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nmz-archiv
nmz 2002/02 | Seite 34
51. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Staubsauger und Klangschatten
Limpe Fuchs berichtet von der Tagung Ökologie des Hörens
Was ist der Mensch im Jahr 2050? Ohne wenn und aber wollte Christoph Lindenmeyer, Leiter der Hauptabteilung
Kultur im Bayerischen Rundfunk seine Frage beantwortet haben. Er stellte sie zum Abschluss der Tagung Ökologie
des Hörens von der Lärmumwelt zum Klangdesign den Teilnehmern der abschließenden
Podiumsdiskussion, zu der Axel Schwanebeck von der Evangelischen Akademie, Michael Schröder von der Akademie
für politische Bildung und Joachim Kahlert und Ludovika Huber von der Universität München eingeladen
hatten.
Der Gesundheitsreferent aus München, die Frau vom Verein Zuhören e.V. in Köln und
der Umwelt- und Gesundheitspsychologe aus Eichstätt entwarfen ein pessimistisches Szenario: Trotz vieler
Lärmverordnungen werden sich die zwischenmenschlichen und nachbarlichen Konflikte verschärfen. Laut
sein bedeutet Macht, diese Entwicklung wird nicht unterbrochen werden. Der Takt der Radiosendungen wird
sich noch beschleunigen. Die zumeist älteren Menschen sind signifikant schwerhörig, aber mit fantastischen
Hörgeräten in einer manipulierten Klangumwelt ausgerüstet.
Der Vertreter des Kultusministeriums aus München, der Vertreter des Forums Klanglandschaft aus Basel
und der Musiker aus Salzburg sahen auch eine eher negative Entwicklung, aber Möglichkeiten dagegen anzugehen:
Stille Computerarbeit der Schüler, die eigenverantwortlich und selbstständig entscheiden, Hörclubs
und Klangräume, Verbindung Musik Physik Mathematik theoretisch und Rhythmusspiele praktisch.
Durch eine intensive Förderung des nachhaltigen Hörverhaltens, das schon jetzt begonnen habe, wird
die sprachliche Verständigung erhalten bleiben. Am ausführlichsten äußerte sich Klaus Feßmann
vom Mozarteum: Er sah die ganze Kapazität seines Instituts in den Dienst der Hörgeschädigten
gestellt: Neben der Produktion von Musikern, die in stillen Konzertsälen weiterhin Sinfonien für Hörgeschädigte
aufführen, wird die Rezeptionsforschung in der Musik und die daraus folgende therapeutische Arbeit ein
wichtiges Tätigkeitsfeld werden. Obwohl im Moment in Salzburg mit 3.850 Aufführungen der Kleinen
Nachtmusik pro Jahr der Mozart-Effekt dominiere positive Beeinflussung von Epilepsie
sei es zum Beispiel Reinhard Flatischler mit seiner Rhythmusarbeit möglich gewesen, die Medikation
bei Schmerzpatienten um 70 Prozent zu senken. Um auch im Jahr 2050 noch Studierende zu gewinnen, entwickeln
er und seine Mitarbeiter bereits jetzt Computerprogramme um an das den Jugendlichen bekannte Musikerlebnis anzuknüpfen.
Videoclips zum Beispiel werden mehrdimensional und ganzheitlich wahrgenommen. Innerhalb dieses bekannten Mediums
können Verbindungen zu neuen Inhalten hergestellt werden. Die Klangerforschung der Materie Stein sei ein
neues Themenfeld und das politische Engagement in vielen Bereichen weise positiv in die Zukunft. Im Verlauf
der Diskussion, in der auch die mangelnden sprachlichen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen beklagt
wurden, machte Feßmann sich für die Musik als Hauptfach stark: Beim gemeinsamen Musizieren passiere
eine Sozialisierung wie von selbst. Daran könnten sprachliche Kompetenzen angegliedert werden.
Am Tag vorher hatte Justin Winkler, Gründungspräsident des Forums Klanglandschaft in Basel, einen
hervorragenden Überblick über die Begriffe Klangökologie und Klangdesign gegeben. Er ging auf
die Entstehung der Klanglandschaftsforschung zu Beginn der 70er-Jahre in Vancouver ein. Aus dem World
Sound Scape Project R. Murray Schafers ging das Buch The Tuning of the World hervor, das für
viele , die sich mit der Klangumwelt befassten, zum Wegbereiter wurde. Bei der Gründung des Centre
de Recherche de lenvironment Sonore (CRESSON) im Jahr 1979 durch den Philosophen und Musikwissenschaftler
Jean-Francois Augoyard an der Architektenschule von Grenoble, war bereits der Lärm der Städte Auslöser
für die vertiefte Beschäftigung mit der Klangumwelt.
Professor Jürgen Hellbrück, Gesundheitspsychologe an der Universität Eichstätt, führte
in die Entwicklungsgeschichte des Hörorgans ein und stellte die Verbindung zur Psychologie des Hörens
her: Hören schafft Gemeinschaft: Blindheit trennt von den Gegenständen, Taubheit von den Menschen.
Schall ist ein sehr emotionales Erlebnis aus allArmes (= zu den Waffen!) bildet sich der
Begriff Lärm. Er verhindert Sprachverstehen. Es entsteht Konsonantenverdeckung, da die Schwankungsstärke
von vier Hertz nicht mehr wahrgenommen wird. Die Folge sind schlechte Stimmung, negatives Sozialverhalten, es
kommt zu einer Strategie des Weghörens.
Dann wurden vier akustische Herausforderungen vorgestellt: Schule, Hörspiel, Stadtgestaltung, Produktdesign.
Professor Kahlert sprach zum Thema Schule: Wie kann eine gute Höratmosphäre geschaffen werden, wie
muss die Schule als Gebäude akustisch gestaltet werden? Erste positive Erfahrungen erläuterte Frau
Ulrike Roos, Oberstudienrätin an der Deutschen Schule in Mailand: Die sprachliche Verständigung hätte
Priorität, die Schüler sollten ein feines Gehör entwickeln. Es wurden Akustiker eingeladen, die
die Schule ein Beton-Glasbau aus den 60er-Jahren untersuchten, den Schülern wurden ebenfalls
Messgeräte zur Verfügung gestellt. Sie zeigten grün-gelb-rote Lärmphasen an, rot kleiner
80 Dezibel. Von den Klassen wurden Klangprofile erstellt. Wie war die Lautstärke? Stundenanfang 40 Dezibel,
Stundenschluss 120 Dezibel! Die Klassenzimmer erhielten Molton-Wandbehänge an Drahtschienen aufgehängt.
Textile Objekte wurden gestaltet, Tennisbälle aufgeschnitten und an Stuhlbeine geklebt. Eltern wurden eingeladen
zum Thema Wie hört sich unsere Schule an? Statt ständiger fruchtloser Ermahnungen trat
genaues Wissen und Bewusstwerden ins Gehirn der Schüler. Die einzelnen Fächer brachten auch Beiträge
zum Thema Klänge und Geräusche: E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann wurde vertont
und aufgeführt, in Biologie neben physiologischen Grundtatsachen gelehrt, wie man das Ohr schützen
kann, Hörbiografien angelegt, Autorenlesungen veranstaltet, ans Radio Hörpostkarten geschickt, im
Keller ein Klangraum angelegt, der zum Verweilen einlud.
Der Klangkünstler und Klangarchitekt Andres Bosshard aus Zürich, zeigte seine Landschafts- und Stadtklangprojekte.
Seiner Meinung nach braucht das Ohr 20 Minuten, bis es sich an einen Ort gewöhnt hat. Er selbst gibt sich
drei Stunden um mit dem Klang eines Ortes vertraut zu werden, drei Tage sind notwendig um die Arbeit an einem
Klangprojekt vorzubereiten. Er macht Tonaufnahmen und untersucht in sieben Stufen, beginnend unter der Erde,
auf dem Boden, in verschiedenen Höhen über der Erde bis hin zu den Wolken und den Himmelskörpern.
Eine Sonnenaufnahme der NASA ließ den Grundton der Sonne und das Pfeifen der Solarwinde hören
der von uns am weitesten entfernte Klang . Dieser bildet für Bosshard die oberste Grenze der Klangachtsamkeit.
Er erklärte auch, dass er dieses Brummen im Klangbild der Stadtlandschaften integriert sieht. Für
die Aufgabe, den Ort mit einer neuen Klangsphäre auszustatten macht er Aufnahmen vom Nahraum er
nennt sie Klangkugeln ein Bach, Vögel und akustische Instrumente oder lässt Musiker
in der entstehenden klingenden Bühne der Landschaft improvisieren, die wieder aufgenommen und
von Klangstellen, speziell gestalteten Lautsprechern abgespielt werden das Ausblenden der
Klänge ist genauso wichtig wie das Einblenden, jeder Klang, der aufhört, hinterlässt auch einen
unhörbaren Klangschatten.
Herbert Kapfer, Leiter von Hörspiel und Medienkunst beim Bayerischen Rundfunk München brachte gleich
zu Anfang provozierende Hörbeispiele: Aus der CD Günter Koch Revisited voll in den Mann
das Concerto in Koch Minor der Gruppe Sparks, einen Ausschnitt aus dem Hörspiel Die Stimme
des Hörers von Eran Schaerf, und aus einem Hörbuch eine Szene eines Romans von Hugo Ball aus
dem Jahr 1918. Jede akustische Herausforderung wird von der neuen Medienkunst angenommen. Zum Vergleich von
alter und neuer Aufnahmetechnik bot er einen Ausschnitt der Geräuschcollage Weekend von Walter
Ruttmann aus dem Jahr 1930 und einen Remix aus dem Jahr 1998.
Nach diesen Ausflügen in Klanglandschaften und bizarre Hörwelten ging es bei Hugo Fastl, Direktor
vom Lehrstuhl Mensch Maschine Kommunikation der TU München, und Joachim Scheuren von der
Deutschen Gesellschaft für Akustik e.V. in Planegg um handfeste Hörerlebnisse, den Klang der Dinge
im Alltag, die akustische Produktgestaltung: Wie wird ein Ventilator einmal ein Staubsauger, ein anderes
Mal ein Haarföhn? Produkthersteller führen Klangbefragungen durch und stellen diese den Klangdesignern
zur Verfügung. Es hat sich herausgestellt, dass die Kaufentscheidung, neben Leistung und Preis, an dritter
Stelle vom Design beeinflusst wird, und da liegt die Optik weit zurück hinter der Akustik mit steigender
Tendenz: Das Betriebsgeräusch muss zum Beispiel sportlich oder solide oder werthaltig sein. Wir kamen in
den Hörgenuss von verschiedenen Autotüren und Motorgeräuschen, Schalter und Staubsaugergeräuschen.
Diese werden von den Wissenschaftlern analysiert, sie bemühen sich, die Beurteilung der Nutzer vorherzusagen
und schließlich muss die Zielvorgabe technisch umgesetzt werden. Da gibt es findige Ingenieure, die dem
Strömungsgeräusch des Staubsaugers ein Prasseln von Sandkörnern zusetzen, schon steigert sich
der Verkaufserfolg.
Es ist also viel machbar auf der technischen Seite. Trotz der Unterschiedlichkeit der vorgestellten Hörerfahrungen
war das allgemein akzeptierte Fazit der Begegnung: Weiterhin das aktive Zuhören in jede Richtung zu entwickeln
und die Front der Hellhörigen zu verstärken.