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nmz-archiv
nmz 2002/02 | Seite 48
51. Jahrgang | Februar
Dossier: Aufstand
der Komponisten
Der beschwerliche Weg auf den Bahnen der Zeitgenossen
Zum nmz-Dossier über das Zeitgemäße und Unzeitgemäße der Festivals mit Neuer Musik
· Von Reinhard Schulz
Der Aufschrei von Thomas Chr. Heyde und Peter Köszeghy gegen Strukturen heutiger Festivals Neuer Musik
(siehe dazu die letzte nmz 12/01-01/02, Seite
1), hat ungewöhnlich heftige Reaktionen hervorgerufen. Sie reichten von emphatischer Akklamation bis
zur entschiedenen Ablehnung und dem Vorwurf halbstarken Gehabes.
Ein paar Anmerkungen vorweg, um den Debatten eine wenig fruchtbare Verhärtung zu nehmen. Zunächst
einmal: Es geht nicht, oder nicht primär, um Donaueschingen. Zwar hat sich die Diskussion an Donaueschingen
entzündet, oder besser an einer Durchsicht der Kritiken darüber, die ein partielles Erlahmen der kreativen
Kräfte wahrzunehmen meinten (übrigens hatte man sich im Programmheft der letzten Donaueschinger Musiktage
ebenfalls zu diesem Fragenkomplex geäußert). Es geht vielmehr um die Frage, ob die gewachsenen Strukturen
nicht einem schöpferischen Habitus Vorschub leisten oder ihn prolongieren, der viele heutige Denkansätze
musikalischen Schaffens ausgrenzt oder zumindest an den Rand drängt. Man kann sich ja durchaus Gedanken
machen, ob zum Beispiel der Ritus des dominierenden Orchesterkonzerts, den viele Festivals heute genauso beibehalten
wie vor 50 Jahren (und der von Trägern und Mitgestaltern des Festivals auch eingefordert wird) noch auf
uneingeschränkte Gegenliebe seitens vieler junger Komponisten stößt.
Es ist also durchaus möglich, dass eine Institution zum Hemmschuh neuer kreativer Ansätze wird. Auch
wird man darüber nachdenken können, ob sich die gewachsene Festival-Klientel aus Kritik, Verlagen,
Veranstaltern und Musikern/Komponisten, die ja in erster Linie aus der Ghettoisierung der Neuen Musik vor allem
nach dem Zweiten Weltkrieg hervorwuchs, ästhetische Leitlinien schuf, die schöpferisch anders gelagerten
Positionen wenig Chancen geben.
Fragen dieser Art, die auch das eigene künstlerische Selbstverständnis kritisch beleuchten, müssen
immer wieder gestellt werden. Niemand hat einen Erbpachtvertrag für die Darbietung relevanter künstlerischer
Aussagen. Und die Musikgeschichte kennt immer wieder radikale Wendepunkte, in denen alte Institutionen, alte
Plätze künstlerischer Darbietung verlassen wurden und neue Orte, die dem gewandelten Kunstverständnis
mehr entsprachen, aufgesucht wurden. Solche Ortswechsel freilich gingen meist einher mit gesamtgesellschaftlichen
Umwälzungen, die kulturellen Äußerungen anderer Schichten suchten sich ein ihnen gemäßes
Ambiente.
Ist solches heute auch der Fall? Hierauf lässt sich keine eindeutige Antwort geben. Feststellbar ist ein
erlahmendes Interesse vor allem beim jungen Publikum gegenüber dem Bereich der klassischen Musik. Auf der
anderen Seite konnte man gerade an Orten wie Donaueschingen in den letzten Jahren einen spürbaren Anstieg
des Andrangs wahrnehmen und man tat es mit Freude! Die Protestwelle, die von breiten kulturellen Schichten
getragen wurde, als über eine Reduzierung (oder gar Abschaffung) der Donaueschinger Musiktage rigide und
laut nachgedacht wurde, war beispiellos.
Nein, wir wollen uns die Orte der Auseinandersetzungen mit frischen musikalischen Ideen nicht nehmen lassen!
Und das schon gleich nicht von irgendwelchen Rotstiftbürokraten. Gleichermaßen aber ist Frische und
Lebendigkeit immer wieder aufs Neue zu erkämpfen. Wer das Murren der Jugend nicht ernst nimmt, es als unausgegorene
Aktion der Unreife betrachtet, darf sich nicht wundern, wenn diese sich eigene Plätze abseits von den sanktionierten
Orten schafft. Weniger wohl als bei anderen kulturellen Einrichtungen, die mitunter ihren Charme aus ihrer konservativen
Beharrlichkeit ziehen, dürfen in Reihen und Festivals mit zeitgenössischer Musik Strukturen der Zementierung
aber auch der ästhetischen Vereinseitigung Eingang finden.
Zwischen der Verpflichtung zu qualitativer Auswahl und zur breiten Abdeckung neuer Strömungen wird es
stets nur einen schwierigen und beschwerlich gangbaren Weg geben. Und es gibt kaum eine Entscheidung eines Veranstalters,
die nicht von der einen oder der anderen Seite sofort angegriffen würde. Gerade das aber ist es, das die
Auseinandersetzung mit Neuer Musik auszuhalten hat. Aufgabe ist es, immer wieder Barrieren (auch die eigenen)
einzureißen und wach wie offen zu bleiben gegenüber allen sich regenden Widerständen. Diese
Wachheit heißt ja nicht, eigene Positionen aufzugeben, vor allem auch nicht gegenüber noch unfertigen
und vielleicht auch hilflosen Ansätzen, die erst einmal ihren Unmut los werden wollen.
Helfen kann nur die beständige Auseinandersetzung. Dieses Buch habe ich von meinen Schülern
gelernt, schrieb Schönberg einst als Motto über seine Harmonielehre. Und sicher waren auch damals
die Positionen der Schüler in sich unstimmig und unausgegoren und vielleicht gerade dadurch besonders
lehrreich. Darum will die nmz in diesem Dossier zunächst einmal Meinungen gegenüberstellen und Argumente
für sich sprechen lassen. Sie finden ein Positionspapier von den Initiatoren Heyde/Köszeghy, Kommentare
von Max Nyffeler und Hans-Peter Jahn, Ausschnitte aus der breit geführten Internet-Debatte und schließlich
eine ausführliche Brief-Diskussion zwischen dem in Halle auch als Veranstalter wirkenden Prof. Thomas Buchholz
und Thomas C. Heyde. Beim Organisator der Donaueschinger Musiktage Armin Köhler hat die nmz auch um eine
Stellungnahme gebeten. Armin Köhler will sich aber erst in der nächsten Ausgabe nach genauerer Prüfung
der einzelnen Positionen zum Gegenstand äußern.