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nmz-archiv
nmz 2002/02 | Seite 24
51. Jahrgang | Februar
Pädagogik
Klavierschulen heute eine offene Frage
Ein Symposium am Institut für Musikpädagogik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Als Offenes Forum für pädagogische und klaviermethodische Fragestellungen ist Insidern
das Institut für Musikpädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg längst
bekannt. Am 17. November vergangenen Jahres veranstaltete das Institut in Zusammenarbeit mit dem Verein PRO
MUSICA e.V. und dem Konservatorium Georg Friedrich Händel in Halle ein Symposium zum Thema
Klavierschulen. Profil bekam die gut besuchte Veranstaltung, die von dem Sikorski-Verlag gesponsert
wurde, durch die Präsentation von vier Klavierschulen durch ihre Autoren beziehungsweise deren Vertreter.
Die fünf populärsten Klavierschulen für Kinder in Deutschland lautet der Titel einer im
klaviermethodischen Seminar in Halle entstandenen Diplomarbeit, die die Autorin Yara Borges den Anwesenden zu
Beginn des Symposiums vorstellte. Die Arbeit geht der Frage nach, ob die beliebtesten Klavierschulen auch die
besten sind. Eine aufwändige Datensammlung ermittelt, welche Klavierschulen in Deutschland am meisten verkauft
werden. Diese Schulen werden einer genauen Analyse unterzogen. Als Analyseinstrumentarium zur Beurteilung von
Klavierschulen dienen folgende Kriterien: pädagogische Hinweise, Entwicklung des musikalischen Gehörs,
Klangvorstellung und Tonbildung, Gesamtkörperbewusstsein, musikalische Notation, Gestaltungselemente, Repertoire,
Präsentation. Aus diesem Kriterienkatalog entwickelt Borges eine wohlgeordnete Sammlung von 50 Fragen.
Die Beantwortung dieser Fragen ermöglicht einen sachlichen Vergleich der behandelten Klavierschulen, der
in einer differenzierten Benotung der untersuchten Aspekte seinen Niederschlag findet. Die ideale
Schule gebe es noch nicht und der Markterfolg einer Klavierschule hänge nicht nur von ihrer Qualität
ab, resümierte Frau Borges. Wer aber die Stärken und Schwächen der Schulen kennt, kann
ihre gelungenen Teile zum Vorteil der Schüler kombinieren.
Methodische Brüche
Musik ist eine Sprache, die alle Menschen verstehen sagte Michael Schlüter, der als zweiter
Referent des Tages die Europäische Klavierschule von Fritz Emonts vorstellte. Es ist dem Autor
angesichts des Zusammenwachsens der europäischen Gemeinschaft ein besonderes Anliegen, viele Lieder und
Stücke aus allen Teilen Europas mit einzubeziehen. Ausführlich stellte Herr Schlüter das Kapitel
Erstes Spiel mit schwarzen Tasten vor. Dieser Beginn sei besonders geeignet, die Anordnung der Tastatur
greifend zu begreifen. Mit attraktiven Klangdemonstrationen auf pentatonisch improvisierten Tonfolgen
wusste Herr Schlüter für die Schule zu werben. In der anschließenden Diskussion musste der Referent
auch kritischen Teilnehmern Rede und Antwort stehen. So konstatierte ein Student einen methodischen Bruch
zwischen dem Hauptteil und dem Vorspann. Eine pädagogisch wie musikalisch gelungene Verbindung beider
Teile herzustellen, sei sicherlich Aufgabe eines erfahrenen Lehrers, erwiderte Herr Schlüter, der damit
allerdings nicht alle Bedenken zerstreuen konnte.
Die Präsentation der zweibändigen Klavierschule 2000 (Uli Molsen, Mirja Leihenseder,
Gabriele Stenger-Stein) steche durch ihre multimediale Vielseitigkeit hervor, lobte eine Studentin den dritten
Vortrag. Das Lehrwerk vermittle verschiedene Ansatzmöglichkeiten, die je nach individueller Neigung und
Lernfähigkeit des Schülers eingesetzt werden können, erläuterte die als Referentin anwesende
Koautorin Frau Stenger-Stein. Analog zu den Erkenntnissen des Spracherwerbs werde zunächst das auditive
Lernen als Basis gefördert. Den variablen Umgang mit den kindgerechten Improvisationsspielen vermochte
sie lebendig darzustellen. Die Praxisnähe der Lehrinhalte wurde in den mit Beifall bedachten Videoaufzeichnungen
einiger Unterrichts- und Vorspielsituationen augenscheinlich und hörbar gemacht. Einige der erfahrenen
Kollegen stellten unter dem Eindruck der Videoaufzeichnungen allerdings die Frage, ob nicht der Beginn mit diesen
für die Improvisation geeigneten, meistens pentatonischen, klangmalerischen Stücken die Ausbildung
des Wahrnehmungs- und Gestaltungsvermögens von elementaren melodischen und harmonischen Vorgängen
vernachlässige.
Anfangsunterricht
Ein umfassendes, methodisch lückenloses Konzept für den Beginn im Vorschulalter bietet die dreibändige
Klavierschule Klavierspielen mit der Maus von Bettina Schwedhelm. Als motivierende Leitfiguren gestalten
die Maus und der Elefant aus der Fernsehserie Die Sendung mit der Maus das
Unterrichtsgeschehen in Form fantasiebetonter und lebendiger Spielsituationen. Im ersten Band, so erläuterte
Frau Schwedhelm, stehe der spielerische und experimentelle Umgang des Kindes mit dem Instrument, sowie das auditive
und imitative Lernen im Mittelpunkt einer ersten ganzheitlichen Spielerfahrung. Im zweiten Band diene der Notentext
als Grundlage, musikalische Zusammenhänge zu erfassen und spieltechnische Aufgaben zu erarbeiten. Auf großes
Interesse stieß das Lehrerbegleitheft, in dem wertvolle methodische Erläuterungen und Anregungen
es dem auf dem Gebiet der musikalischen Früherziehung im Allgemeinen unerfahrenen Klavierlehrer erleichtern,
einen erfolgreichen Anfangsunterricht zu gestalten. Unter klaviertechnischen Gesichtspunkten betrachtet, seien
einige der grafischen Darstellungen allerdings nicht ganz vorbildlich, monierten einige Studenten, die mit dem
Lehrwerk offensichtlich detailliert vertraut waren.
Am Ende des langen, mit Diskussionen erfüllten Tages erwartete die Zuhörerschaft eine Präsentation
ganz anderer Art: Maria Leutenstorfer versuchte in den Geist der dreibändigen Klavierschule Das Innere
Hören einzuführen, indem sie eine Unterrichtsdemonstration im Sinne der 1959 verstorbenen Verfasserin
Beata Ziegler gab, deren Enkelschülerin sie ist. Unter innerem Hören, erläuterte
Frau Leutenstorfer vorab, verstehe Ziegler das bewusste Verfolgen und Erleben der Töne, gestützt auf
ideale Klangvorstellung. Es beziehe sich auf alles, was zu einem echten Musizieren gehört, nämlich
auf die Schönheit des Tones, auf die Tondauer und auf die sinngemäße melodische Linienführung.
Das leise, geduldige, fast meditative Erarbeiten glockenhafter Klaviertöne stieß angesichts
der heutzutage meistens bild- und spaßorientierten, konzentrationsschwachen Kinder auf große Bedenken,
fasste eine Studentin die Meinung vieler Anwesender zusammen. Bedauerlicherweise reichte die Zeit nicht, um
das hervorragende pädagogische und musikalische Konzept der Klavierschule in angemessener Ausführlichkeit
vorzustellen.
Wir sollten nicht vorschnell beurteilen, warnte der Leiter des Symposiums Marco Antonio de Almeida,
sondern die vorgestellten Konzepte eine Zeit lang erproben, um dann die gewonnenen Erfahrungen austauschen
zu können. Was blieb? Viele offene Fragen, aber auch viel versprechende Anregungen und der Wille,
wiederzukommen das Thema des Symposiums traf offenbar den Nerv der klavierlehrenden Basis.