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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 38
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Jazz, Rock, Pop
Musik von den Rändern der Ozeane
32. Deutsches Jazzfestival Frankfurt erinnerte an Charles Mingus
Zufrieden nuckelt er auf dem Plakat zum 32. Deutschen Jazzfestival Frankfurt an einem Zigarrenstummel, und
auch der Sonnenhut signalisiert, dass es sich bei dem Mann, der den Kontrabass an die linke Schulter gelehnt
hat, wohl um einen gemütlichen älteren Herren handeln muss, der keiner Fliege was zu Leide tun kann.
Denkste. Charles Mingus hatte den Ruf eines Cholerikers, eines Berserkers weg aber wenigstens führte
die Aggression, die er auslebte, zu etwas Konstruktivem. Seine Mitmusiker hat er öfters ohne Rücksicht
öffentlich beschimpft und gedemütigt, und die Musik brach er auf der Bühne schon mal radikal
ab, wenn sie nicht so funktionierte, wie er es sich vorstellte.
Beim Auftakt-Konzert in Frankfurt hätte der 1979 verstorbene Mingus vermutlich nicht lange gewartet, bis
er sein Veto in den Raum gebrüllt hätte. Der große Gunther Schuller dirigierte die sonst eigentlich
tugendhafte HR-Big Band. Der aber hörte man die vier Probentage so gut wie nie an. Saft- und kraftlos hangelte
sich der Rundfunk-Klangkörper durch das trickreich arrangierte Material. Von wegen: Erbarme! Die Hesse
komme! Wenigstens der Tenorsaxophonist Ernie Watts, der kurzfristig für Joe Lovano als Solist eingestiegen
war, überzeugte mit beseeltem Spiel. Auch der zweite Mingus-Programmpunkt musste leider als Flop abgebucht
werden. Der Police-Gitarrist Andy Summers versucht sich am Jazz, seit er kein Geld mehr verdienen muss. Oft
bleibt es beim Versuch. Während seine beiden Mitmusiker, Ex-Stones- und Miles-Bassist Darryl Jones und
Trommelgranate Dennis Chambers meist agierten, als sei ihr Doughnutgeber gar nicht mit auf der Bühne, spielte
der pensionierte Bulle bekannte Mingus-Nummern mit einer Mischung aus Ungeschick und freudloser Sperrigkeit.
Der Saxophonist Heinz Sauer übernahm die Ehrenrettung. Er komponierte Material, das vom Geiste Mingus
inspiriert war. Und wie. Brillant spielte er mit der Form und deren kunstvoller Auflösung.
Mingus thronte zwar über dem Deutschen Jazzfestival Frankfurt aber die Veranstaltung war eindeutig
seine: Helge Schneiders. Wochen im voraus war sein Konzert bereits ausverkauft (auch für die beiden anderen
Tage gab es schon lange vor der Veranstaltung keine Karten mehr).
Wer nun Katzeklo-Swing erwartete, wurde enttäuscht. Liebevoll und sehr zurückhaltend streute die
diesmal stumme Herrentorte musikalische Gags. Unvergessen bleibt das Fake-Panflötensolo am Synthie oder
die verjazzte Mondscheinsonate. Sonst aber hob sich der Fitze-Fatze-Philosoph seinen ziemlich eigenen Humor
meist für die Ansagen auf und blieb musikalisch ernsthaft. Mit Drummer Charly Antolini und Bassist Rocky
Knauer probte Helge den fliegenden, swingenden Wechsel zwischen Piano, Klarinette, Tenorsax, Trompete, Melodika,
Xylophon oder Rasseln. Respekt! Ansonsten in Frankfurt: der sagenhafte italienische Alt- und Sopransaxophonist
Stefano di Battista goss reichlich Herzblut ins Publikum, sein amerikanischer Kollege James Carter zeigte mit
seinem Gypsy-Programm, dass er gelernt hat, seine Ausbrüche etwas zu zügeln. KrashArea mit Elliott
Sharp (Gitarre, Tenorsax, Bassklarinette), David Krakauer (Klarinetten) und Rea Mochiach (Schlagzeug, Sampler)
präsentierte ein aufwühlendes Schock-Programm, das Noise-, Klezmer- und Jungle-Elemente fusionierte.
Der Norweger Trygve Seim bot ein fast meditatives Kontrast-Programm. Voller Würde, mit allen Tönungen
der Melancholie floss sein Different Rivers dahin. Ab und zu aber tauchten Stromschnellen auf. Vom
Fluss zum Meer. An den Rändern der Ozeane klaubt der Posaunist Steve Turré seit Jahrzehnten Muscheln
auf und wandelt sie in imposante Blasinstrumente um. Durch ein Latin- und Blues-gefärbtes Repertoire drangen
die Muschelklänge direkt in die Seelen der Zuhörer vor.