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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 20
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Rezensionen
Intensität und fragile Verletzlichkeit
Die britische Pop-Ikone Dusty Springfield auf einer neuen Mercury-Compilation
Mary Isabel Catherine Bernadette O Brien war Dusty Springfield (19391999). Und Dusty Springfield
war neben vielen anderem (Ikone der Schwulen- und Lesbenbewegung, späte Witzfigur der britischen Gossenpresse,
Diva im Mod-Look, die als White Negress gelobte, beste nicht-amerikanische Motown-Sängerin
etc.) vor allem eines: Die größte Sängerin des britischen Pop und nicht nur Referenzfigur des
Easy-Listening- und Lounge-Sounds, als die Dusty Springfield auf einer neuen Mercury-Compilation einer
gelungenen Auswahl ihrer Aufnahmen der Jahre 1966 bis 1970 begriffen wird.
Eine gewagte Behauptung? Nicht, wenn man die neuesten Wiederveröffentlichungen der vor knapp zwei Jahren
verstorbenen Sängerin hört. Bei Dusty. Definitely und From Dusty with Love
in den USA 1970 als A Brand New Me erschienen handelt es sich um die beiden Alben,
die das unbestrittene Meisterwerk von Dusty Springfield einrahmen: Dusty in Memphis, jenes legendäre
Motown-Blue-Eyed-Soul-Album, das vielen leider nur mehr wegen Son of a Preacher Man ein Begriff
ist.
Dusty. Definitely, aufgenommen 1968, bietet Springfield in ihrer ganzen, stilistisch verwirrenden
Bandbreite, kurz vor ihrem Trip nach Memphis. Ein Album, das mit dem von John Paul Jones (Ja, der von Led Zeppelin!)
produzierten Aint No Sun Since You ve Been Gone wie ein fetziges Stevie Wonder-Album
anfängt und mit Second Time Around (Sammy Cahn/ Jimmy Van Heusen) wie ein zu spät gekommenes
Big Band-Album im Sound von Peggy Lee, Frank Sinatra und Nelson Riddle endet. Ein stilistisch sehr uneinheitliches
Album also, irgendwo zwischen Motown-Groove, Easy-Listening und Cocktail-Swing, aber eines, das es in sich hat
und das auf unterschiedliche Weise bereits auf Dusty in Memphis verweist: Neben weiteren Motown-Nummern
wie Love Power und dem Irma Franklin-Janis Joplin-Cover Piece of My Heart, das bereits
1:1 nach dem subtilen Pop-Soul von Dusty in Memphis klingt, gab es mit dem grandiosen I Think
Its Gonna Rain Today erstmals auch Randy Newman zu hören, von dem Dusty Springfield in Memphis
gleich zwei Songs aufnehmen sollte. Über This Girls in Love With You erweist sich Dusty
Springfield als die nach Dionne Warwick größte Interpretin von Burt Bacharach und Hal David und deren
hoher Kunst der leichten Pop-Muse. Dass Dusty Springfield wie ein weiblich(-bisexueller) Frank Sinatra des Pop
zwar keine Songs schrieb, sie jedoch stets so interpretierte als ob sie den Song gelebt hätte, wird auch
bei dem Charles Aznavour-Cover Who (Will Take My Place) deutlich: Springfield verbindet hier Bossa
nova-Feeling mit einer Ausdrucksstärke, die zugleich den Eindruck größter Intensität und
fragiler Verletzlichkeit vermittelt. Cooles, jazziges Understatement zeichnet Spooky aus, einen
groovigen Dancefloor-Schlürfer, der als einer von vier Bonus-Tracks das Originalalbum ergänzt.
Das zweite wieder aufgelegte Album, From Dusty with Love, hätte analog zu Dusty in Memphis
auch Dusty in Philadelphia heißen können: Denn die 1970 in der City of brotherly
Love aufgenommene LP stellt nicht weniger dar als eines der ersten Alben im Philly-Sound der
70er: Raffiniert streichergetränkter Rokoko-Soul, aus dem sich später der Disco-Sound entwickeln sollte.
Die Architekten des Philly International Sound, der den Motown-Sound ablöste, sind auf From Dusty
with Love samt und sonders vertreten: Die späteren Starproduzenten Kenny Gamble und Leon Huff, von
denen sämtliche Songs stammen, Gitarrist Roland Chambers und Thom Bell als Arrangeure der Bläser-
und Streicher-Charts und Musiker, und eine Hausrhythmusgruppe, deren Sound aus pumpenden Bass-Grooves, flächigen
Wah-Wah-Gitarren und Hammond-Orgel den Philly-Sound der 70er so prägen sollte wie die Funk Brothers den
von Motown. Das Song-Writing auf From Dusty With Love erreicht zwar nicht das Niveau von Dusty
in Memphis, ist aber dennoch fast durchweg exzellent: Cover-Versionen von den Jackson Five
(Bad Case of the Blues) und Jerry Butler (Lost, Brand New Me), ein Silly,
Silly Fool, das von Aretha Franklin hätte stammen können, der Gospel-Pop von Lets
Talk It Over, das zerbrechliche, ohrwurmartige Let Me Get In Your Way. Bewährte oder
neue Songs, denen Dusty Springfield dank ihrer stimmlichen Wandlungsfähigkeit und interpretatorischen Tiefe
ein Leben einhauchte, das heute im Zeitalter der blassen, langweiligen Céline Dions und Mariah
Careys genauso trägt und bewegt wie Anfang der 70er-Jahre.