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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 17
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Rezensionen
EU-Musik
Vom Verhältnis des Pop zur Kompositionsmusik
In diesen Wochen ist die erste Klassik-DJ-Mix-CD erschienen, gemacht für so genannte Lounge-Clubs, die
urbanen Erholungszentren gut verdienender Angestellter und ihr Lifestyle-Entspannungsbedürfnis. Yellow
Lounge ist in Zusammenarbeit mit der Deutschen Grammophon entstanden. Klassik macht Laune. Und sie
ist gelb, heißts im Info. Und so geigt man sich durch die Hits von Fauré, Mozart, Grieg
und Glass, von Rachmaninoff bis Sibelius. Das Verhältnis Klassik und Pop wird einfach mit der Losung Klassik
ist Pop aufgelöst: Klassik braucht eine zeitgemäße Form der Inszenierung.
Gleichzeitig wirbt die Deutsche Grammophon im Magazin für Popkultur Spex für seine Christoph
Schlingensief trifft Richard Wagner- und Diedrich Diedrichsen trifft Arnold Schönberg-Editionen.
Im populären Bereich hängt Klassik-Kultur tatsächlich mal wieder in der Luft. Die Unterscheidung
zwischen E- und U-Musik hat sich im 21. Jahrhundert beileibe nicht erledigt. Nach wie vor funktioniert das gesamte
öffentliche Musikleben, von der Produktion bis zur Rezeption, streng in diesen Kategorien. Und deshalb
sind nach wie vor die Zwischenräume spannend. Es geht hier also nicht um Charts-Stars wie Alicia Keys,
die bei Konzerten gern mal Für Elise anstimmt, oder Mary J. Blige, die am Anfang ihrer neuen
Platte das Bergkönig-Thema verwurstet. Denn viele Musiker denken nicht nur an den Gebrauchs-
und Vermarktungswert von nennen wir es: auskomponierter Musik. Junge Klangkünstler interessieren
sich für die ästhetischen Gehalte der E-Klänge, vom Streichersatz der Romantik bis zu den strengen
Sinuston-Experimenten in avantgardistischen Rundfunkstudios der 60er-Jahre.
Der Yellow Lounge-Mix beginnt übrigens mit den Gymnopédies von Erik Satie.
Die grimassierende Figur, die den musikalischen Leiter des Moulin Rouge im gleichnamigen Film von
Baz Luhrmann darstellt, soll genau er sein: Erik Satie. Passt schon, historisch, irgendwie. Der Pariser Lebemann
ist gerade im Trend. Und auch einer der auffälligsten popkulturellen Klangforscher der 1990er, Aphex Twin,
schleicht um den Konzertflügel herum und spürt, leicht ironisch verdreht, im Rahmen seines neuen Albums
Drukqs den melancholischen Klimpertönen im Klangraum eines Konzertsaales nach, mit erzählerischem
Gestus. Saties Hits wie die Sonatine Bureaucratique lassen grüßen. Immerhin geht Aphex
Twin (alias Richard D. James) über die reine Nachahmung oder Ausbeutung hinaus, indem er die nostalgische
Dramaturgie bricht: Die Stücke dieser Art wechseln sich mit den atemberaubenden Drum&Bass-Orgien ab,
für die der Brite berüchtigt ist. Dabei bleibt offen, in welcher Weise Ursprung und Bearbeitung der
Sounds und Klangquellen im Verhältnis stehen. Aphex Twin zählt schließlich zu den so genannten
Laptop-Musikern, die ihre Klänge und Samples in den virtuellen Studios der Computer in Form bringen. So
entsteht die Spannung in der Musik nicht zuletzt aus der Gleichzeitigkeit und Uneindeutigkeit der digitalen
und der natürlichen Klangräume.
Es passiert immer häufiger, dass man nicht mehr genau weiß, ob einem ein E für ein U vorgemacht
wird oder anders herum. Vielleicht hat man es einfach mit EU-Musik zu tun. Eine Unterscheidung ist allerdings
nötig: Es gibt die Popmusik, die mithilfe Pop-kompatibler E-Musik erweitert wird, zum Beispiel mit Samples
einer harmonisch geläufigen Streichorchester-Komposition quasi auf den Spuren der Beatles und Beach
Boys in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre. Und es gibt zeitgenössische Computermusik, deren Macher
sich in der Tradition der E-Musik-Avantgarde der kulturhis- torischen Moderne begreifen, während in einem
Parallelleben ihr Herz der progressiven Clubmusik auf der Basis von Techno gehört. Für beides benutzen
sie mehr oder weniger jenes eine Instrument. Und die von Jahr zu Jahr umfangreichere Software schafft, neben
der Miniatisierung zum Laptop, weitere Möglichkeiten. Deren theoretische, ästhetische und musikalische
Grundlagen sind um die vergangene Jahrtausendwende herum bis auf das letzte Bit ausgelotet worden, vom surrenden
Modem-Sound bis zur klickenden Fehlermeldung, sowohl in Richtung Pop als auch in Richtung avantgardistisches
Experiment. Die beiden Clicks & Cuts-Zusammenstellungen des Frankfurter Mille Plateaux-Labels
zeugen davon.
Der Musiker Markus Popp wiederum hat unter dem Projektnamen Oval ein Modell entworfen, das sich mit spezieller
Software-Entwicklung und enormem theoretischen Überbau einer neuen Form der Organisation von Klängen
widmet, für eine mögliche andere Musik, wie es bei ihm heißt. Sein ebenfalls aus
Köln stammender Kollege Markus Schmickler arbeitet seit Jahren mit Musikern und Ensembles zusammen, die
sich der Neuen Musik verpflichtet fühlen. Die digitale Bearbeitung und Untersuchung der live aufgenommenen
Töne ist Teil der Kompositionen. So etwas führte ihn sowohl zum Jazzfestival in Moers als auch zu
einem Bernd-Alois-Zimmermann-Stipendium in Köln.
Kein Wunder aber auch, wenn manchmal das Klangergebnis hinter den strengen Konzepten zurückbleibt. Wenn
der japanische Musiker Atau Tanaka Bilder des berühmten Fotografen Nobuyoshi Araki einscannt, und die entstandenen
digitalen Daten, umgewandelt in elektronische Sounds, die Grundlage für seine kompositorische Arbeit darstellen,
dann ist am Ende die Idee als Experiment interessanter als das auf Tonträgern fixierte Musikstück
selbst. Denn Artificially amplified raindrop deepest thoughts for sale, zu finden auf der Compilation
Bip-Hop Generation v.3, entpuppt sich als vierteiliger, 15-minütiger elektronischer Track im
schwerfälligen Rhythmus und mit viel Geflirre im akustischen Überbau. Das mag sich hübsch anhören.
Da jedoch Sounds und Beats sich an wiedererkennbare Popkonnotationen halten (Click & Dub), finden initialer
Impetus und Musik schwerlich zueinander. Wer von der Idee weiß, nickt sie ab. Alle anderen können
eine Viertelstunde lang in schicke popimmanente Spacesounds abdriften.
Der kaum noch definierte Rahmen der zeitgenössischen Clubkultur mit den Sparten Dance, Ambient,
Lounge und vor allem Listening lässt das Niemandsland zwischen Pop- und Hochkultur geradezu unendlich
erscheinen. Künstler wie der Frankfurter Musiker und Hörspielautor Albrecht Kunze, der sowohl für
seine Radiostücke als auch unter dem Künstlernamen Lamé Gold häufig mit gesampleten Stringsounds
arbeitet, fühlen sich in diesem Niemandsland recht wohl. Kunze beschreibt sich selbst als von der Popkultur
sozialisiert, will seine Arbeiten auch gar nicht Kompositionen nennen. Und doch klingt hinter dem Groove, den
das Gestaltungsmittel der Repetition mit sich bringt, die konzeptionelle Genauigkeit mit.
Seine ästhetischen Überlegungen erinnern eher an die Herangehensweise eines Komponisten als eines
Popautoren. Etwa wenn er im Gespräch sein Interesse am Streicherklang erläutert: Mich interessieren
Strings zum einen wegen des musiktechnischen Aspekts. Streichinstrumente sind monophon. Der lang anhaltende,
mit dem Bogen gestrichene einzelne Ton ist geeignet, um ihn mit den Plug-Ins, den virtuellen Effektgeräten,
zu bearbeiten. Das ist im Sinne gestalterischer Freiheit interessant. Und darüber steht schließlich
der zweite, wichtige Punkt: Mich interessiert die gefühlsmäßige Belegung, die mit Streichersounds
verbunden ist. Das Arbeiten mit der Behauptung dieses Gefühls ist für mich entscheidend. Sowohl für
die Sehnsucht, die sich in meinem Hörstück Homecoming Concert äußert, als auch
für die dunkle oder herbstliche Stimmung der Lamé Gold Musik. Aber jeder, der aufgrund bestimmter
Stringsounds den Effekt der Melancholie bei sich feststellt, sollte sich auch über seine Erdung seines
musikalischen Empfindens im Bürgerlichen klar sein.
Die Erdung des musikalischen Empfindens im Bürgerlichen ist nicht weit entfernt von der Stelle, wo Pop
geerdet ist. Die Kunst ist, dieses Empfinden als bewusst gewählte Erinnerung mit einem neuen Instrumentarium
in Musikstücke zu gießen. Das führt automatisch in die Grenzgebiete zwischen den industriellen
Standards. DJs, die Klassik für Leute zusammen mixen, die gerade mal nur einen weiteren Trend mitsummen
wollen, sind dagegen Business-Pop in seiner schnödesten Form.
Stefan Raulf
Diskografie
diverse:
Yellow Lounge Universal
Classics 2001 Aphex
Twin: Drukqs Warp/Zomba
2001 diverse:
Clicks & Cuts I und II Mille
Plateaux/EFA, 2000 und 2001 Oval:
Ovalprocess und Ovalcommers Form&Function/Zomba 2000 und 2001 Markus
Schmickler: Param (a-Musik) diverse:
Bip-Hop Generation v.3 Bip-Hop/
Hausmusik 2001 Lamé
Gold: Lamé Gold Oayola/
Hausmusik 2001