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nmz-archiv
nmz 2002/02 | Seite 15
51. Jahrgang | Februar
Initiative
Konzerte für Kinder
Der Klassik-Purist als Auslaufmodell
Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zum 7. Kulturbarometer
Lassen sich aus dem 7. Kulturbarometer, das anhand einer Befragung von Menschen im Alter von mindestens 14
Jahren erstellt wurde, relevante Aussagen für die deutsche Kinderkonzertlandschaft ableiten? Im folgenden
Artikel ist von einer kulturellen Zweiklassengesellschaft und dem Sterben reiner Klassik-Fans ebenso
die Rede wie von einer auffällig angewachsenen Bandbreite an kultureller Betätigung jedes Einzelnen.
Die Erfahrungen derer, die für zeitgemäße Konzeptionen von Konzerten für Kinder verantwortlich
zeichnen, weisen mitunter beachtliche Parallelen auf: Genre- und spartenübergreifende Projekte erfreuen
sich ebenso großer Beliebtheit wie Konzertveranstaltungen in Zusammenarbeit mit Museen, Galerien und multifunktionalen
Kulturzentren. Ein methodisch vielfältiges Wechselspiel von Phasen zum Zuhören mit interaktiven Momenten,
die die jungen Hörerinnen und Hörer zum eigenen musikalisch-künstlerischen Tun auffordern, stellt
sich im Laufe von Jahrzehnten zunehmend als begehrte Konzertform für Kinder dar und wird zunehmend auch
von erwachsenem Publikum gefordert.
Das Kulturbarometer des Zentrums für Kulturforschung (ZfKf) ist eine seit 1990 durchgeführte Repräsentativumfrage
in allen deutschen Regionen zu grundsätzlichen und aktuellen Themen der kulturellen Bildung und Kulturpolitik.
Durchgeführt wird die Umfrage im Auftrag des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie
wechselnden Partnern aus dem Kulturleben. Das 7. Kulturbarometer wurde im September 2001 erhoben. Insgesamt
wurden 2.522 Personen im Alter von mindestens 14 Jahren befragt.
Wir leben in einer Erlebnisgesellschaft (1). Die Medien als Freizeitunterhalter sind omnipräsent.
Die Filmwelt wird zunehmend noch realer, noch fantastischer. Die Freizeitangebote immer ausgefallener und noch
exklusiver. Welchen Stellenwert hat die Musik in der Freizeit einer erlebnisorientierten Gesellschaft? Mit den
Medien ist auch die Musik in unserer Gesellschaft omnipräsent und nimmt einen vergleichsweise hohen Stellenwert
bei den Bundesbürgern ein: 44 Prozent der befragten Bundesbürger (2) interessieren sich für Musik.
Die Zahlen sagen allerdings nichts aus über die Beliebtheit der einzelnen Musikrichtungen, beispielsweise
der so genannten U- und E-Musik. Einige Anhaltswerte hierzu liefert unter anderem eine Bevölkerungsumfrage
aus den Jahren 2000/2001 in der sogenannten Rheinschiene, einem Gebiet, das von Bonn bis Duisburg
reicht und auch die umliegenden Landkreise umfasst, in der auch das musikalische Sparteninteresse detaillierter
erfasst wurde. 32 Prozent der Bevölkerung in dieser Region geben beispielsweise an, sich für Rock-/Popmusik
zu interessieren, 28 Prozent explizit für klassische Musik. Es existiert auch eine Schnittmenge zwischen
beiden Fan-Gemeinschaften in einer Größenordnung von etwa 8 Prozent. Fans beider Musikrichtungen
Rock/Pop und Klassik findet man vor allem bei den 25- bis 49-Jährigen. Wie zu erwarten, sind
vor allem die jüngeren Altersgruppen überwiegend Fans der Rock-/Popmusik, die älteren eher Klassikfans.
Wie sieht es nun speziell mit dem Musizieren und anderen künstlerischen Freizeitbetätigungen aus?
Laut dem 7. Kulturbarometer geben 19 Prozent der Bundesbürger an, sich schon einmal irgendwann außerhalb
der Schule künstlerisch betätigt zu haben, wobei die Bezeichnung künstlerische Aktivität
im Fragetext anhand von Beispielen wie Malen, Musizieren, Texte schreiben et cetera erläutert wurde. Diese
etwas ernüchternde Zahl relativiert sich in einem Zeitvergleich. So wurde im Rahmen des Künstlerreports
von 1973 (3) in einer bundesweiten Umfrage eine ähnliche Frage aufgegriffen. Allerdings wurde nicht nach
außerschulischen Aktivitäten, sondern direkt nach Freizeitaktivitäten gefragt. Damals waren
es 15 Prozent der Bundesbürger, die sich schon einmal in der Freizeit aktiv künstlerisch betätigt
haben. Der Zeitvergleich macht deutlich, dass das Interesse in den letzten knapp 30 Jahren nicht etwa gravierend
abgenommen hat, sondern überraschend stabil geblieben ist.
Abb: Quelle: ZfKf/GfK 2001
Wie stellt sich nun das Interesse an musikalischen Bildungsaktivitäten dar? An erster Stelle der künstlerischen
Betätigungsfelder steht die Musik (59 Prozent), jedoch dicht gefolgt von Aktivitäten im Bereich der
bildenden Kunst (56 Prozent). Diese mittlerweile fast gleich großen Anteile in beiden Spartenbereichen
unterschieden sich 1973 noch deutlich. Damals gaben etwa 60 Prozent der Bundesbürger an, im Bereich der
Musik künstlerisch aktiv zu sein und vergleichsweise nur etwa 20 Prozent im Bereich der bildenden Kunst.
Es folgen in der aktuellen Umfrage mit einigem Abstand die Bereiche darstellende Kunst (27 Prozent), Wort/Schreiben
(15 Prozent) sowie anderes (6 Prozent). Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass die Anteile der
einzelnen Spartenbereiche nicht 100 Prozent ergeben, sondern beachtliche 163 Prozent. Hier liegt kein mathematischer
Fehler vor, sondern die in der Freizeit künstlerisch Aktiven gehen in der Regel verschiedenen künstlerischen
Betätigungsfeldern nach. Der auffallende Anstieg der Aktivisten im Bereich der bildenden Kunst bedeutet
demgemäß nicht etwa, dass sich deutlich mehr Bundesbürger künstlerisch in der Freizeit
betätigen, vielmehr, dass diejenigen, die sich bisher schon anderweitig künstlerisch betätigt
haben, nunmehr auch die Sparte bildende Kunst als Freizeitaktivität entdeckt haben. 1973 war die Zahl der
Mehrfachaktiven noch deutlich geringer.
Keine Auskunft geben diese Zahlen allerdings darüber, ob die künstlerisch Aktiven derzeit eher dazu
neigen, mehr Zeit in verschiedene Betätigungsfelder zu investieren als früher, oder aber eher wankelmütiger
sind und zwischen verschiedenen Betätigungsfeldern wechseln. Der aktuelle Trend jedenfalls weg vom
Spezialisten, hin zu einem kulturell breit Interessierten ohne spezifische Kenntnisse konnte übrigens
schon in anderen ZfKf-Untersuchungen beobachtet werden. Der Besuch kultureller Einrichtungen steht übrigens
in enger Beziehung zur eigenen künstlerischen Aktivität. Denn die eigene künstlerische Freizeitbetätigung
ist in der Regel ein Garant für eine lebenslange Partizipation am öffentlichen Kulturleben.
Zurück zur musikalischen Freizeitbetätigung: Es sind also insgesamt rund 11 Prozent der Bundesbürger
nach eigenen Angaben in der Freizeit musikalisch aktiv beziehungsweise schon einmal aktiv gewesen. In den einzelnen
Bundesländern zeigen sich hier allerdings zum Teil deutliche Unterschiede. So ist der Anteil der in ihrer
Freizeit musikalisch Aktiven in den größeren Städten, beispielsweise den Stadtstaaten aber auch
einzelnen Bundesländern zum Teil deutlich höher und die Werte der musikalisch Aktiven bewegen sich
zwischen 5 und 30 Prozent in den jeweiligen Regionen.
80 Prozent der in der Freizeit musikalisch Aktiven spielen ein Musikinstrument. Etwa 20 Prozent der Musikinstrumentenspieler
singen zudem in der Freizeit alleine oder auch in der Gruppe. Die restlichen 20 Prozent singen ausschließlich
und spielen kein Musikinstrument in ihrer Freizeit.
Bei den in der Freizeit musikalisch aktiven können keine gravierenden Altersunterschiede beobachtet werden.
Der Anteil der musikalisch Aktiven ist bei der jüngeren Generation tendenziell sogar geringfügig größer
als bei der älteren Generation, wie dies auch generell auf die in der Freizeit künstlerisch Aktiven
zutrifft.
Ein auffallender soziodemografischer Unterschied zwischen den in der Freizeit künstlerisch Aktiven und
Nichtaktiven zeigt sich bei der Schulbildung. Die künstlerisch Aktiven als auch speziell die musikalisch
Aktiven haben in der Regel eine deutlich bessere Schulbildung als vergleichsweise die Bevölkerung insgesamt.
Diese Diskrepanz hat sich in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft auffallend verschärft, wie dies
eine Altersdifferenzierung der in der Freizeit künstlerisch Aktiven im Kontext der Schulbildung belegt.
Dies kann man zum einen auf den sich wandelnden Wert der Schulabschlüsse zurückführen. Die beruflichen
Möglichkeiten der Hauptschulabsolventen vor 30 Jahren sind nicht zu vergleichen mit denen der heutigen
Hauptschulabsolventen. Es spiegelt sich hier aber auch die zunehmende Bildungsschere in unserer heutigen Gesellschaft
wider.
Man kann als Resümee festhalten, dass sich eigentlich in den letzten 30 Jahren kaum etwas verändert
hat. Lediglich künstlerische Freizeitaktivitäten im Bereich der bildenden Kunst haben auffallend zugelegt
in diesem Zeitraum. Erreicht wurden hiermit jedoch weitgehend schon künstlerisch aufgeschlossene Zielgruppen.
Etwas ändert sich jedoch unaufhaltsam: Die reinen Klassik-Fans sterben aus und
werden abgelöst von einer Generation, die sich sowohl dem Rock/Pop als auch der Klassik verbunden fühlt.
Zudem nähern wir uns in rasanten Schritten einer kulturellen Zweiklassengesellschaft.
Susanne Keuchel
(1) Vgl. zu diesem konsumorientierten Gesellschaftsmodell u.a. G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, Frankfurt
a. M. 1992.
(2) Nach dem Interesse und dem Besuch von Kulturangeboten wurden jeweils nur 1.250 Bundesbürger befragt.
(3) Karla Fohrbeck und Andreas Johannes Wiesand: Der Künstler-Report, München/Wien 1975, S. 522.