungen über nötige Etatkürzungen zu hören, dass sie
sich die Augen reiben. Wer z. B. als Politiker die Auffassung vertritt, Kultur sei ein Minderheitenthema, wird
die Vertreter der Kultur ohnehin nur als Lobbyisten, als Verteidiger ihrer eigenen und eher schiefen Interessenlage
ansehen. Eine soziale Kulturgesellschaft - ist das noch eine verbindliche Leitvorstellung?
Der Mensch sei von Natur aus ein Kulturwesen, sagte Arnold Gehlen. Er ist Schöpfer und Geschöpf von
Kultur. So hat es noch nie eine Kultur ohne Musik und Gesang gegeben. Musik durchtönt die Persona, sagt
der Musikpädagoge Hans Günther Bastian. Mithin erscheint es schlechterdings unsinnig, von der Kultur
als Luxus der Gesellschaft zu reden, Sahnehäubchen im Alltag, schöne, aber nicht notwendige Zugabe
zum wirklichen Leben, unter dem dann gewöhnlich das Wirtschaftsleben verstanden wird.
Als wir in den Jahren nach der Wende in Sachsen den Kulturraum-Gedanken entwickelten - ich spreche davon als
einer derjenigen, die im November 1992 die Interparlamentarische Arbeitsgruppe bildeten, mit Matthias Theodor
Vogt, in der die geistige Vorarbeit für das Zustandekommen dieses Gesetzes geleistet wurde - fühlten
wir uns von der Aufgabe in die Pflicht genommen, zur Erneuerung unseres Freistaates die unerlässliche geistige
Erneuerung eben dadurch voranzubringen, dass eine freie Entfaltung des Kulturlebens in Sachsen gesichert würde.
Die Bevölkerung unseres Landes hatte sich in der friedlichen Re-volution, die von Leipzig und Dresden
ausgegangen war, ihr Selbstbestimmungsrecht zurückerkämpft. Wir sind das Volk." Und das
hieß doch auch: Wir sind das Volk mit der Kultur, wie sie im Ursprungsland der lutherischen Reformation
über die Jahrhunderte gewachsen ist und einer Parteidoktrin zuliebe reglementiert und verfremdet wurde.
Die Menschen, die sich in kirchlichen Gruppen, privaten Zirkeln und ideenverpflichteten Gemeinschaften dem real-sozialistischen
Kulturdirigismus entzogen und widersetzt hatten, waren gleichsam die Träger und Bürgen unserer wahren
Kulturtradition. Dass diese Kultur ein Lebenselement in Sachsen ge-blieben war, zeigte sich auch sogleich im
Neubeginn des Vereinslebens, an der Vielzahl der Menschen, die in Sachsen durch ihre aktive Mitarbeit in Vereinen,
Verbänden, Ensembles und Kantoreien zu einer neuen Blüte des Kulturlebens beitrugen, von der wir heute
sprechen dürfen. Das ist Gott sei Dank kein Minderheitenthema, wenigstens in Sachsen nicht.
Wir haben deshalb, wie ich meine, 1993 mit dem Kulturraumgesetz auch einen ideellen Auftrag der friedlichen
Revolution erfüllt, auf gut sächsische Weise, mit einem eigenen Gesetz für unser Land, das keinem
Vorbild in der Gesetzgebung der alten Bundesländer folgte und ein sächsisches Eigengewächs war.
Ich habe in der Aussprache zur 2. Lesung des Kulturraumgesetzes 1993 im Sächsischen Landtag gesagt: Wir
wollen... den Raum der gestalterischen Freiheit, einen menschlichen Lebensraum, der diese Freiheit braucht,
sichern und durch dieses Kulturraumgesetz ermöglichen."
Wie es immer mit etwas Neuem ist, das sich auf keine Vorbilder berufen kann: wir mussten Erfahrungen sammeln.
Auch ich hatte damals meine Bedenken. Würden die Entscheidungsgremien in den Kulturräumen zu einer
konstruktiven Praxis finden? Würden die Sitzgemeinden kultureller Institutionen die ihnen vom Gesetz zugemutete
angemessene Beteiligung an den Kosten aufbringen? Würde die zur kommunalen Pflichtaufgabe erhobene Kulturpflege
nicht zu sehr auf freiwillige Aufgaben drücken und die neue Pflicht zur ungeliebten Angelegenheit werden
lassen?
Die Erfahrungen mit dem Kulturraumgesetz aus den zurückliegenden Jahren sind überwiegend dergestalt,
dass wir heute von einer Fortschreibung dieses Gesetzes über den bisherigen Geltungszeitraum hinaus ausgehen
können. Auch das Eckpunktepapier des Staatsministeriums der Finanzen vom Herbst dieses Jahres 2001 geht
davon aus. Es dämpft freilich die Erwartungen der Vertreter der Kultur, das Land werde sich angesichts
der existentiellen Bedeutung der Kultur endlich den erforderlichen finanziellen Ruck geben. In dem Eckpunktepapier
heißt es: Die Kulturförderung kann aus den genannten Gründen von Anpassungsmaßnahmen
des Gesamthaushaltes unter Beibehaltung ihrer prioritären Stellung infolge der Degression
und Befristung der Solidarpaktkomponenten nicht ausgenommen werden, sondern ist proportional an der rückläufigen
Entwicklung der disponiblen Mittel bei Land und Kommunen zu beteiligen."
Kein leichtes Deutsch. Die Kulturförderung wird also an der rückläufigen Entwicklung der finanziellen
Mittel beteiligt. Beteiligt zu werden, ist ja auch eine Ehre. In diesem Fall eine mehr als zweifelhafte.
Ich ziehe die redliche Gesinnung der Finanzverantwortlichen in unserem Land nicht in Zweifel. Sie handeln nach
bestem Ermessen aus ihrer Sicht. Aber das Geld ist nicht das Sakrament unseres gesellschaftlichen Heils. Und
die finanzpolitische Sicht darf in Fragen der Kultur uns nicht den Blick auf das Wesentliche ver-stellen.
Kultur, wie alles Lebendige, unterliegt einem ständigen Veränderungsprozess. Auch unser Kulturbegriff
verändert sich. Er öffnet sich mehr und mehr. Wir begreifen Dinge als kulturell wertvoll, die man
vor Jahren noch nicht unter dem Kulturbegriff erfasst hätte. Das heißt, der Rahmen öffentlicher
Verantwortung und Unterstützung für Erscheinungsformen des kulturellen Lebens kann nicht ein für
allemal feststehen.
In unserer Kulturszene nimmt deutlich der Trend zum Event zu. Ver-anstaltungen mit außergewöhnlichem
und singulärem Charakter werben um die Aufmerksamkeit des großen Publikums. Solche kulturellen, künstlerischen
Events sind gewöhnlich nicht ohne Sponsoring machbar. Hier tritt eine quasi privat finanzierte Form von
kulturellen Ereignissen in Erscheinung, die etwas Blendendes hat und ihren Reiz nicht verfehlt, gerade nicht
bei den öffentlichen Sparpolitikern. Ich lasse einmal beiseite, dass es sich oftmals um nur kaschierte
Formen von Mischfinanzierung handelt. Aber es tritt eben eine gewisse Veränderung in der Einstellung zu
den traditio-nellen Kulturangeboten ein. Durch das Eventangebot können eigene Vorlieben leichter befriedigt
werden, und Kulturansprüche werden scheinbar erfüllt, ohne dass öffentliche Mittel dafür
in Anspruch genommen werden.
Mir ist natürlich klar, dass diese Tendenzen der Eventkultur mit Entwicklungen in den gesellschaftlichen
Bedürfnissen zusammenhängen, mit Veränderungen im Freizeitverhalten und mit der an-wachsenden
Bedeutung des medialen Angebots. Und ich sehe in dem Eventangebot auch überhaupt nichts Verwerfliches,
wenn wir uns dadurch das Bewusstsein nicht trüben lassen, dass der Weg unserer Kultur nicht der Weg zu
einer Eventkultur sein kann und darf. Museen, Theater, Bibliotheken, Orchester und Musikschulen müssen
Aufgabe der öffentlichen Pflege und Erhaltung im Sinne einer sozialen Kulturgesellschaft bleiben. Und wer
hier an eine Privatisierung, in welcher Form auch immer, denkt, betreibt letztlich eine Politik des kulturellen
Kahlschlages. Eine solche Politik griffe an die Wurzeln unseres kulturellen Lebensverständnisses und müsste
zu einem unheilbaren Bruch mit unseren besten Traditionen führen.
Damit bin ich wieder bei den vernünftigen Gründen für die Weiter-entwicklung unseres sächsischen
Kulturraumgesetzes. Wir werden für die Fortschreibung gewiss Präzisierungen im Gesetz benötigen.
Dazu Vorschläge zu unterbreiten, sehe ich hier nicht als Aufgabe meiner Stellungnahme an. Ich möchte
nur zum Ausdruck bringen, dass wir und damit spreche ich für die Landeskulturverbände in Sachsen
nicht mit einer Schrumpfung des Kulturraumgesetzes zu einem reinen Theater- und Orchestergesetz einverstanden
wären. Mit der im geltendem Gesetz geregelten Kulturpflege als Pflichtaufgabe der Gemeinden und Landkreise
und der daraus resultierenden finanziellen Verpflichtung des Freistaates wurde ein Teil der Kulturfinanzierung
in Sachsen haushaltsrechtlich als öffent-liche Pflichtaufgabe ausgewiesen. Dadurch wurde unseren kulturellen
Einrichtungen staatlicher Schutz gewährt. Dieses Solidarprinzip zur gemeinsamen Erhaltung und Förderung
der Kultur von Land und Kommunen gilt es zu verteidigen.
Die Landeskulturverbände von Bibliotheken, Bildender Kunst, Darstellender Kunst, Literatur, Film, Theater
und Soziokultur sind für eine Fortführung des Gesetzes auf der Basis des geltenden Ausgleichs- und
Solidarprinzips unter Einbeziehung aller Kultursparten. Die Verbände repräsentieren nicht ihre Sparten
allein, sondern auch ein erhebliches Praxisfeld das von Neuregelungen im Kulturraumgesetz unmittelbar betroffen
ist.
So vertritt mein Verband, der Sächsische Musikrat, als Dachverband die Interessen von 42 am sächsischen
Musikleben beteiligten Landesverbänden, Institutionen, Einrichtungen und überregional tätigen
Vereinen in den Bereichen des professionellen und des Amateurmusizierens. Er vertritt damit ca. 150.000 Bürgerinnen
und Bürger in 2.200 vokalen und instrumentalen Vereinen und Einrichtungen in den sächsischen Städten
und Gemeinden.
Wir, die Landeskulturverbände insgesamt, halten eine wirksame Beteiligung der Kulturverbände am
Zustandekommen der gesetzlichen Neuregelung aus Kompetenzgründen für geboten. Uns erscheint auch eine
deutlichere Aussage zur ausgewogenen und angemessenen Förderung der verschiedenen Sparten im künftigen
Gesetzestext als wünschenswert. Eine genauere Definition des Begriffs der regionalen Bedeutsamkeit
von Projekten", die wir für notwendig erachten, sollte spartenspezifisch erfolgen und nicht pauschal.
Die Interessen und Probleme freier Träger sind besonders zu berücksichtigen. Wir treten auch dafür
ein, die Fachbeiräte verbindlich in die Konventsentscheidungen einzubeziehen und die Beschlüsse der
Konvente für die Öffentlichkeit besser nachvollziehbar zu machen.
Wir alle wissen, dass die bisher vorhandenen finanziellen Mittel künftig nicht zur Erfüllung der
Aufgaben ausreichen werden. Deshalb unsere dringliche Mahnung an die Politiker, Kultur nicht als Haushaltslast
und Konsumfrage mit falschen Wertvorstellungen zu versehen, sondern sie als Investitionsgröße für
die Zukunft der Region Sachsen in Europa zu behandeln. Eben deshalb halten wir übrigens auch eine Befristung
des neu zu fassenden Kulturraumgesetzes nicht für sinnvoll. Strukturpolitische Entscheidungen zielen auf
Langzeitwirkungen. Zeitliche Offenheit brächte den politischen Willen zu dauerhafter Stabilisierung regionaler
Kultur klar zum Ausdruck.
Die Zukunft unserer Kultur wird aus unserer Imagination, unserer schöpferischen Vorstellungskraft miterschaffen.
Ich vertraue auf die Zukunft unserer Kultur als Zeugnis des schöpferischen Menschengeistes, der Würde
und Kreativität des selbstbewussten Individuums. Leisten wir mit der Erneuerung unseres sächsischen
Kulturraumgesetzes dazu einen guten Dienst.