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nmz 2002/04 | Seite 55
51. Jahrgang | April
Dossier: Schulmusik 2002
Wie Kinder heute in der Schule komponieren
Eine Gesamtschau der wichtigsten Projekte in Deutschland · Von Volker Michael
Im schulischen Kunstunterricht malen Kinder ihre eigenen Bilder, statt einem Picasso nachzueifern. Im Fach
Deutsch erzählen sie frei erfundene Geschichten, statt Goethe nachzudichten. Nur im Musikunterricht hierzulande
fehlt das kreative Element fast vollständig. Von der hehren Kunst eines Bach, Beethoven oder Brahms lässt
man lieber die Finger. Oder man erlernt ein Instrument so perfekt, dass man den großen Meistern wenigstens
auf interpretierende Weise nacheifern kann.
In Großbritannien dagegen gibt es schon seit vielen Jahren kreativen Musikunterricht mit zum Teil erstaunlichen
Ergebnissen. In Deutschland ist an solchen Unterricht kaum zu denken. Nicht nur an Mitteln und spezieller Lehrerbildung
mangelt es, sondern oft auch am Willen, die Kinder sich ausprobieren zu lassen, auch wenn ihre Musik zunächst
noch so verquer klingen mag. Die Ergebnisse der vielzitierten PISA-Studie bringen nun Eltern, Lehrer, Schüler
und Politiker zum Nachdenken über den Wert kreativer Schlüsselqualifikationen. Auch die Tatsache,
dass durch die rasante Entwicklung der Kommunikationsmedien Kindern und Jugendlichen am heimischen Computer
ganz ungeahnte Wege konsumierender, aber auch kreativer Beschäftigung mit Klängen und Musik offen
stehen, macht eine umfassende Debatte notwendig.
In einigen deutschen Städten von Bremen bis München und Dresden bis Köln und im Bundesland Hessen
gibt es inzwischen einzelne Projekte, die Kinder im kreativen Umgang mit Musik aller Art trainieren. Die großen
Vorbilder für diese Projekte finden sich auf der britischen Insel, vor allem in England und Schottland.
Aller Ruhm eines Pioniers auf diesem Gebiet gebührt einem gewissen John Paynter, der 1957 ein musikpädagogisches
Buch mit dem Titel Kinder können Musik erfinden veröffentlichte. Dieses Buch brachte einige
Pädagogen und Musiker dazu, auf der Insel für die Einführung des kreativen Musikunterrichts zu
kämpfen. Und noch vor 1970 gab es die ersten Versuche. Britische Schülerinnen und Schüler lernten,
frei und selbständig mit Klängen umzugehen. Zunächst in einzelnen Schulen brachten Lehrer Kindern
bei, wie sie aus zwei Tönen einen Rhythmus oder eine kurze Melodie erfinden konnten. Dabei ging es nicht
ums Aufschreiben oder um Theorie, sondern um spontane Kreativität.
Zwei Konsequenzen kann man inzwischen beobachten. Erstens sind britische Musiker und Zuhörer offener,
was moderne Musik angeht. Und zweitens exportiert Großbritannien, das einst das Land ohne Musik
genannt wurde, weil es an der musikalischen Klassik und Romantik auf dem Kontinent so gut wie nicht teilgenommen
hatte, hervorragende Musikerinnen und Musiker. Und das nicht nur in den Sparten Rock und Pop. Dirigenten wie
Sir Simon Rattle und unzählige Chorleiter erobern den Kontinent. Rattle hat nach Berlin einen seiner Weggefährten
aus Birmingham mitgebracht, den Chordirigenten Simon Halsey. Der neue künstlerische Leiter des Rundfunkchors
Berlin neigt allerdings dazu, das Vorbild englischer Kreativerziehung schon wieder zu relativieren:
Wir betrachten Musik, Tanz und Theater als freie Ausdrucksmöglichkeiten. Darin kann sich jeder
Mensch ausdrücken. Und dabei kommt es nicht wirklich darauf an, ob es eine Tradition gibt. Bei uns basiert
alles auf Komposition und dem freien Ausdruck jedes einzelnen. Das ist sehr gut und kreativ. Das ist der Grund,
weshalb Großbritannien so viele Komponisten, Schauspieler und Theaterregisseure hervorbringt. Eine Gefahr
besteht allerdings dann, wenn die jungen Leute es professionell tun wollen, dass ihnen die Grammatik fehlt,
dass sie nicht wissen, wie Musik geschrieben wird. Jemand sagt: Das ist D-Dur. Und sie verstehen
kaum, was gemeint ist. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Ich glaube, dass die Skandinavier, besonders
die Finnen, den richtigen Weg gefunden haben. Sie haben das außergewöhnlichste Musikerziehungssystem.
Jedes Kind erlernt ein Instrument, lernt zu singen, lernt Musiktheorie, lernt zu dirigieren. Vier Millionen
Finnen, und jede und jeder ist praktisch Musiker. Das ist unglaublich. Und die, die keine professionellen Musiker
werden, bilden dann das bestgebildete Publikum der Welt. Wenn wir also ein gutes Beispiel für Musikerziehung
suchen, müssen wir alle nach Skandinavien blicken.
Die jüngst veröffentlichte PISA-Studie gibt Simon Halsey recht. Ein Land wie Finnland hat nicht
nur das bestgebildete Musikpublikum, sondern überhaupt sehr gut und breit gebildete Menschen. Umfassende
Musik- und Kunsterziehung ist also nicht nur ein schönes Hobby und wichtig für Demokratie und Humanität.
Sie nutzt auch den anderen Qualifikationen, die gern als Hauptfächer bezeichnet werden: Sprachen, Mathematik
und Naturwissenschaften. Als internationaler Pionier moderner Musik- und Konzertpädagogik gilt der Londoner
Flötist und Pädagoge Richard McNicol. Er begann auch in den 70er-Jahren mit seinen Orchesterkollegen,
die Kinder in ihren Kindergärten und Schulen zu besuchen, anstatt zu warten, dass diese Kinder mit ihren
Erzieherinnen oder ihren Eltern in die Konzertsäle kämen. Seit 1992 steht er als Musikanimateur in
Diensten des London Symphony Orchestra. McNicol kann schon positive Folgen des kreativen Musikunterrichts bei
seinen jungen Kollegen beobachten: Allgemein kann ich sagen, dass die jungen englischen Musiker, die beispielsweise
in unser Orchester kommen, von ihren Schulen einen Hintergrund mitgebracht haben, Musik zu kreieren. Sie sind
an das Geschäft eines Komponisten gewöhnt nicht daran, Bach oder Beethoven zu sein, aber daran,
mit Klängen umzugehen und sie zu organisieren. Ihre Herangehensweise an Moderne Musik unterscheidet sich
sehr von der der Musiker meiner Generation.
Response-Methode
Vor der Einführung des kreativen Musikunterrichts hätten die Orchestermusiker Kinderkonzerte gehasst,
erzählt Richard McNicol. Um an der Änderung dieser Malaise mitzuwirken, hat McNicol bei seiner Arbeit
mit Kindern und Jugendlichen eine spezielle Konzertform entwickelt, die Response-Methode. Response
also Antwort bedeutet hier: Die Kinder antworten auf ein Stück moderner oder älterer
Konzertmusik mit selbst erfundenen Rhythmen, Melodien oder Stücken, je nach Alter und musikalischer Befähigung.
Das berühmte Konzertstück haben die meisten der Schülerinnen und Schüler noch nie oder noch
nicht in Gänze gehört. Nur einige Motive oder Passagen werden ihnen von Pädagogen zur Anregung
vorgespielt. Noch heute erinnert sich Richard McNicol mit leuchtenden Augen an ein Schülerprojekt vor gut
zwanzig Jahren mit Strawinskys Petruschka. Einige Motive aus diesem Stück legte McNicol den
Schülern damals zum freien Komponieren vor Petruschka als Ballettmusik kannten die Schüler
nicht. Nachdem sie endlich ihre Musik und die Strawinskys verglichen hatten, fragten sie McNicol verblüfft:
Woher konnte denn Strawinsky wissen, wie wir komponieren?
Die Response-Methode etablierte sich zunächst in England als gute Möglichkeit, junge Zuhörer
vor allem an zeitgenössische Musik heranzuführen. In Deutschland veranstaltete das Ensemble Modern
erstmalig solche Konzertprojekte 1990 in Frankfurt und Hessen. Schüler aller Altersklassen arbeiten seitdem
in einzelnen Projekten mit Komponisten zusammen. Außer in Hessen, wo die Response-Methode am kontinuierlichsten
praktiziert wird, gibt es weitere Initiativen in Köln, Bremen, München und Dresden. Doch alle deutschen
Projekte des kreativen Musikunterrichts sind bisher Einzelfälle geblieben. Eine Vernetzung hat nicht stattgefunden.
Die beteiligten Musiker, Komponisten und Lehrer wissen kaum etwas von den jeweils anderen Projekten und ihren
Erfahrungen. Schon seit 1977 gibt es an der Hamburger Jugendmusikschule einen Modellversuch, in dem Instrumentalschüler
zum eigenen Komponieren angeregt werden. Daraus ging der Schülerkreis Jugend Komponiert hervor.
Einige der dabei entstandenen Kompositionen liegen auch in gedruckter Form vor. Sie können besonders Kinder
zum Nachspielen anregen. Vom Hamburger Schülerkreis Jugend Komponiert oder dem gleichnamigen
bundesweiten Wettbewerb fühlen sich allerdings nur Kinder angesprochen, die eine traditionelle musikalische
Ausbildung genießen. Das geschieht meist außerhalb der allgemein bildenden Schulen. Mithilfe der
Response-Methode sollen aber auch sogenannte musikferne Schülerinnen und Schüler erreicht werden.
Der ursprüngliche Ansatz der britischen Response-Erfinder bezieht sich stets deutlich auf bekanntes musikalisches
Material. Es geht dabei also um musikalische Bildung. In den Response-Projekten in Deutschland hat sich inzwischen
ein zweiter, offenerer Ansatz entwickelt. Dabei werden verstärkt übermusikalische Ideen und die Anregungen
der Kinder miteinbezogen, so bei den hessischen Response-Projekten, die der Hanauer Komponist Janko Jezovsek
betreut. Er beginnt die Stunden mit gemeinsamem Atmen und dem Ausprobieren von Instrumenten aus aller Welt.
Die Kinder experimentieren mit Klängen wie mit Bauklötzern. Sein wichtigstes Hilfsmittel sind nicht
Noten und Klavier, sondern Spieluhren und Musikautomaten. Mit Walzen und Lochkarten können die Kinder diese
Automaten programmieren und somit Musik erfinden, ohne dass sie Noten lesen müssen.
Seit der Musiktriennale 1997 gibt es in Köln ein Projekt zur kreativen Musikvermittlung an Grundschulen.
Die Veranstalter vom Kölner Büro für Konzertpädagogik orientieren sich eng an
der in London entwickelten Response-Methode. Ihnen geht es auch darum, Kinder an zeitgenössische Konzertmusik
heranzuführen. Im vergangenen Jahr erlebte das Kölner Projekt bereits seine vierte Runde mit sechs
Grundschulklassen. Zwei Stücke von Bernd Alois Zimmermann - die Vier kurzen Studien für Violoncello
und das Trompetenkonzert in C standen im Hintergrund der Arbeit mit den Kindern. Die beteiligten
Schülerinnen und Schüler hatten sich zuerst diese Stücke angehört und dann ohne direkt
hörbaren Bezug zu eigener Musik anregen lassen, mit zum Teil sehr ungewöhnlichen Instrumenten.
Eine der Absichten von Response-Projekten ist, Kinder zu offenen und anspruchsvollen Zuhörern moderner
Musik zu machen. Durch ihre eigene Kreativität und den Kontakt mit Komponisten und Musikern werden die
Kinder zu Insidern. Das erleichtert ihnen den Zugang zu Musik, die nicht so leicht konsumierbar ist. Der Komponist
und Musikpädagoge Hans W. Koch ist einer der Betreuer. Er beschreibt das bisherige Response-Repertoire
in Köln: Das erste in Köln war zu Gruppen von Stockhausen. Also ein Stück für
drei Orchestergruppen, das im allgemeinen als ein sehr schwieriges Stück gehandhabt wird. Wir waren auch
mit den Kindern in der Orchesterprobe. Die Orchestermusiker haben gesagt: Was wollt Ihr denn mit den Kindern
hier das ist viel zu schwer für die! Es war für die Kinder überhaupt nicht zu schwer.
Zu schwer war es für die Eltern, die uns begleitet haben. Das zweite Mal war es ein Stück von Helmut
Lachenmann für großes Orchester, dreißig Minuten lang. Die Kinder waren total fasziniert, nicht
nur von dem, was es zu hören gab, sondern auch von dem was es zu sehen gab an ungewöhnlichen Instrumenten.
Beim dritten Mal war es ein Stück von Schnebel, die Maulwerke. Da hatten wir das große
Glück, dass wir das Modellstück auch reinholen konnten ins Konzert, das die Kinder gemacht hatten,
so dass es auf der Bühne beides gab, Stücke von den Kindern zum Thema Stimme und die
Maulwerke, von dem Ensemble Die Maulwerker aufgeführt, auch nur mit Stimme. Das war ein
besonders glücklicher Dialog, auch weil Dieter Schnebel selber da war im Konzert.
Bei den weniger material- und bildungsbetonten Projekten wie dem in Köln bekommen die Schüler keine
musikalischen Motive vorgelegt, sondern nur grobe Gestaltungsideen. Dabei kann es um die Verteilung von Klängen
oder Instrumenten im gesamten Raum gehen oder um weiterreichende musikalisch-philosophische Ideen. Hans W. Koch
erläutert seine Herangehensweise:
Beim Trompetenkonzert von Bernd Alois Zimmermann, das dieses Jahr das Modellstück war, ist es die
Idee der Gleichzeitigkeit verschiedener Dinge. Zimmermann hatte ja die Idee von der Kugelgestalt der Zeit. Die
Musiken aller Epochen können gegenwärtig sein. Das haben wir uns als Meta-Idee sozusagen herausgepflückt,
weniger einzelne Motive oder thematische Verfahrensweisen von Zimmermann. Das war ganz irrelevant, auch weil
die meisten Kinder gar keine Instrumente spielen konnten. Das heißt, wir arbeiten mit vorgefundenen Instrumenten,
sei es das Orff-Instrumentarium, das in der Schule so sein Dasein fristet, seien es Alltagsinstrumente wie Joghurtbecher,
Stühle, was auch immer gerade zur Hand ist. Eine meiner Klassen hat ein Stück hauptsächlich mit
Stühlen gemacht, in dem man Stühle als Instrumente benutzt.
In Dresden heißt das Response-Projekt Musik Erfinden in der Schule. Damit richten sich die
Veranstalter vom Dresdner Zentrum für Zeitgenössische Musik und vom Heinrich-Schütz-Konservatorium
an Oberschüler. In den vergangenen zwei Jahren haben Komponisten und Klassen in Dresden und Umland auf
sehr unterschiedliche Weise zusammengearbeitet. Beim Durchgang im Jahr 2001 reichte das Spektrum von einer Suite
für Solo-Oboe über einen traditionellen Response-Kurs, bei dem es ein modernes Hintergrundstück
gab, das die Schüler nie zuvor gehört hatten, bis zu einer allein von Schülern geschriebenen
und aufgeführten Musik für ein chinesisches Schattenspiel.
Schon zum zweiten Mal haben die Schülerinnen und Schüler einer achten Klasse des Gymnasiums Dresden-Gruna
bei Musik Erfinden in der Schule mitgemacht. Ihr chinesisches Schattenspiel entstand in Zusammenarbeit
mit dem Komponisten Karsten Gundermann. Eine Schülerin berichtet von ihrer Erfahrung aus zwei Projektjahren:
Wir hatten das erste Projekt in Gruppenarbeit gemacht. Dazu hatten wir uns in mehrere Gruppen aufgeteilt,
je nachdem welche Geschmäcker da waren. Es gab Romantiker, Dramatiker, Mystiker so hat jede Gruppe
ihre eigene Melodie erfunden. Das haben wir in ein mehrsätziges Stück zusammengebaut und dann aufgeführt.
Dieses Jahr war es so, dass wir uns in den Ferien einfach zusammengesetzt haben, uns die Stellen herausgesucht
haben, wo eine Musik gespielt werden könnte, und haben das dann gezielt komponiert. Wir wussten ja schon,
dass es chinesisch ist, dass man chinesische Töne bräuchte für ein Schattenspiel. Durch das erste
Projekt konnten beim zweiten Projekt alle das ziemlich selbständig machen ohne jegliche Hilfe. Da ging
das auch alles relativ schnell Wir haben das in drei Tagen komponiert.
Garant für Spaß und Erfolg
Wie so oft sind auch am Grunaer Gymnasium ein sehr engagierter Musiklehrer und ein offenherziger Komponist
die Garanten von Spaß und Erfolg. Schon aus dem alltäglichen Musikunterricht wussten die Schülerinnen
und Schüler, wie man Liedbegleitungen verfasst. Da war der Schritt zum freien Komponieren nicht mehr groß.
Beim Vergleich aller Musik-Erfindungs-Projekte an Dresdner Schulen fällt folgendes auf: Die Komponierenden
gehen sehr unterschiedlich vor. Manche von ihnen lassen kaum Freiräume die Schüler können
höchstens beim Komponieren zusehen. Andere wie Karsten Gundermann geben den Schülern Anregungen und
unterstützen sie bei ihrer schöpferischen Arbeit. Für das Heinrich-Schütz-Konservatorium
betreut Manuel Wilke das Projekt Musik Erfinden in der Schule. Er hält die Begleitung durch
Komponierende für unverzichtbar: Die eine Idee ist natürlich, dass Komponisten ein bisschen
versuchen, den Lernprozess der Schüler zu begleiten und zu ergänzen, Formen zu finden, die für
die Schüler verständlich sind und sie aber auch mit der Kompositionstechnik, die heutzutage sehr verschieden
sein kann, bekannt zu machen. Die Kinder und Jugendlichen bringen natürlich ihre Impulse und ihre Kenntnisse
ein, die sie auf musikalischem Sektor haben. Das heißt, es ist nirgendwo garantiert, dass ein bestimmter
Stil oder eine bestimmte Klangrichtung realisiert werden, sondern es kommen romantische und sogar klassische
Elemente heraus. Es war eine ganz klassische Tonleiter zu hören, die im Zusammenhang des Stücks recht
überraschend war. Das sind Dinge, die einfach dazukommen und in der heutigen Zeit in der Form, wie sie
präsentiert werden und in Zusammenhang gestellt werden mit ganz anderen modernen Erscheinungen, natürlich
schon von hoher Kreativität der jungen Leute zeugen. Das ist schön. Das alte klassische Motto Dabei
sein ist alles, das reicht nicht mehr. Sondern es wird erwartet, dass als junger Mensch über seinen
eigenen Horizont in Zusammenarbeit mit dem Komponisten hinauswächst, mehr kennen lernt und eine neue Erwartungshaltung
hat, Fragestellungen entwickelt, sich dadurch viel intensiver mit Musik überhaupt und Neuer Musik beschäftigt
als das, was der normale Standardunterricht leisten kann.
Abenteuer Handy
In ihre Geschichte Die Abenteuer der Mikron haben Schüler der 124. Mittelschule in Dresden
verschiedene Handymelodien eingebaut. Das bezeichnet ein ideales Zusammentreffen von Alltagsklängen und
kompositorischem Anspruch. Frank Geissler vom Dresdner Zentrum für Zeitgenössische Musik schätzt
die enorme Vielfalt von Musik Erfinden in der Schule. Dabei dürften wohl manche Künstler
erst die Mentalität ihrer Zuhörer kennen lernen: Sobald ein Komponist die Schüler überfordert,
ist Schluss, und die steigen aus. Einige haben das auch erlebt. Wir sind an das Projekt anfangs ganz unbefangen
herangegangen. Wir wussten nicht genau, wie man mit dem Frankfurter Response-Modell umgeht, wie man Modellstücke
in Aufgabenstellungen und eigene Kompositionen umsetzt. Das heißt, wir haben es den Komponisten überlassen,
das so zu machen, wie sie es eigentlich wollen. Da hat jeder seinen eigenen Stil eingebracht manche sind
erst elend auf die Nase gefallen. Dann haben sie aber noch eine Methode gefunden, die ganz pragmatisch auf die
Schüler eingeht, damit bei ihnen Kreativität entsteht. Anders geht es einfach nicht. Ich finde gerade
die Vielfalt hier gut. Man sollte das nicht irgendwie beschneiden.
Die Münchner Musik zum Anfassen schließlich richtet sich wieder an Grundschüler.
Sie verzichtet vollkommen auf einen Bildungsansatz, ist aber vielleicht das sinnlichste aller deutschen Kreativprojekte.
Die Betreuer selbst sind Profimusiker. Sie begleiten die Kinder beim Erfinden und dramatisieren von Geschichten
hier liegen Bühne, Konzert und reales Leben eng beieinander. Bei den Stories Die Badezimmerbande,
Der lustige Besuch von meinem Roboter oder Saschas Fahrt in den Weltraum kommt einfach
nur Spaß auf. Die Musiker können aber auch das ein oder andere Musikstück aus ihrem Repertoire
einstreuen und die Kinder mit der modernen Klangwelt vertraut machen ganz unbemerkt und nebenbei. Für
Stimmung sorgen die Kinder ganz allein.
Das hessische und die anderen deutschen Response- und Musikerfindungs-Projekte haben immer wieder mit Finanzproblemen
zu kämpfen. Eigentlich sollten sie zum festen Bestandteil der Schulbildung werden und darüber hinaus
als Fortbildungsmaßnahmen für Lehrerinnen und Lehrer gelten. Schließlich sichern sie ja Orchestern,
Opern und freien Ensembles und Gruppen auf längere Sicht den Publikumsnachwuchs. Aber dieses langfristige
Denken, das über aktuelle Haushaltsprobleme hinausgeht, fängt wohl erst zaghaft an in Deutschlands
Bildungslandschaft.