[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 50-51
51. Jahrgang | April
Dossier: Schulmusik 2002
Neue Wege zum Schulmusikstudium
Grundsätzliche Überlegungen zur Situation eines Berufsstandes · Von Markus Köhler
In allen Bundesländern herrscht zurzeit ein großer Mangel an Schulmusikern. Ein wichtiges Anliegen
aller Verantwortlichen muss es deshalb sein, geeignete Schülerinnen und Schüler zum Schulmusikstudium
zu motivieren und für weitere Verbesserungen in der Ausbildung zu plädieren. Aus diesem gegebenen
Anlass lud am 4. Februar 2002 die Schulmusik-Abteilung der Hochschule für Musik und Theater München
Experten der Hochschule, Vertreter des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultur, des Staatsinstitutes
für Schulpädagogik und Bildungsforschung und des Verbandes Bayerischer Schulmusiker ein. Es galt,
die gegenwärtige Situation der Schulmusik zu beleuchten und Überlegungen zu Veränderungen in
der Ausbildung von Schulmusikstudenten anzudenken. Zu Beginn der Veranstaltung postulierte Markus Köhler,
Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Schulmusiker, grundsätzliche Überlegungen zur Situation der
Schulmusik in Bayern, die im Folgenden wiedergegeben werden.
Die Verantwortung für die Zukunft des Berufs des Schulmusikers führt uns heute zusammen. Alle Anwesenden
stehen in dieser Verantwortung. Der starke Rückgang an Studierwilligen, aber auch an Berufseintritten führt
seit einigen Jahren zu einem immer größer werdenden Unterrichtsausfall in Musik. Der Kreis wird dadurch
fortgesetzt, dass immer weniger Schüler Musikunterricht haben und sich auch aus diesem Grund für diesen
Beruf nicht interessieren oder auch nicht darauf vorbereitet werden können. Unsere Profession, die Profession
des Schulmusikers Mit Profession ist hier nicht nur ein Beruf gemeint! ist die Vermittlung von
Musik, die pädagogisch ausgerichtete Vermittlung, der Umgang mit den Schülern; um diesen Umgang mit
Schülern inhaltlich zu füllen, benützen wir Musik. Unter dieser Sichtweise ist ein Umdenken in
einer prinzipiellen Fragestellung nötig, quasi ein Paradigmenwechsel besonders auch darauf bezogen, wenn
man die inzwischen zirka 75-jährige Geschichte der bayerischen Schulmusik betrachtet.
In den letzten Jahren haben sich die gesellschaftliche Musikpraxis und das musikalische Lernen auf allen Ebenen
einerseits und die Ausbildung für die musikpädagogischen Berufe andererseits in hohem Maße auseinander
entwickelt. Eine Neubestimmung dieses Verhältnisses und Konsequenzen für die Ausbildungsinstitutionen
sind unabweisbar, soll nicht die musikalische Bildung im Ganzen gefährdet sein. Die heutigen Ausbildungskonzepte
verlängern immer noch einseitig Grundvorstellungen des 19. Jahrhunderts und reichen angesichts des bekannten
gesellschaftlichen und kulturellen Wandels nicht mehr hin.
Aus Sicht des Verbandes Bayerischer Schulmusiker sind deshalb folgende Überlegungen von Bedeutung:
Der Ausbildungsgang Schulmusik muss sehr viel stärker als bisher berufsbezogen konzipiert sein. Gleichzeitig
muss gewährleistet sein, dass er Wandlungen im Berufsbild schneller aufnehmen kann.
Es muss sichergestellt werden, dass bei einer Neukonzeption des Ausbildungsganges der Schulmusik dem Vermittlungsaspekt
der eindeutige Primat in allen Fächern durchgängig eingeräumt wird.
Hochschuldidaktische Perspektiven müssen dahingehend verändert werden, dass die einzelnen, oft
isoliert unterrichteten Fächer im Sinne einer grundlegenden Interdisziplinarität wesentlich stärker
aufeinander bezogen werden.
Für die Schulmusikerausbildung bedeutet dies im Einzelnen:
Es ist nötig, die Inhalte und Methoden sowie die Gewichtung der einzelnen Fächer unter dem genannten
Primat ihrer Funktion für die Vermittlung von Musik zu überprüfen.
Eine stärkere Einbindung neuer und bisher vernachlässigter Ausbildungsinhalte (Ensemblemusizieren,
fremde Kulturen, Improvisation) und eine stärkere Berücksichtigung neuer medialer Produktionsformen
und ihre Auswirkungen auf jeden einzelnen Menschen ermöglichen eine Öffnung zu neuen musikalischen
Inhalten.
Eine individuelle Profilbildung und Schwerpunktsetzung im Studium stärkt die individuelle Persönlichkeit
der zukünftigen Schulmusiker.
Eine stärkere Berücksichtigung der sich aus den durch politisch und/oder wirtschaftlich bedingten
Wanderungsbewegungen größerer Bevölkerungs-gruppen innerhalb Europas ergebenden Probleme,
auf die auch Schulmusiker qualifiziert vorbereitet sein müssen, ist dringend geboten.
Eine umfangreichere Berücksichtigung neuer Organisationsformen im Unterricht der allgemein bildenden
Schulen und damit auch des Musikunterrichtes führt hin zu einer Öffnung zu anderen musikalischen
und musikbezogenen Handlungsweisen und zu einer Öffnung zu neuen Unterrichtsstrukturen. Daraus leiten
sich folgende Überlegungen für die Auswahl und Ausbildung der zukünftigen Schulmusiker ab:
Die Lehr- und Lernstruktur ist bislang vorrangig an einer künstlerischen Gestaltung und weit weniger
am Umgang mit Musik als Vermittlungsprozess der späteren Berufspraxis ausgerichtet. Eine als homogen
unterstellte künstlerisch-ästhetische Praxis rechtfertigt die Maximen der Ausbildung, verbunden
mit einer eher rezeptiven Orientierung am Kunstwerk. Eine Stärkung der pädagogischen und fachdidaktischen
Studieninhalte ist deshalb dringend geboten.
Eine als völlig überholt zu wertende Vorstellung von einem einheitlichen Bild des Schulmusikers
ist nicht mehr gegeben: Wer in den einzelnen Fachbereichen gut ist, wird auch per se in der Summe ein guter
Schulmusiker sein! Gehen wir von dieser Vorstellung aus, muss uns die bekannte Verschulung des Studiengangs
nicht verwundern.
Diese Vorstellung von einem Typus Schulmusiker verhindert aber, dass die jeweiligen Stärken eines
Studierenden erkannt und im Sinne des späteren Berufes während des Studiums ausgebaut werden. Die
vereinheitlichende Norm lässt einen Berufsstand entstehen, in dem Burn-Out-Syndrome und Frühpensionierungen
überdurchschnittlich vorhanden sind. Dies muss letztlich zwangsweise wieder zu einem zunehmenden Mangel
an Schulmusikern führen.
Bezogen auf ihre künstlerische Ausbildung ist festzustellen, dass Schulmusiker gar nicht die schnellsten,
die höchsten und die lautesten sein wollen. Die bisherige Schulmusikerausbildung ist meist nur ein Abklatsch
der künstlerischen Ausbildung. Vermutlich wechseln auch deshalb so viele Studenten zu einem künstlerischen
Fach über. Der Schulmusiker kann alles nur ein bisschen und wird deshalb auch oft belächelt. Gerade
in dieser Vielfalt steckt aber die eigentliche Stärke.
Wir sollten uns deshalb sowohl über die Inhalte der Aufnahmeprüfung wie über die des Studiums
unterhalten. Beide Bereiche dürfen weder isoliert betrachtet werden, noch miteinander vermischt werden.
Das macht die Sache umso schwerer. Ebenso müssen sowohl wissenschaftlich-theoretische wie auch praktisch-künstlerische
Bereiche berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden. Aus Sicht des Verbandes Bayerischer Schulmusiker
sollte sich die Aufnahmeprüfung in den theoretischen Fächern in erster Linie daran orientieren, was
die Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Gymnasialzeit im Fach Musik gelernt haben:
Wissensfragen zu den im bayerischen Lehrplan vorgesehenen Lerninhalten (= Kenntnis der Grundbegriffe der
so genannten Allgemeinen Musiklehre),
Epochen- und Werkkenntnisse,
Erfassen von musikalischen Eigenschaften (Hör- und Notenbeispiel),
Harmonische Analyse,
Umsetzen von Akkordsymbolen und Kadenzen (praktisch),
Begleiten einfacher Melodien (prakt.),
Stärkere Berücksichtigung eines vielseitigen instrumentalen Umgangs anstelle der Perfektion an
nur einem Instrument.
Darüber hinaus gilt es aber auch, weitere Aspekte zu berücksichtigen:
Einbeziehung von Tätigkeiten innerhalb der Jugendarbeit,
Ausrichtung bereits der Aufnahmeprüfungen auf die im Alltag eines Schulmusikers nötigen
Kenntnisse und Fähigkeiten (zum Beispiel Anspielen von Werken verschiedenster Stilrichtungen, Andeuten
von Themen, vielfältiger Umgang mit verschiedenen Instrumenten),
Wechselseitige Reflexion zwischen Theorie und Praxis im Studium.
Zwischen Abschluss der Abiturprüfungen der Gymnasien (Anfang Juni) und Aufnahmeprüfung der Hochschulen
(Ende Juli) bleibt wenig Zeit, sich neue Wissensgebiete im theoretischen und praktischen Bereich anzueignen.
Vorziehen und Straffen der Staatsexamensprüfungen um etwa acht bis zehn Wochen beziehungsweise um ein
Semester. Damit wäre ein Eintritt in das Referendariat auch ein halbes Jahr früher möglich.
Nicht zuletzt ist bei einer Neuplanung des Studiengangs Schulmusik vom zukünftigen Anforderungsprofil
an einen Schulmusiker auszugehen.
Aus Sicht des Verbandes Bayerischer Schulmusiker sind insbesondere die folgenden Anforderungen, Aufgaben und
fachlichen Fähigkeiten von einem Schulmusiker jeden Tag zu erfüllen:
Management und Organisation, unermüdliches Einzelkämpfertum und integrative Teamarbeit,
konsequentes Durchsetzungsvermögen und Verhandlungsgeschick mit Blick für wesentliche Dinge,
ausdauernde Einsatzbereitschaft und Anpassungsfähigkeit,
Öffentlichkeitsarbeit und Kooperationsbereitschaft nach allen Seiten,
lebenslange Lernbereitschaft und Interesse an aktuellen musikalischen und außermusikalischen Strömungen,
Offenheit für Probleme der Jugend,
Innovationsbereitschaft und Flexibilität,
schauspielerisches Talent und Führungspotenzial,
Pädagoge und Kulturbotschafter, Motivator und Alleinunterhalter,
Gruppendynamiker und Selbstdarsteller, Instrumentallehrer und Künstler,
Leiter verschiedenster Gruppen auch außerhalb der Schule,
Medienfachmann, Computerfreak und Tänzer,
Kenntnisse in Aufnahmetechnik und Bandequipment,
Umgang mit vielen Instrumenten (Klavier, Percussion, Drumset, ein Blas- und Streichinstrument, Gitarre
und E-Bass), davon ein Instrument auf künstlerischem Niveau,
Gesang und Stimmbildung, Dirigent, Bandleader, Chor- und Orchesterleiter,
Fachmann für Klassenmusizieren, Kammermusik und Ensembleleitung,
Improvisationstalent (nicht nur im musikalischen Sinn!),
fundierte Kenntnisse in Musikgeschichte und Harmonielehre sowie Vertrautheit mit Analyse und musikwissenschaftlichen
Methoden, Arrangieren und Vereinfachen von Stücken.
Und schließlich:
Kenntnis der außerordentlichen Vielfalt in der Musik,