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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 38
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Jazz, Rock, Pop
Wie der Jazz auf den Elch gekommen ist
Das 38. Jazzfest Berlin präsentierte Skandinaviens Jazzszene
Es war die Idee von Joachim Sartorius, neuer Chef der Berliner Festspiele, nach der mehrjährigen Ägide
unter Albert Mangelsdorff in Zukunft jährlich einen neuen künstlerischen Leiter fürs Jazzfest
zu nominieren. Er beauftragte Nils Landgren unter dem Titel Northern Jazzposure für fünf
Tage Musiker aus Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark und Island aufs Jazzfest Berlin einzuladen. Der
schwedische Posaunist holte die Stars, aber auch die Newcomer der skandinavischen Szene und das Publikum strömte.
Im Programmheft fanden sich viele unbekannte Namen, und man konnte manche Entdeckung machen wenn man
seine afroamerikanisch-zentrierte Brille absetzte.
So weit so gut. Trotz einiger Aha-Erlebnisse beschlich einen nach einiger Zeit auch ein Gefühl der Enge:
Fünf Tage Skandinavien passiert sonst nichts in der Welt? Auch wenn das Festival in sich stimmig
war, das Konzept eines Themenfestivals für die beiden nächsten Jahre sind die Schwerpunkte
Chicago und Südafrika im Gespräch scheint in dieser hermetischen Form nicht zukunftsträchtig.
Gewisse Inkonsequenzen wirkten dann auch erfrischend: Roy Hargrove stammt gewiss nicht aus dem hohen Norden
und Max Roach brachte mit seinem Bejing Quartett Bewegung ins skandinavische Allerlei.
Leiter auf Zeit: Nils Landgren.
Foto: Rolf Kißling
Zu den Glanzpunkten des Festivals zählte der Auftritt des deutsch-französischen Jazz-Ensembles von
Albert Mangelsdorff und Jean-Rémy Guedon. Mangelsdorff hatte als ehemaliger künstlerischer Leiter
von Nachfolger Nils Landgren eine Carte Blanche für einen Auftritt erhalten und es war sein expliziter
Wunsch, mit dem von ihm seit vielen Jahren betreuten deutsch-französischen Jazz-Ensemble zu arbeiten. Bemerkenswert
auch die erstmals ins Programm eingebettete Verleihung des Deutschen Jazzpreises, den die Union Deutscher Jazzmusiker
(UDJ) und die GEMA-Stiftung dieses Jahr an Wolfgang Schlüter vergab. Die übliche Hölzernheit
derartiger Anlässe kam nicht auf: Siegfried Schmidt-Josts Laudatio zeichnete sich durch Knappheit aus und
ließ dem Vibraphonisten Raum für ein ausgiebiges und überhaupt nicht nostalgisches
Konzert mit seinem Weggefährten Michael Naura.
Beispiele für ihre Innovationsfreudigkeit gaben die skandinavischen Musiker weniger im gediegenen Ambiente
des Hauses der Berliner Festspiele, sondern beispielsweise im Tränenpalast, einer Clubdisco am Reichstagsufer.
Hier spielten die Norweger Nils Petter Molvaer, Bugge Wesseltoft und der Schwede Goran Kajfes mit ihren jeweiligen
Bands zum Tanz auf. DJs, Turntables und Samplings waren stets inklusive und wenn wie bei Goran Kajfes
geschehen in ihrer Musik starke Bezüge zu Herbie Hancock, Miles Davis oder Joe Zawinul auftauchten,
dann leuchteten nicht nur die Augen der Zuhörer unter 20.
Neues, Experimentelles, Spartenüberschreitendes fehlte: Wo war zum Beispiel das finnische Oscar H.O.T.
Quartett, das Standards ganz neue Qualitäten abzugewinnen vermag, wo war der Gitarrist Raoul Björkenheim,
für den Jazz, Rock und Neue Musik zusammengehören. So ähnelte die Struktur des Jazzfests unter
dem Elch doch wieder der vieler anderer: hier etwas gepflegter Barjazz, dort ein bisschen Jazz mit Turntables
für die Jungen, viel Big-Band-Formationen in bester Jazzfest-Tradition und als Highlights amerikanische
Stars.
Für die nächsten Jahre wird sich am Konzept wohl nichts Gundlegendes ändern. Was deshalb zählen
wird, sind die feinen Unterschiede, letztlich die Persönlichkeit des jeweiligen Leiters. Die Vorbereitungen
für 2002 sind bereits in vollem Gange: John Corbett wird künstlerischer Leiter des 39. Jazzfestes
Berlin sein. Der 38-jährige Chicagoer Jazzwissenschaftler, -publizist und -veranstalter will dann schwerpunktmäßig
Musiker aus Chicago nach Berlin bringen. Auch die Ausdehnung des Festivals auf die Clubszene, die in diesem
Jahr vor allem Publikumszuwachs an jungen Leuten brachte, will Corbett beibehalten.