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nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 56
51. Jahrgang | April
Dossier: Schulmusik 2002
accompagnato im Namen der Selbstreflexion
Ein neues Modell von Musiklehrer-Fortbildung verspricht große Erfolgschancen
Der Ruf nach fachlich kompetenter und durch eine Art Supervision unterstützter kontinuierlicher Begleitung
von Musikkolleginnen und -kollegen verhallt derzeit noch weitgehend unerhört. Man ist im Schulalltag, nicht
nur als Musiklehrer/-in, vor allem auf sich allein gestellt. Die Probleme vieler auch engagierter
Lehrkräfte in Bezug auf Überlastung, Vereinsamung, die Erhöhung der Lehrerarbeitszeit, das Burn-out-Syndrom,
die Überalterung der Kollegien sowie eine oftmals zu geringe Unterstützung seitens der Arbeitgeber
sind hinlänglich bekannt. Konträr dazu stehen immer lauter werdende Forderungen nach Teamfähigkeit,
Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft, (Selbst-)Evaluation und lifelong learning. Diese Aspekte
lassen sich in der Institution Schule gegenwärtig weder erlernen noch ohne unnötige Reibungsverluste
umsetzen. Immerhin gehören die Fragen einer sinnvollen Lehrerbildung und von Evaluation mittlerweile
nicht zuletzt wegen der heiß diskutierten Schulleistungsstudien zum Standard der aktuellen pädagogischen
Diskussion.
Mit accompagnato könnte sich schon bald ein neuer Typus von Lehrerfort- und -weiterbildung
(im weiteren Sinne) etablieren, der im Prinzip auf alle Fächer übertragbar ist und den Lehrkräften
wertvolle Hilfen für die Eigen- und Fremdwahrnehmung unterrichtlicher Prozesse geben kann. Der 1997 am
Institut für Musikpädagogik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien entwickelte
und auf jeweils ein Jahr konzipierte Lehrgang accompagnato Brücken zwischen Studium und Beruf
des Musiklehrers wird unter der Leitung von Brigitte Lion-Slovak, Franz Niermann und Christine Stöger
seitdem regelmäßig durchgeführt. Er verknüpft die Berufseinführung mit der Weiterbildung
von Musiklehrerinnen und -lehrern und ist wie auch die weiteren Instituts-Angebote animato,
con brio und continuo eine innovative, gut angenommene Form der Weiterbildung.
Die Teilnehmer setzen sich aus Studierenden, Unterrichtspraktikanten (das einjährige österreichische
Praktikum entspricht in etwa dem deutschen Referendariat) oder Berufsanfängern und erfahrenen Lehrkräften
zusammen. Es ist beabsichtigt, die Eigenheiten der verschiedenen Lernphasen zu erkennen, zu nützen
und sie miteinander zu verschränken1. Die traditionell eher getrennten Bereiche Aus- und Weiterbildung
werden durch gegenseitige Unterrichtsbesuche in kleinen, betreuten Hospitationsgruppen und nachbereitenden Seminarsitzungen
(im Plenum) vernetzt, wodurch im Idealfall ein Lernkreislauf entsteht, der später von den Teilnehmern
immer wieder selbstständig durchlaufen werden kann2. Es handelt sich also um eine Form von stark
individualisierter Weiterbildung im weiteren Sinne mit Hochschulanbindung, die den Vorteil hat, dass sie in
einem bewertungsfreien Raum stattfindet und altersmäßig breit gestreute Adressaten erreicht. Die
Teilnehmer können durch eine ständige Pendelbewegung zwischen Alltagspraxis, Reflexion und theoretischen
Impulsen in einer Art musikpädagogischer Werkstatt ins Gespräch kommen und dabei voneinander
profitieren.
Warum diese Art kollegialer Supervision? Dieses ursprünglich aus sozialen Arbeitsfeldern und
der klinischen Psychologie stammende Verfahren ist gut geeignet, um in einem von gegenseitigem Vertrauen geprägten
Klima man sitzt im gleichen Boot im Team über die eigenen Stärken und gemeinsam
zu analysierenden Schwächen nachzudenken. Es hat sich gezeigt, dass Fortbildungen im so genannten KOPING-Verfahren
(Kooperative Praxisbewältigung in regional nicht allzu weit entfernten Kleingruppen, flankiert von mehreren
Treffen der Gesamtgruppe) eine hohe Effizienz haben3.
Bei accompagnato nimmt ein unterrichts- und weiterbildungserfahrener Hochschulvertreter moderierend
an den Auswertungsgesprächen teil, die in der Regel ein vom Unterrichtenden zuvor formuliertes Anliegen
zum Schwerpunkt haben, zum Beispiel Unterrichtseinstieg, Gesprächsführung, Disziplin, Gruppenarbeit,
Bewertung oder Schließen. Diese Themen werden in den Plenumssitzungen durch zusätzlich vorgegebene,
zentrale Themen des Lehrerberufes ergänzt. Feste Regeln für die Stundennachbesprechung sowie gemeinsam
erworbene Beobachtungs- und Feedbacktechniken spielen eine prägende Rolle. Durch systematisches Auswerten
der Erfahrungen werden neue Spielräume für individuelle Lernbewegungen und Transferleistungen gewonnen.
Das eben beschriebene Wiener Modell bildet die Grundlage für das auf drei Jahre angelegte Comenius-Projekt
accompagnato Brücken zwischen Studium und Beruf des Musiklehrers: ein Curriculum. Mit
Schweden (Umeå), Slowenien (Ljubljana), Österreich (Wien) und Deutschland (Hannover) sind vier Länder
und zugleich Musikhochschulen am Projekt beteiligt, die sich zur Adaption nicht Imitation! des
Wiener Modells verpflichten. Es gibt durchaus unterschiedliche Voraussetzungen und Vorerfahrungen, die es zu
nutzen gilt, zum Beispiel in Hannover schon seit 1995 vielfältige Formen der Kooperation zwischen den verschiedenen
Ausbildungsphasen. So finden im Studiengang Schulmusik (Sekundarstufe I und II) regelmäßig Kooperationsseminare
mit dem Ziel der Verzahnung der 1. und der 2. Phase statt, außerdem gibt es viele (schul-)praxisbezogene
Angebote wie die von engagierten Mentorinnen und Mentoren betreuten Hospitationen und Lehrversuche
des 3. und 4. Semesters. Durch diese Veranstaltungen soll der Blick nach vorn gerichtet, der von den Referendarinnen
und Referendaren oft als problematisch empfundene Übergang von der 1. zur 2. Ausbildungsphase in einen
neuen Zusammenhang gestellt und damit die Spannung zwischen der Theorielastigkeit des Studiums und
der vermeintlich ausschließlichen Praxisorientierung des Referendariats überwunden werden.
Accompagnato möchte allerdings noch mehr erreichen. Es soll nicht nur der Einbezug der 3.
Phase umgesetzt, sondern auch eine professionelle (Selbst-)Reflexion im Sinne eines lifelong development4
erreicht werden. Zu diesem Zweck werden E-Learning-Materialien entwickelt und in den beteiligten Hochschulorten
erprobt. Lernplattformen können hier helfen, zudem wird ein Dozententraining stattfinden. Der Einsatz von
E-Learning-Elementen muss allerdings genau überlegt werden.
Klaus Winkels Forderung nach einem neuen Zentrum für Lehrerbildung zur Milderung der Differenzen
zwischen Theorie und Praxis5 ist prinzipiell zuzustimmen. Mit dem accompagnato-Projekt liegt eine
ähnlich effektive Alternative vor, die allerdings wesentlich preisgünstiger und zum Beispiel für
das Fach Musik wegen der Hochschulanbindung sicher attraktiver ist. Zudem wird eine Realisierung im Fach Musik
über die Kooperation mit der Hochschule erheblich früher als für andere Fächer möglich
sein, da die Institute für Musikpädagogik beziehungsweise die Schulmusik-Abteilungen diese Aufgabe
nicht nur aus eigenem Interesse wahrnehmen werden, denn durch die institutionelle Anbindung an eine Hochschule
dürfte auch die Motivation der potenziellen Teilnehmer deutlich gestärkt werden.
Nicht nur wegen der aktuellen bildungspolitischen Forderungen nach Teamfähigkeit, Kooperationsbereitschaft
und Evaluation ist das accompagnato-Projekt ein überzeugendes innovatives Konzept mit beachtlicher
Tragweite und große Erfolgschancen. Hier werden die Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer Persönlichkeit,
ihren individuellen Stärken und Ressourcen, aber auch ihren Schwächen ernst genommen.
Klaus-Jürgen Etzold
Anmerkungen
1 Christine Stöger: accompagnato Brücke zwischen Studium und Beruf des Musik-lehrers. In:
Deutscher Musikrat: Memoran-dum Musikpädagogik. www.deutscher-musikrat.de/bufa_mp
2 Christine Stöger, a.a.O. Weitere Informa-tionen zur Konzeption und den Veranstal-tungen des Wiener
Instituts für Musikpäda-gogik unter www.musikpaedagogik-wien.at
3 Silke Traub: Lehrer lernen Freiarbeit. Beschreibung und Analyse eines Lehrerfort-bildungskonzepts. In: Die
Deutsche Schule, 94. Jg. 2002, Heft 1, S. 50 ff.
4 Am Wiener Institut für Musikpädagogik wird es im Mai 2003 einen internationalen Kongress zum Leitgedanken
des lifelong development geben.
5 Klaus Winkel: Auf dem Weg zu einer professionellen Lehrerbildung? In: Die Deutsche Schule, Heft 6/2000,
S. 226 ff. Weitere innovative Ansätze zur Evaluation finden sich neben den Veröffentlichungen von
Jürgen Oelkers und Ewald Terhart in H.-U. Grunder/T. Bohl (Hrsg.): Neue Formen der Leistungsbeurteilung
in den Sekundarstufen I und II. Hohengehren 2001, im Friedrich Jahresheft XIX 2001 mit dem Titel Qualität
entwickeln: evaluieren, Seelze 2001, sowie im Band Evaluation in der Lehrerausbildung, Seminar
Lehrerbildung und Schule, 2/2001, hrsg. vom Bundesarbeitskreis der Seminar- und Fachleiter/-innen e.V.