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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 3
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Zukunftswerkstatt
Verleger, Kulturpolitiker, Kaufmann, Visionär
Bernhard Bosse feiert am 8. Dezember seinen achtzigsten Geburtstag
Ein Ruheständler in der Zukunftswerkstatt? Das macht jedenfalls Sinn, wenn es sich bei diesem Pensionisten
um einen der Gründer unserer Zeitschrift handelt. Es war ein schwieriger Gang, den der junge Marineoffizier
Bernhard Bosse Ende der 40er- und Anfang der 50er-Jahre in Regensburg begann. Nicht nur materiell lagen die
Felder brach, auch ideell musste die verlegerische Zielsetzung komplett neu bedacht werden. Das deutsch-nationale
Gedankengut des alten Gustav Bosse Verlages war für den Weitertransport denkbar ungeeignet.
Im Keller der Verlagsdruckerei lagerten in Stapeln sich tonnenweise die Plano-Bögen der Schriftenreihe
Von deutscher Musik. Sie waren Makulatur. Mit Bernhard Bosse unterhielten sich Theo Geißler
und Eckart Rohlfs.
Als Bernhard Bosse 1948 die Lizenz der amerikanischen Militärregierung für den Gustav Bosse Verlag
erhielt, stand der junge Ex-Offizier vor der Aufgabe, einen Verlag zu leiten, ohne auch nur die geringste Ahnung
zu haben, wie man so was macht...
Als Verleger braucht man eine Vision, ein Gespür für Menschen: Bernhard
Bosse. Fotos: Martin Hufner
Ich wusste nicht einmal, wie man kaufmännisch damit umzugehen hat. Es war eine Tabula-rasa-Situation,
wie man sie sich, je nach Sicht der Dinge, schlimmer oder günstiger gar nicht vorstellen kann. Anfang der
50er-Jahre erhielt ich dann die Chance, zusammen mit anderen Verlegern für drei Monate zu einem Studienaufenthalt
nach Amerika zu reisen. Als ich zurück nach Regensburg kam, hatte sich mein Blick auf das deutsche Trümmerfeld
entscheidend verändert. Mir war klargeworden, was im Bereich des Möglichen lag.
Wie sahen denn diese Möglichkeiten aus? Welche programmatischen Ansätze boten sich dem Jung-Verleger
Bosse?
Mir fiel kurz nach der Rückkehr aus Amerika ein Prospekt der Musikalischen Jugend Deutschlands
in die Hände. Ich war fasziniert von den Ideen, die dort präsentiert wurden. Junge Menschen treffen
sich und machen Neue Musik. Junge Dirigenten, junge Interpreten stellen Programme zusammen, wie sie in Deutschland
noch nicht zu hören waren. Und sie denken dabei nicht nur an interpretatorische Raffinessen, sondern sofort
auch an neue Möglichkeiten der Musikvermittlung: an einen anderen Schulunterricht und an eine neue Laienmusik.
Ein Motor dieser Bewegung war der damals gerade zwanzig-jährige Eckart Rohlfs. Eine Freundschaft begann,
die über ein fruchtbares Arbeitsverhältnis weit hinausging und die bis heute andauert. Damals erschien
im Gustav Bosse Verlag noch die Zeitschrift für Musik. Sie war nicht nur aus den Zeiten des
nationalsozialistischen Regimes geistig vorbelastet, es stellte sich vielmehr heraus, dass auch der neue Herausgeberkreis
nicht wirklich in der Lage war, den Aufbruch, der aus meiner Sicht jetzt erfolgen musste, mitzugehen. Deshalb
entschloss ich mich, das Traditionsblatt Zeitschrift für Musik an den Schott Verlag zu verkaufen
und mit der Musikalischen Jugend ein komplett neues Zeitschriftenkonzept zu starten. Die Trennung
von der Zeitschrift für Musik war dabei durchaus schmerzhaft. Es fiel mir nicht leicht, Erich
Valentin, dem Freund, Lehrer und Wegbegleiter, den Stuhl vor die Tür zu setzen. Andererseits formierten
sich in dieser Zeit auch schon wieder gelinde gesagt restaurative Kräfte. Eine kulturpolitische
Polarität tat sich auf, deren Einfluss für die Entwicklung der neuen Zeitschrift, aber auch für
die Positionierung des Verlages insgesamt eine entscheidende Bedeutung gewinnen sollte.
Schließlich bildeten solche alten Seilschaften einen der Kondensationskerne, um den herum sich später
der Deutsche Musikrat formte? Darf man das so sehen?
Gegen diese Gruppierungen bildeten wir ganz selbstverständlich eine Opposition. Die Arroganz mit der diese,
dem Selbstverständnis nach hochwissenschaftlich gebildeten Herrschaften auf alle frischen Ansätze
einer breit angelegten musikalischen Laienbildung herabblickten, schien uns undemokratisch und unerträglich.
Wir entwickelten ohne dass wir es so nannten ein kulturpolitisches Bewusstsein. Ganz praktisch
äußerte sich das darin, dass wir Mitte der 50er-Jahre in München eine Art eigenständiger
Dependance des Musikverbandswesens gründeten mit der Zeitschrift Musikalische Jugend
im Zentrum. Der Gustav Bosse Verlag beteiligte sich bei dieser Gründung auch materiell, was ihm alles andere
als leicht fiel. Die Eigenkapitaldecke hatte nicht sonderlich gestärkt werden können.
Die Rettung, wenn man es so nennen will, kam dann aus Kassel?
Ja, in diese Zeit fiel meine erste Begegnung mit dem Verleger des Kasseler Bärenreiter Verlages, Karl
Vötterle, einer noblen, intelligenten und kaufmännisch überragenden Musikverleger-Persönlichkeit.
Wir traten in Verkaufsverhandlungen ein, einigten uns über den Preis und hätten freundschaftlich auseinandergehen
können: da fragte mich Vötterle, was ich denn für weitere Pläne mit dem Gustav Bosse Verlag
gehabt hätte. Ich schilderte ihm meine ebenso kreativen wie teuren Wunschvorstellungen und war nicht schlecht
überrascht über die Reaktion. Er bot mir an: Leiten Sie den Verlag in Regensburg weiterhin nach
Ihren Vorstellungen. Dafür stellte er mir einen sechsstelligen Betrag in Aussicht. Nachdem ich wochenlang
mit Banken um wesentlich kleinere Kreditstellungen gefeilscht hatte, erschien mir dieses Angebot als eine Sternstunde
des Verlags. Der Grundstein war gelegt für eine realistische und perspektivenreiche Verlagsarbeit.
Dieses unerwartete Fundament zog dann weitere Erfolge geradezu an. Parallel zum Aufbruch musikpädagogischer
Verbände und Initiativen wuchsen Verlag und Zeitschrift. Wie verlief die weitere Entwicklung?
Wir sind auf die Verbände zugegangen und boten ihnen an, bei der Präsentation ihrer Innen-
und Außenpolitik behilflich zu sein. Da gab es immer einen gewissen Erklärungsbedarf, denn
die meisten Verbände verstanden sich selbst als rein berufsständisch, verwalteten ihre Mitglieder
und hatten wenig Interesse, ihre Anliegen nach außen zu transportieren. Die Musikalische Jugend
Deutschlands konnte in dieser Zeit als Vorbild gelten. Ich werde nie vergessen, wie Klaus Bernbacher 1966
den Begriff Kulturpolitik in die Verbandsarbeit einbrachte. Allein die Wortverbindung von Kultur und Politik
galt bis dahin vielen Pädagogen und Künstlern als nahezu undenkbar. Andererseits beschrieb dieser
Begriff unsere Arbeit, die wir seit Jahren leisteten präzise. In diesen 60er-Jahren entstand die bedeutendste
musikalische Nachwuchsfördermaßnahme in der Deutschen Geschichte, der Wettbewerb Jugend musiziert.
Er versammelte durchaus heterogene musikpädagogische Verbände auf dem Weg zum Ziel, den drohenden
Absturz des bundesrepublikanischen Orchesterwesens in die künstlerische Bedeutungslosigkeit zu verhindern.
Wir haben diesen Weg stets konsequent publizistisch begleitet.
Der Gustav Bosse Verlag bestand nicht nur aus der Zeitschrift Musikalische Jugend, das Verlagsprogramm
wurde gezielt erweitert, nicht einfach so mit beliebig aufgelesenen Titeln, sondern vielmehr nach dem Prinzip
einer Zukunftswerkstatt: Wo zeichnen sich neue Entwicklungen ab? Wo ist es nötig, gesellschaftliche,
intellektuelle, kulturpolitische Tendenzen und Notwendigkeiten zu fördern, als Verlag oder kommentierend
in der Zeitschrift. Wie stellte sich das für den Gustav Bosse Verlag und seinen Verleger Bernhard Bosse
dar?
Dass auch an anderen Stellen des Musiklebens eine Aufbruchsstimmung herrschte, spürte der Verlag deutlich
und vor allem rechtzeitig. Und nicht nur im Musikleben: Die Aufbruchstimmung in der gesamten jungen Generation,
die wir heute unter dem Begriff 68er-Generation kennen, artikulierte sich. Die Übereinstimmung
von allgemeinem politischen Geschehen und meiner verlegerischen Tätigkeit in der Zeitschrift erwiesen sich
als starke Schubkraft für die musikalischen Aufgaben, die der Verlag gefördert und betreut hatte.
Als Beispiel neben anderen mag die Idee gelten, ein neues Kirchenlied hier im Verlag zu schaffen. Es war die
Zeit, in der die Kirchen immer leerer wurden. Da erreichte mich eine Ausschreibung der Evangelischen Akademie
Tutzing zu einer Tagung Kirchenmusik wohin? unter der Moderation des evangelischen Studentenpfarrers
von München Günther Hegele. Das Ergebnis des Tagungsbesuchs war ein Kompositions- und Textwettbewerb.
Den ersten Preis aus 996 Einsendungen erhielt das Lied Danke des Freiburger Komponisten und Kirchenmusikers
Gottfried Schneider. Das Danke-Lied wurde ein Hit im wahrsten Sinne des Wortes und geriet sozusagen
zum Startschuss für den ganzen Sektor Neues geistliches Lied, eine Sparte, die für den
Gustav Bosse Verlag gleichzeitig innovativ und ertragreich war. Die offizielle Kirchenmusik titulierte Hegele
und mich dafür als liturgische Playboys. Wir haben damals einige hundert Lieder verlegt, von
denen sich zwei Dutzend zu echten Evergreens entwickelten. Das Ganze ruhte auf einem starken emanzipatorischen
und pädagogischen Konzept, das die Verlagsarbeit in dieser Zeit insgesamt prägte.
Auf einem anderen Feld, nämlich bei der Suche nach zeitgenössischer Musik für Laienensembles
im weltlichen Bereich, war der Bosse Verlag aber nicht annähernd so erfolgreich. Zusammen mit der Musikalischen
Jugend Deutschland schrieb der Verlag Kompositionswettbewerbe aus, die wenig Früchte trugen. Woran
mag das gelegen haben?
Sprach man Komponisten direkt an, Hindemith, Orff, Egk, Bialas, erhielt man eher Absagen mit der Begründung,
dass adäquate Aufführungen im Laienbereich auf zu viele Hindernisse stoßen würden, zum
Beispiel fehlende Schlagtechniken, Besetzungsfragen, Leseprobleme bei grafischer Notation. Laienmusik sei viel
schwerer zu schreiben als eine Sinfonie. Trotzdem blühten die Laienmusikverbände auf, gerade auch
im musikpädagogischen Bereich der Verband deutscher Musikschulen. Der VdM entwickelte sich kulturpolitisch,
programmatisch und geschäftlich zum wichtigsten Partner des Gustav Bosse Verlages. Sicherlich spielte auch
hier meine Freundschaft mit dem damaligen Vorsitzenden Diethard Wucher eine entscheidende Rolle, eine Freundschaft,
die ihre Basis immer in der gemeinsamen politischen und kulturellen Zielorientierung hatte. Die Musikalische
Früherziehung geriet zur Grundlage einer qualifizierten Musikerziehung in der gesamten Bundesrepublik
und erschien im Gustav Bosse Verlag. Flankiert wurde diese Arbeit durch entsprechende wissenschaftliche Buchreihen
und durch innovative Praxisbände. Als optimales Transportmittel für alle diese Ideen und
Produkte erwies sich dabei die Zeitschrift Musikalische Jugend, die 1969 im Rahmen ihrer thematischen
Erweiterung in neue musikzeitung umbenannt worden war. Sie hatte sich ihren kulturpolitischen Biss
bewahrt, galt als Forum der pädagogischen Grundsatzdebatten und steigerte ihre Auflage zu Beginn der 70er-Jahre
auf weit über 20.000 Exemplare. Für den Verlag begann in den 70er-Jahren die Phase der Pädagogik.
Bundesweit wurden neue Unterrichtsmethoden und Schulbücher entwickelt. Konsequent begann ich die Arbeit
für die Musikpädagogik 1970 mit dem Unterrichtsprogramm Musikalische Früherziehung.
Das Pädagogikprogramm wurde ausgeweitet über die Musikalische Grundausbildung für
6- bis 8-jährige Kinder, die Elementare Musikerziehung mit Schlagzeug für die 10- bis
12-Jährigen, die Unterrichtssequenzen für die Sekundarstufen, Theorie und Unterrichtswerke für
Musikstudierende bis zu theoretischen Werken und Praxisanleitungen für den Bereich Musik in der Sozialpädagogik
bis hin zur Arbeit mit Behinderten. Sogar eine Kooperation mit dem Deutschen Musikrat gelang nach anfänglichen
Schwierigkeiten und 15 Jahren Vorarbeit prächtig: 1986 erschien mit dem Musikalmanach, die
erste musikbezogene Datenbank, damals noch pur auf Papier. Ja, es war die Zeit, in der die Elektronik
Einzug hielt ins Verlagsgeschäft, in die Produktion wie in die Buchhaltung. Eine Entwicklung, die meine
verlegerische Grundhaltung nicht ausschließlich erleichtert hätte. Als Verleger braucht man eine
Vision, man braucht ein Gespür für Menschen, für Entwicklungen, und man braucht Mut und Zielstrebigkeit
und den Atem eines Marathonläufers, um dieser Vision näher zu kommen.