[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 35
51. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Musik-Lego
Caines Diabelli-Variationen
Über Bearbeitungen klassischer Meisterwerke rümpft man gerne die Nase. Für manche sind sie ein
Sakrileg, es sei denn, der bearbeitende Komponist ist selbst ein Meister. Die 33 Veränderungen über
einen Walzer von Anton Diabelli op. 120, die Diabelli-Variationen, die Ludwig van Beethoven
1823 veröffentlichte, stellen die Vorlage weit in den Schatten, sind ein selbstständiges Musikkunstwerk
an sich. Darüber sind sich Kenner der Klavierliteratur und das Publikum einig.
Nun hat der amerikanische Pianist Uri Caine, der für seine Bearbeitungen von Mahler-Symphonien bereits
international ausgezeichnet worden war, den Diabelli-Zyklus neu arrangiert. Und zwar für Klavier und Orchester.
Diese bearbeitete Bearbeitung hatte am 23. Februar 2002 in der Kölner Philharmonie Premiere.
Mit dem Concerto Köln, das sich als hervorragendes Ensemble für Alte Musik profiliert, hat Uri Caine
seine Ideen zu den Diabelli-Variationen verwirklicht. Am Hammerflügel stellte er zunächst
das Thema in der Original-Version, um dann durch Stimmensplitting die folgenden Partien in neue Klangfarben
zu tauchen.
Plötzlich war Alla Marcia maestoso ein schräger Rag, das Orchester lenkte in Swing um,
spielte das Listesso tempo in hinkendem Pizzicato. Und Uri Caine mischte sich solo improvisierend
ins Geschehen, mal bluesig, mal mit bizarrer Barmusik oder im exzessiven Stride-Piano-Stil. Seine Diabelli-Variationen
entpuppten sich als Schnittfolgen von Original und jazziger Adaption, waren letztlich ein Musik-Legospiel mit
den Bausteinen, die Beethoven bereitgestellt hatte.
Diese liebevolle Ironie im Umgang mit Beethovens Meisterwerk hatte würdigen Respekt zum Vorbild, doch
auch genug Selbstbewusstsein des eigenen Könnens. Dem Erstaunen über ungewohnte Klänge folgte
Begeisterung für eine neue Klassik-Dimension des Jazz-Piano-Konzerts.