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nmz-archiv
nmz 2002/02 | Seite 38
51. Jahrgang | Februar
Jazz, Rock, Pop
Die Echtzeit-Glücksmaschine
Newcomer-Band des Jahres 2001: beigeGT präsentieren Jukebox Heroes
Sie waren die Newcomer des Jahres 2001: beigeGT, eine Band(e), die die Pop-Welt erneuert, weil sie sich auf
deren älteste Kräfte und Motive besinnt. Pop-Musik verdankt sich, wie die Liebe, einem Paradox. Dass
sie immer wieder neu beginnt, obwohl sie uralt ist. Wer anfängt, weiß zwar, dass andere längst
am Ende sind, aber er spürt und glaubt es nicht. Und es gibt ein weiteres Paradox, das mit dem ersten zusammenhängt:
Es gibt nichts Trostloseres, als eine alte Band, die partout Kraft und Optimismus verbreiten möchte
und nichts Euphorischeres als eine junge Band, die cool und zynisch ist. Nietzsche, der Sexy-Philosoph auch
der jüngeren Generation, formulierte das so: Nur wer über einen starken Glauben verfügt, kann
es sich leisten, zu zweifeln.
Absolute Beginners sind beige-GT nicht: Sie fangen nicht naiv an, sondern wissend. Jeder einzelne
Ton, jede kleinste Pose, die sie einnehmen, zeugt davon, dass sie wissen, was es schon alles gegeben hat. Anfang
reimt sich bei diesem Quintett auf Archiv, Begeisterung auf Bescheid-Wissen. Wo der stumpfere Rock auf Authentizismus
setzt, ist bei beigeGT alles Inszenierung. Selbst Vitalität und Enthusiasmus bedürfen der Form.
Nicht rotzfrech, sondern reflektiert: beigeGT.
Foto: Sebastian Mayer
Auf dem PR-Beiblatt für die Presse kritisiert das eingekaufte Infoschreiberteam die Band für
den Namen ihrer Debüt-CD: Jukebox Heroes. Aber dieser zur Schau gestellte (Über-)Mut in
kalten neoliberalen Zeiten ist nicht nur in der wärmenden Indie-Nische, sondern auch in der Sache völlig
fehl am Platz. Die Jukebox ist alles andere als ein Symbol der krudesten Anbiederung. Sie ist selbst schon Metapher;
vielfach vermittelt; und etwa durch Peter Handkes Versuch über die Jukebox Teil der Suhrkamp-Kultur
geworden. Das, was durch die Jukebox geht, ist beides: das, was das Volk hören will, was mit
seinem Innersten kommuniziert und reine Medialität, Produkt von Geschichte und Geschäft.
Die Jukebox-Heroes sind ganz und gar synthetische Geschöpfe, gerade wenn sie von dem sprechen, was sich
scheinbar dem Zugriff der Gesellschaft entzieht.
Die fünf von beigeGT sehen ihre Ursprünge unter anderem im Punk. Aber sie sind nicht rotzfrech,
sondern sehr reflektiert. Nicht Kinder der Straße, sondern eher der Kinos und Kunstausstellungen und,
vor allem, der Discos. Die Teichmann-Brüder sind etwa als gefragte DJs Nomaden der kosmopolitischen Club-Szene,
nächtliche Rastellis, die in der Rotation der Scheiben immer wieder die kleinste Schnittmenge für
das aufregend Neue entdecken. Hier aber, als Teil einer wüsten und doch immer wieder popistischen
Gitarren-Band sind sie enthemmteste Schlagzeuger und Moog-Zauberer. Und die Guitarreros Wolfgang Reutter und
Martin Haygis (von dem die lyrics stammen) verströmen als singende Frontmen-Poser einen coolen Altmänner-Weisheits-Sex,
der nur davon profitieren kann, dass die Körper noch jung, also wendig und kraftvoll sind.
Ihre Konzerte und ihr Album beginnen sie mit einem kunstvoll aufgebauten, sich allmählich steigernden
Instrumental-Intro, das wie die Ouvertüren großer Opern die Themen und Motive schon versammelt. Dann
geht es, im heftigsten und doch minimalistischen Gitarre-Bass-Schlagzeug-Gewitter nah zu den Ursprüngen:
sie selbst nennen The Fall ein Song ist sogar eine explizite Hommage an diese Natur-Sound-Maniacs
, dem ferneren Zuhörer aber kommt mehr noch und begeisternder die sophisticatede Viererbande der
wilden Früh-80er in den Sinn: Gang of Four, denen die eben von Diedrich Diederichsen und Co.
übernommenen Sounds einst eine Titelgeschichte unter dem heute vielleicht verständlicheren
Titel Hegels Milzbrand widmete. Was aber Mark E. Smith nicht einmal in den glamourösesten Fall-Zeiten,
denen mit Brix an seiner Seite nämlich, vermochte, das schaffen beigeGT scheinbar völlig anstrengungslos:
in die pure g-b-dr-Energie kleine selige Melodie-Inseln hineinzumontieren. Zur rohen Kraft, zum puren Sex gesellt
sich sofort das Sentiment, die kleine romantische Geschichte, der Kurzfilm heftigster Gefühle.
Selten habe ich eine Gitarren-Band gehört, die so selbstverständlich ganz andere Sounds und Stimmungen
integrieren kann. Bei beigeGT ist nichts monomaner Übungsraum und noch beim heftigsten Feedback-Lärmen
denkt man nicht an Jetzt-zeigen-wirs-der-Welt-Overkill. Diese Musik bleibt freundlich, gewissermaßen
sozialverträglich, man kann sie sich im besten Sinn in Bars und an Stränden vorstellen.
Dazu passt das Grenzenlose und Bewegliche der Songs: das Wechseln zwischen verschiedenen Sprachen, die Ungeniertheit,
mit der Rio, die Disco oder der TGV herbeizitiert werden. Auch die Selbstironie gehört zu den raren Kompetenzen
der Band: Das wunderbare She is cool now bekommt folgende erklärende liner notes: Young
hardrock highschool gigolo again and again in love with Josephine, Sylvia, Angelie... Manchmal ist nichts
so aufregend, wie Frauen beim Namen zu nennen. beigeGT, die mit Jukebox Heroes (Lage dor/Zomba)
eines der komplettesten Debüts des Jahres vorlegten, sind vor allem auch eine Live- und Party-Band; sozusagen
eine Echtzeit-Glücksmaschine. Und man muss bei ihnen kaum befürchten, was sie selbst mit Pokerface
über ihr Frühwerk Wake up in the dishes schreiben: Party passion and how it can
end. Da fehlt noch was. Aber manchmal ist genau die Lücke am Ende entscheidend.