[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 35
51. Jahrgang | April
Oper & Konzert
So viel Merz und China gab es noch nie
Das neue MaerzMusik-Festival der Berliner Festspiele
MaerzMusik heißt ein neues Kind in der Familie der Berliner Festspiele. Ganz neu aber ist
es nicht. Es ersetzt die bisherige Musik-Biennale. Die fand, 1967 gegründet vom Komponisten-Verband
der DDR und dann übernommen von den Festspielen, bisher alle zwei Jahre statt in Berlin, insgesamt 18-mal.
Die Tatsache, dass der Bund nun allein die Festspiele GmbH finanziert, ermöglichte eine neue alljährliche
Ausrichtung des Festivals. Man brauchte ein neues Konzept, einen neuen Namen und wählte den des Veranstaltungsmonats
nicht ohne Hintersinn.
Straßen-Szenen, Demonstrationen, Aufmärsche archaisch kampfbereiter Ordnungshüter. Trickreich
werden sie per Bildschnitt vereinzelt, zerstreut. Projiziert an die graue Kiesel-Natur-Steinwand des oberen
Foyers des Hauses der Berliner Festspiele wirkt das besonders unwirklich, wie aus einer anderen Welt. Im unteren
Foyer, der late lounge, wie der Kassenraum der früheren Freien Volksbühne für die
Spätvorstellungen der MaerzMusik umbenannt ist, bollert es laut aus dem Computer. Ein DJ klickt
fleißig immer neue Displays auf seinem Apple. Das klingt manchmal sehr durchschnittlich, manchmal
bizarr. Der chinesische underground zu Gast in Berlin. Gespannt war man schon, was das denn sei:
chinesischer underground? Bis 1992 war underground tatsächlich so was wie underground.
Dort hatten die Leute ihren Protest artikuliert gegen das Regime und die offizielle Kultur. Heute ist Underground
die chinesische Popszene, wie man erfuhr, und Underground ist mutiert zum Mainstream.
Cage auf der Couch? Cage-Marathon als akustische Perle. Foto: MaerzMusik
China, der Musik der diversen Chinas, war ein Schwerpunkt des neuen MaerzMusik-Festivals der Berliner
Festspiele gewidmet. Da spielte in einer langen Nacht das Nieuw Ensemble Amsterdam Werke chinesischer
Komponisten, die teils in der Volksrepublik, teils in der chinesischen Diaspora leben, für europäisches
Instrumentarium, und der taiwanesische China Found Music Workshop spielte Werke westlicher und chinesischer
Komponisten für traditionelles chinesisches Instrumentarium. Kontakt mit der westlichen Moderne hatten
die hier präsentierten Komponisten alle. Am überzeugendsten wirkt ihre Musik, wo sie den eigenen Gestus
wahrt, wo sie diese sehr besondere Klangsinnlichkeit des chinesischen Instrumentariums auch für das westliche
fruchtbar macht. Wie zum einen der 1961 geborene Xo Shuya, der in seiner Musik sich auch stark beeinflussen
ließ von buddhistischen Tempelgesängen, in Vacuité / Consistance; und insbesondere
auch der schon 1993 jung verstorbene Mo Wuping mit Fan II. Beide Komponisten konnten nach anfänglichen
Studien in China in Paris weiterstudieren. Beide kehrten sie in ihr Land zurück.
Heilfroh dürften die Planer der Berliner Festspiele sein, dass sie den sarazenisch gusseisern verknappten
Töpfen des Berliner Kulturhaushalts entronnen sind. Nach dem Übergang der Festspiele unter die Fittiche
des Bundes wollten sie nicht mehr kleckern in Sachen aktueller Kunst. Die nach der Wende von der DDR geerbte
Musik-Biennale wurde ausgemerzt zugunsten eines alljährlichen Festivals für
aktuelle Musik, wie es im Untertitel heißt. Pate bei der Titelfindung stand nicht zufällig
der Merz-Künstler Kurt Schwitters. Den Musikbegriff will der neue Festivalmacher Matthias Osterwold bewusst
offen halten mit Schnittstellen hin zur Rock- und Popszene und zur bildenden Kunst.
Geschickt eingebaut ins Programm war ein zwölfstündiger Cage-Marathon draußen in den ehemaligen
Studios des DDR-Rundfunks. Zumal der große Sendesaal erwies sich als akustische Perle. Cages zentraler
Fontana-Mix, sein Aufbruch in die zufallsgesteuerte Geräuschkunst, wurde da zum Ausgangspunkt
für eigene Versionen lebender Komponisten. Überzeugen konnte insbesondere Dieter Schnebels
Ausarbeitung für Cello, Sax und zwei Tänzer. Als Taktgeber wirkte eine zwölfmalige Aufführung
der Stille-Musik 433, die Cage vor genau 50 Jahren kreierte als Protest gegen die Geräuschberieselung
durch MUZAK. Nicht größer denkbar der Kontrast dazu mit dem neuen szenischen Versuch an Stockhausen.
Des Meisters des Bestimmten Früh-Stück, Michaels Jugend, der erste Akt des Donnerstag
aus dem siebenteiligen Licht-Zyklus, wurde da von einer jungen Truppe ohne Stockhausens direkte
Vorgaben erarbeitet. Erstaunlich die Perfektion der jungen Sänger und Musiker. Allzu sehr am Gewohnten
kleben blieb freilich die Regie von Cornelia Heger.
Wenig Glück auch hatte man mit den Programmzutaten aus den zu den bildenden Künsten angrenzenden
Bereichen. Schon der Vorabend des Festivals mit einer Licht-Raum-Installation von Claudia Doderer
und Klaus Lang unter dem Titel kirschblüten.ohr geriet künstlerisch allzu schmal. Eine
halbstündige Einstimmung der inneren Konzentration mit Musik am Rande der Unhörbarkeit sollte das
sein in einem Innenohr-artigen Ambiente auf der Bühne des Hebbel-Theaters. Weitaus ergiebiger dann doch
die Widerbegegnung mit La Monte Youngs Well-Tuned Piano im Kassenraum der ehemaligen Staatsbank
der DDR, auch wenn dies Kultstück der 70er-Jahre hier nur zu erleben war von der DVD in der mit Punktlicht
in blau und magenta schwach erleuchteten Halle, und man noch viel schönere Erinnerungen hat ans Original.
Doch ließ man sich ein auf die wieder und wieder angeschlagenen Akkorde des rein gestimmten Klaviers,
konnte man doch gleichsam mitschwingen, eintauchen in diese sehr besondere Welt schwebender Klänge.
Ein harter Kontrast das umjubelte Schlusskonzert: Die konzertante Neuaufführung eines Kultalbums der
70er-Jahre, der Metal Machine Music von Lou Reed mit der Gruppe Zeitkratzer. Entstanden
waren die viermal sechzehn Minuten durch Rückkopplung ins Geräuschhafte überdrehter Gitarren-Tunes
als Heimstudio-Arbeit des einstigen Velvet Underground-Gitarristen. Der eben 60-jährige Reed
war selbst angereist, zeigte sich nicht nur bewegt so wie er immer mit seiner Musik habe
bewegen wollen, physisch, mental. Er stieg mit bis an die Schmerzgrenze getriebenem Feedback auch selbst ein
in seine elektrische Zwitschermaschine. Dass er mit dieser Noise Music den Bogen schlug einst zu
den Avantgardisten der frühen 20er-Jahre, war für ihn damals sekundär. Metal Machine Music
habe er gemacht für den Weltfrieden, wie er knapp und dunkel auf eine entsprechende Frage ins
Mikrofon murmelte.
Etwas schmal bestückt bei diesem Festival war der eigentliche Kernbereich der neuen Musik. Wolfgang Rihms
50. Geburtstag, gefeiert allüberall, bildete da das Zentrum mit Arbeiten auch seiner Schüler Jörg
Widmann und Dietrich Eichmann. Indes war der Zeitvorlauf für die Planer mit gerade mal einem Jahr denkbar
kurz. Diese MaerzMusik Eins war eher wohl eine Probenummer.