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nmz-archiv
nmz 2002/02 | Seite 20
51. Jahrgang | Februar
Rezensionen
In der Wüste der Eitelkeiten
Teil von Robert Carsens Antwerpener Puccini-Zyklus auf DVD
Giacomo Puccini: Manon Lescaut; Miriam Gauci (Manon), Antonio Ordoñez (Des Grieux), Jan Danckaert
(Lescaut), Jules Bastin (Geronte), u.a., Chor und Orchester der Flämischen Oper, Silvio Varviso; Inszenierung:
Robert Carsen, Ausstattung: Anthony Ward; Bildregie: Dirk Gryspiert (1991, live)
Arthaus/Naxos DVD 100 224 (124)
Das musste ja so kommen: Schon die Einschiffung in Le Havre wurde zur Gerichtsverhandlung unter eindeutigen
Vorzeichen. Eine Meute aufgetakelter Richter schickte Manon ins amerikanische Exil. Aber dort stößt
man selbst in der Wüste auf den Talmi-Glanz einer verlogenen Konsum-Gesellschaft: Hinten türmt sich
goldener Unrat. Vorne: eine glitzernde Schatulle. Mit letzter Kraft schleppt sie sich zu ihr, öffnet und
legt funkelndes Geschmeide an. Denn sie will schön sein. Auch im Tod.
Manon, die Karrierefrau. Manon, das nach Liebe gierende Luxus-Weib. Manon auch, die obsessive Zerstörerin
ihrer selbst. Diese Facetten bringt Robert Carsen nicht nur im Finale zwingend auf den Punkt. Doch so abstrakt,
so poetisch er Aufstieg und Fall der Manon Lescaut auch erzählen mag Puccinis Vorgaben werden immer
erfüllt. Nur die Pariser Schickeria geriert sich während der ersten drei Akte in windschiefen, surreal
anmutenden Spiegelwänden. Das irritiert. Das erzeugt Spannung. Es macht klar: Manons Versessenheit auf
Reichtum und Pomp ist auch das Ergebnis ihrer feudal organisierten Umwelt. Die hilflose Femme fragile ist Miriam
Gauci deshalb noch lange nicht. Kraftstrotzend und mit samtener Piano-Kultur stürzt sie ins eigene Unheil.
Dagegen zeigt Antonio Ordoñez: man braucht keine Riesenstimme um Des Grieux messerscharf zu gestalten.
Genauso ist Jules Bastin als Geronte ein konturreicher Lüstling. Widerspricht das nicht der Musik? Ihrem
süßlichen Melos? Nicht bei Silvio Varviso, ein begnadeter Begleiter und sublimer Klangregisseur in
Personalunion. Die für Puccini ungewöhnlich sinfonischen Ausmaße der Partitur gestaltet er nicht
nur intelligent, sondern auch hochmusikalisch. Trotzdem: In den Vordergrund drängt er sich nie. An den
entscheidenden Stellen trägt er seine Sänger auf Händen und macht zugleich subtilste Kammermusik
im goldenen Käfig.