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nmz-archiv
nmz 2002/02 | Seite 56
51. Jahrgang | Februar
Dossier: Aufstand
der Komponisten
Unerschütterlich die kritische Instanz im Getriebe der Musik
Zum siebzigsten Geburtstag Heinz-Klaus Metzgers · Der Begriff der Fortschrittlichkeit ist unverändert
unteilbar
Es fügt sich sinnstiftend, wenn am Schluss eines Dossiers, in dem Komponisten, Kritiker, Wissenschaftler
über Neue und Neueste Musik, ihre angemessene Präsentation sowie über die ihnen dienenden Festivals
neuer Musik diskutieren, streiten, polemisieren, einem Mann die Reverenz erwiesen wird, der am 6. Februar 2002
ins Biblische Alter, also in die Siebziger, eintritt und dessen Name unauflöslich mit der inzwischen
schon zu Geschichte gewordenen Neuen Musik verbunden ist: Die Rede ist von Heinz-Klaus Metzger, in Personalarchiven
völlig unzulänglich als Musikwissenschaftler annonciert.
Denn Heinz-Klaus Metzger betreibt die Musik auf höchst eigenständige, originelle, unverwechselbare
Weise, indem er gründlich über sie nachdenkt, ihre Darstellungen und Phänomene präzis analysiert
und beschreibt, seine Erkenntnisse und Auffassungen kritisch und engagiert vorträgt, die Polemik dabei
nicht scheuend und auch nicht das Risiko, selbst Freundschaften mit Komponisten und Künstlern aufs Spiel
zu setzen.
Animierten John Cage zu seiner Oper Europeras 15: Metzger
(r.) und Riehn anno 2002. Foto: Charlotte Oswald
Metzger, wortgewandt schon als junger Student, knüpfte schon 1950 und 1951 beim Besuch der Darmstädter
Ferienkurse und der Donaueschinger Musiktage entscheidende Kontakte zu damals schon wichtigen Persönlichkeiten
in der Musik der Avantgarde: Varèse, Krenek, Nono, Henze, den Dirigenten Scherchen und, natürlich,
Adorno. In Paris studierte er bei dem Schönberg-Schüler Max Deutsch Komposition, befreundete sich
mit Boulez und, kurz danach, nach der Übersiedelung in das damalige Zentrum der Neuen Musik, nach Köln,
auch mit Stockhausen was nicht ausschloss, dass Metzger später mit Boulez und Stockhausen ebenso
wie mit vielen anderen scharf zu Gericht ging: Die Instanz Heinz-Klaus Metzger wachte unerbittlich
über das Regelwerk avancierten Komponierens man könnte auch sagen: Über ihren selbstgesetzten
Qualitätsanspruch, über ihre konzeptionelle Fortschrittlichkeit, die nicht technizistisch zu begreifen
ist, vielmehr auf das höhere Bewusstsein zielt, das jedem nach vorn weisenden Komponieren als
Voraussetzung innewohnt.
Mit seiner kritischen Strenge und Unabdingbarkeit hat sich Metzger zwangsläufig auch Gegnerschaften eingehandelt.
Kritische Geister erfreuen vielleicht durch ihre forcierten Formulierungen musikalische oder philosophisch-literarische
Zirkel, kaum aber wohl Universitätsgremien, die Professorentitel vergeben. Metzger mag sich trösten,
bewahrte ihn doch solche kümmerliche Ignoranz womöglich vor der Sterilität der Institutionalisierung.
Heinz-Klaus Metzger als verbeamtete Schranze eine unmögliche Vorstellung.
Der Unruhestifter, Anreger, produktive Geist blieb dem Fortschritt treu. Als die Studenten rumorten, gründete
er mit dem Freund Rainer Riehn 1969 das Ensemble Musica Negativa, dessen Radikalität verstörend
und zugleich aufregend wirkte. Etwas mehr Ruhe kehrte in das Leben ein, als Metzger und Riehn in München
ihre Schriftenreihe Musik-Konzepte gründeten, bis zum heutigen Tag die wichtigste kritische
Publikation zum Thema Musik und Rezeption.
Vor kurzem trafen wir Metzger und Riehn in Berlin, wo sie jetzt leben: bei einer kleinen Soiree in der Akademie
der Künste zu Ehren der Sängerin Carla Henius, die ihr Archiv mit ihren Korrespondenzen und Noten
fast aller wichtigen Komponisten der Nachkriegsjahre der Akademie überlassen hatte. Die Gespräche
aber kreisten um die Zukunft der Neuen Musik. Worüber sonst?