[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/02 | Seite 38
51. Jahrgang | Februar
Jazz, Rock, Pop
Nachschub
Schwarze Kreise, weiße Kreise
Die Erfindung des RocknRoll war ein Kompromiss und ein Notbehelf: Die Musik der Schwarzen war
in den frühen 50er-Jahren einfach besser, aufregender, sexier aber sie war misfit,
nicht gesellschaftsfähig. Sie blieb beschränkt aufs Ghetto, auf die eigene Ethnie, kurz: race
music. Wenn der RnB eine Chance bei den weißen Mittelstands-Kids haben wollte, dann
musste er zuvor weiß (gewaschen) werden. Spätestens bei Elvis wurde die Rebellion intim und privat:
nicht mehr Rassen- oder Klassenkampf, sondern nur noch teenage riot, sexuelle Revolution aus dem
Geist der Nach-Pubertät.
Jetzt ist (scheinbar) alles anders: die Einflüsse gehen kreuz und quer; es herrscht das Prinzip einer
fröhlichen Vermischung. Die arbeitslosen schwarzen Kids in den Motor Cities des Mittleren Westens orientieren
sich an der Kraut-Elektronik der 70er-Jahre und werden afro-germanic. Und die Pop-Charts haben sich
längst dem Regime des black is beautiful ergeben. Das heißt aber nicht, dass sich im
Bann der musikalischen Globalisierung und einer medien- und computergestützten Selbstbedienung im universalen
Archiv alle Identitäten und Traditionen aufgelöst hätten.
The Notwist aus Weilheim/Oberbayern etwa, das derzeit vermutlich hippeste und subversivste Pop-Projekt hier
zu Lande, bastelt seine suggestiven Songs aus einer Vielzahl disparater Elemente; jeder Einfluss wird erprobt
und ist recht; natürlich ist auch die Erinnerung der Acher-Brüder schwarz. Was auf dem Vorgänger
Shrink der Jazz war, ist jetzt, auf dem neuen, fünften Notwist-Album Neon Golden
(City Slang/Virgin Labels), versteckt und vertrackt, der Blues. Und doch ist ihr Pop, der etwas Paradoxes will
die Popularisierung des Peripheren, das Extreme, ganz Eigene als Mainstream unverkennbar weiß.
Vielleicht weil ihre Vor-Bilder in ihrer wüsten Gitarren-Phase die Roh-Metal-Wüstlinge von Motörhead
und der Transgression-Punk der Wipers und später dann, im Übergang zur Elektronik- und Frickel-Phase
die anämisch-spacigen Tüftler von Talk Talk waren. Vermutlich noch mehr, weil das Prinzip ihrer Arbeit
bei allem perkussiven Raffinement und ungeachtet eines dunkel-hypnotischen Flows konstruktiv ist, Schicht-Arbeit:
Sammeln, Prüfen, Weiterverwerten, Überlagern und Löschen.
Hinzu kommen die Acher-Texte, die nicht von Sex und Revolte handeln, die nicht physisch sind, Vitalitäts-Überschuss,
der nicht weiß wohin mit seiner Kraft und seiner Bedürftigkeit, sondern die reflexiv und referenziell
daherkommen, als verrätselte Flaschenpost aus dem Labyrinth der Existenz. Im Notwist-Pop ist das Subjekt
vom Verschwinden bedroht: Im not in this movie, Im not in this song. In der herrschenden
Geschichte hat es keinen Platz; die neue zeigt sich noch nicht; oder höchstens in einer Fülle von
abbrechenden, sich ergänzenden, verästelnden, unentwirrbaren Gegen-Geschichten.
The Notwist ist nicht das ganze Leben der Acher-Brüder, daneben gibt es, nur unter anderem, Village of
Savoonga, das Tied and Tickled Trio und Lali Puna oder, vermittelt durch den Notwist-Elektroniker Martin Gretschmann,
Console, avancierte Hörpiele und, mit der Väter-Generation, Dixieland-Sessions oder, mit den Müttern,
Intimes auf dem Hackbrett. Nicht zufällig heißt das Label, das den Landsberg-Weilheimer Kosmos vertritt,
Hausmusik. Dieses Universum ist offen, unendlich, unabgeschlossen und unübersehbar weiß.
Noch heller als der Notwist-Pop sind klassische Genres wie Folk und Country. Von Hazeldine ist
jetzt endlich ein legendäres und verschollenes Album auch in Europa offiziell zu haben: Orphans
(bei Glitterhouse), eigentlich schon 1998 produziert, aber rasch im Niemandsland von Label-Streitigkeiten verschollen,
bietet zehn wunderbare Cover-Versionen, von Thin Lizzys wüst-irischem Kneipen-Stomp Whiskey in the
Jar bis zu Gram Parsons herzzerreißendem Song For You, der den wehmütigsten Traum
aller Lebenden und Liebenden beschwört: And tomorrow we will still be here. Mit auf dem Album:
Zerbrechliches von Sparklehorse (Heart of Darkness), Radioheads Lucky und sogar, recht
akzeptabel, Cuckoo Cocoon vom Genesis-70er-Jahre-Konzeptalbum Lamb Lies Down On Broadway.
Ebenfalls sehr weiß, sehr melancholisch und so unentbehrlich wie The Notwist und Hazeldine: Das neue
Walkabouts-Album Ended Up A Stranger (Glitterhouse), mitproduziert von Larry Crane, der auch bei
den jüngsten Go-Betweens und Sleater-Kinney-Alben seine Hände im Spiel hatte. Ein Patchwork von Einflüssen
(bis hin zu, erstaunlicherweise, wiederum Talk Talk), Mikro-Musik aus verschollenen Ereignissen, aus Erinnerungsfetzen,
aus Vergangenheits-Rekonstruktion, eine absichtlich eklektische Sammlung von Songs, wie Walkabouts-Alpha-Tier
Chris Eckman selbst meint und doch sehr eigen und eingängig, voluminöser in den Arrangements,
gelegentlich fast Folk-Opernhaft.
Nach so viel Weißem etwas Tiefschwarzes: das neue, wunderbare Cypress-Hill-Album Stoned
Raiders (Columbia/Sony), das sich vom smooth-gemeinen Gangsta-Rap-Flow à la Ice Cube genauso unterscheidet
wie von der harten Edutainment-HipHop-Tradition der Ostküste. Stoned Raiders gelingt ein Paradox:
Archiv-Arbeit, die authentisch wirkt; ein Montage- und Sample-Werk von unbezweifelbarem Fluss. Here Is
Something You Cant Understand heißt der Ender dieses Albums aber das ist
so nicht richtig. Auch Gegen-Geschichten lassen sich entziffern, auch andere Referenzen folgen einem Kode, Alterität,
wie es heutzutage so schön heißt, ist Wille, nicht Schicksal.