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Ausgabe 2002/02
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nmz 2002/02 | Seite 6
51. Jahrgang | Februar
Musikwirtschaft

Wir wollen keine Sahnehäubchenkultur machen

Die Kulturabteilung der Bayer AG und ihr Leiter Nikolas Kerkenrath im Porträt

Es hat etwas von einem Stadtwappen: das kreisrunde Firmenlogo mit der sich kreuzenden Schrift und dem Y in der Mitte. Und tatsächlich wird wohl keine Stadt in Deutschland derart mit einem Wirtschaftsunternehmen identifiziert wie Leverkusen mit dem Chemieriesen Bayer. Allenfalls Gütersloh oder Wolfsburg erreichen einen ähnlichen Identifikationsgrad. Nur haben diese beiden nicht dieses Aushängeschild: einen Fußballclub, der den Firmennamen über die deutschen Grenzen hinaus aufs engste mit dem Namen der Stadt verbindet. Das Engagement von Bayer für die zurzeit so erfolgreiche Leverkusener Elf tituliert Nikolas Kerkenrath, Leiter der Bayer Kulturabteilung, eindeutig als Sponsoring. Und grenzt es damit ab von dem Bereich, den er und seine Mitarbeiter verantworten. Die außergewöhnliche Kulturförderung, die im Unternehmen eine 100-jährige Tradition hat, sei, so Kerkenrath, eher dem Begriff des Mäzenatentums zuzuordnen.

Offiziell Leiter der Bayer Kulturabteilung ist Kerkenrath eher so etwas wie ein Intendant: Herr über ein Programm, das dem Kulturreferat jeder Stadt in der Größe Leverkusens alle Ehre machen würde. Zwar in den Mauern des Unternehmens, aber doch für die gesamte Bürgerschaft der Stadt wird ein Beitrag zur kulturellen Grundversorgung entwickelt, den sich so manche Stadtverwaltung nur wünschen könnte. Ein gewachsenes Nebeneinander finde zwischen Bayer-Kultur und Stadtkultur statt, so Kerkenrath; das Verhältnis habe sich in den letzten Jahren sichtlich verbessert. Das städtische Kulturprogramm jedenfalls hat in der Vergangenheit eine stetige Reduzierung erfahren und bemüht sich erst seit kurzem um ein neues Profil. Auch an Leverkusen ist der Kelch der geminderten Gewerbesteuer-Einnahmen nicht vorübergegangen (wobei die Frage erlaubt sei, wo denn das Unternehmen Bayer selbige entrichtet).

   

Das SWR-Sinfonieorchester beim ARD-Orchesterzyklus. Foto: A. Galinowski

Allenfalls beim Internationalen Jazzfestival und im Bereich der bildenden Kunst – vor allem mit ihrem Museum Schloss Morsbroich – hat sich die Stadt in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Hinzu kommt die unschlagbare Konkurrenz aus dem nur 15 Kilometer entfernt liegenden Kulturriesen Köln, gegen die sich auch das Bayer Kulturprogramm bewusst absetzen möchte. Ziel ist es, in Leverkusen wie in den umliegenden „Bayer-Städten“ Wuppertal, Dormagen und Uerdingen einen Spielplan mit eigenem Gesicht auf die Beine zu stellen, dessen Inhalte auf die Bedürfnisse des Publikums zugeschnitten sind. „Wir sind nicht die Volksbühne Berlin und auch nicht Donaueschingen. Wir sind ein anspruchsvoller, aber normaler Spielplanbetrieb.“ Allerdings lege man auch heute noch Wert auf die Bedeutung des firmeneigenen Mottos, das schon seit vielen Jahrzehnten gilt: „Kulturarbeit ist auch Bildungsarbeit“.

Im Wesentlichen aber setzt der gelernte Theatermann Kerkenrath (Beruf: Dramaturg und Regisseur – mit einem starken Hang zur Musik) auf ein Programm, „das ich hören oder sehen möchte, ohne gelangweilt zu sein. Ich möchte am Abend unserer Konzerte glücklich und etwas intelligenter herauskommen als ich hineingegangen bin.“ Die umfangreichen Programmhefte der jährlichen Spielpläne, die sich in ihrem Turnus der üblichen Saisonregelung anpassen, belegen, dass Langeweile bei den Konzert-, Theater- und Museumsbesuchern in der Bayer-Stadt kaum aufkommen dürfte. In der Regel werden die Spielpläne einem bestimmten Thema unterstellt. Die Konzentration auf ein Thema jedoch soll nicht zur Fessel, schon gar nicht zum „Zufallsgenerator“ werden. Sehr häufig lässt die Auswahl einen politischen Hintergrund erkennen, immer aber einen Zusammenhang mit einem äußeren Geschehen. Eine französische Spielzeit zum Beispiel gab es während der „Bicentennaire“-Feiern im Nachbarland. Origineller noch die Entscheidung für ein europäisches Programm „während des Hickhacks um Maastricht“, um mit einer kulturellen Komponente die endlosen, nicht immer fruchtbaren Gesprächsthemen von anderer Seite zu beleuchten. Eine russische Spielzeit wurde angesetzt, als Russland begann sich zu demokratisieren. Zurzeit werden Nachbarländer oder -regionen in ihrer kulturellen Vielfalt präsentiert. Der Kulturraum Flandern stand in der Spielzeit 2000/2001 auf dem Programm, gegenwärtig stellen sich unter dem Motto „Reformländer? – Kulturländer!“ Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn vor – wiederum aus aktuellem politischen Anlass. Und im kommenden Jahr werden die Nordländer kulturell unter die Lupe genommen.

Zur persönlichen Herzensangelegenheit hat Kerkenrath – spätestens hier erkennt man die sehr individuelle Handschrift des Intendanten – die deutschen Rundfunkorchester erklärt. Einen ersten Zyklus, zu dem er alle zehn sinfonischen Klangkörper der ARD einlud, wagte er 1993 und 1994. Sollten die Orchester damals einfach ihre „Visitenkarten“ abgeben, wobei auf die Bestückung eines jeden Programms mit zeitgenössischer Literatur Wert gelegt wurde, so stand der zweite Zyklus 1999/2000 unter dem Motto „Wien, Wien – nur Du allein...!“ Der Aufforderung, lediglich Werke der ersten oder zweiten Wiener Schule in der Bayer-Stadt zu präsentieren, kamen alle Ensembles gerne nach. Weniger Begeisterung fand allerdings die Auflage, als Zugabe einen Johann-Strauß-Walzer (Vater oder Sohn) zum besten zu geben. Ganz unterschiedlich fielen dann auch Interpretation und Qualität der Wiedergabe aus. Selbst im Publikum regte sich Widerstand ob dieser „musikalischen Verflachung“. Regelmäßig verließen zirka 30 Besucher demonstrativ den Saal, ohne der Zugabe ihr Ohr zu schenken. So viel Snobismus hätte man weder den Leverkusener Konzertbesuchern noch den hoch bezahlten Rundfunk-Musikern zugetraut!

Den ARD-Zyklus will Kerkenrath in der Spielzeit 2004/2005 mit einem zeitgenössischen Akzent fortsetzen. Die Bedeutung dieses Projektes unterstrich er, indem er sämtliche Programmhefte der bisherigen Zyklen jeweils zu einer eigenen Publikation zusammenfasste. Vor allem der erste Band ist dabei eine interessante und unterhaltsame Aufarbeitung der Geschichte dieser Orchester-Spezies.

Sinfonische, Kammer- und Klaviermusik bestücken regelmäßig den Bayer-Spielplan, dazu kommen Theater- und Ballettreihen, Ausstellungen und – zunehmend – auch Programme für Kinder und Jugendliche. Zwar sind von den etwa 7.000 Abonnenten annähernd 1.000 Jugendliche, aber die Überalterung des Publikums ist auch in Leverkusen spürbar. Mit dem „Vermarktungsmechanismus“, der die Jugend vereinnahme, könne man kaum mithalten, so Kerkenrath. „Da wird uns vorläufig eine ganze Generation auf eine nicht sehr schöne und gesellschaftsgefährdende Art weggeknallt“. Mit Kindertheatervorstellungen, Kinderkonzerten und Jugend-Aboreihen will das Kulturprogramm dagegen angehen.

Warum macht eine Firma wie Bayer das alles? Was veranlasst Betriebswirte, Wissenschaftler und Juristen, auch heute noch eine Kulturabteilung mit zwölf Mitarbeitern zu finanzieren und darüber hinaus ein Kulturprogramm, das immerhin eine beachtliche Zahl von Stars ersten Ranges aufweist und darüber hinaus die kulturelle Versorgung einer ganzen Stadt sichert? „Mäzenatisch orientiert“ sei die Arbeit der Kulturabteilung, so steht es im Image-Prospekt. Das ist sicher richtig, solange der Begriff des Mäzens als Abgrenzung zum Sponsor dienen soll. „Mäzenatisch“ mit „altruistisch“ gleichzusetzen wäre in diesem Fall jedoch verfehlt. Natürlich verfolgt der Großkonzern mit dieser Investition in die „soft skills“ einen Zweck. Und dieser ist heute gar nicht so weit entfernt von der Motivation, die vor hundert Jahren die Idee zu einem kulturellen Engagement diesen Ausmaßes entstehen ließ. Es ging darum, „die Männer aus der Kneipe zu holen“, ihnen das Angebot zu machen, sich weiter zu bilden, das intellektuelle und soziale Niveau anzuheben. Und das sollte wiederum der Firma zugute kommen. Der Aspekt der Mitarbeiterbindung und -motivation spukte schon in der Gründerzeit in den Köpfen der fortschrittlich Denkenden. Und diese sei noch heute extrem hoch, so Kerkenrath.

Die Kulturarbeit soll dazu Wesentliches beitragen. Es verwundert nicht, dass die Abteilung Kerkenraths innerhalb des Unternehmens eigenständig ist. Sie gehört weder ins Marketing, noch zur Unternehmenskommunikation, obwohl sie Letztere naturgemäß intensiv unterstützt. Erstes Ziel aber scheint in der Tat die Orientierung in das Unternehmen hinein zu sein. Wobei sich diese Innenrichtung auf Angehörige und Freunde der Mitarbeiter ausdehnt und damit wiederum auf die gesamte Bürgerschaft der Bayer-Standorte.Der Gedanke der Kulturförderung manifestiert sich im Übrigen auch in den moderaten Eintrittspreisen der Veranstaltungen.
Vom Sponsoring möchte sich Kerkenrath bewusst abheben. Die Summen, die Privatfirmen heute für Kultursponsoring ausgeben, sind zwar enorm, machen dennoch nur zirka fünf Prozent des gesamten Kulturhaushalts in Deutschland aus. Und von diesen fünf Prozent geht nach Ansicht Kerkenraths noch einmal ein großer Teil in die Finanzierung „zusätzlicher Sahnehäubchen“, die nichts mit der Förderung von bestehenden Institutionen zu tun haben. Von dieser Sahnehäubchenkultur distanziert er sich entschieden.

Die Ausrichtung auf die Mitarbeiter des Unternehmens zeigt sich im Übrigen auch in der Existenz zahlreicher Vereine innerhalb der Bayer AG. Neben den Hobby- und den Sportvereinen spielen die kulturellen Ensembles da eine wichtige Rolle. Das philharmonische Orchester ist eingebunden in den Spielplan, daneben gibt es das Blasorchester, das gerade 100 Jahre alt geworden ist, einen Männer- und einen Frauenchor, ein Akkordeon- und ein Mandolinenorchester sowie eine Big Band. Alle wollen Mitarbeiter und ihre Angehörigen anregen, selbst musikalisch aktiv zu werden.

Nikolas Kerkenrath ist Herr über einen Etat, der sich auf die jeweilige Spielzeit bezieht. Die Frage nach der Höhe des Etats liegt nahe. Wer wüsste nicht gerne, wie viel dem Chemie- und Pharmaunternehmen die Kultur denn nun wirklich wert ist? Die Frage bleibt unbeantwortet. Nur so viel verrät Kerkenrath: Dass alle Schätzungen von Künstlern und Kollegen bisher weit über der Summe lagen, die ihm tatsächlich zur Verfügung steht. „Aber wir können wirtschaften. Wir sind nicht nur Träumer, sondern professionelle Kulturmacher, die die Relation Geld und Kulturwert einzuschätzen wissen“. Nicht ohne Spitze in Richtung so manchen Kulturreferats erklärt er sein Prinzip: Künstler, und seien sie noch so namhaft, werden nicht eingeladen, sobald sie horrende Gagenforderungen vortragen. Mit dem Nachgeben gegenüber solchen Forderungen werde lediglich die Tendenz zum Event, eben zum „Sahnehäubchen“ gefördert. „Der Kultur bringt das nichts“.

Die Existenzberechtigung der Kultur im Unternehmen Bayer betrachtet Kerkenrath als gesichert. Auf Umsatzsteigerungen oder -rückgänge hat der Kulturetat in der Vergangenheit nicht reagiert. Allerdings rechnet er damit, dass die Strukturveränderungen, die sich im Unternehmen zurzeit vollziehen, an alle weitergegeben werden. „Damit wird nicht die Vertrauensfrage nach der Kultur oder dem Sport gestellt. Aber wir werden sicherlich alle noch genauer rechnen müssen.“

Barbara Haack

 

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