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nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 53
51. Jahrgang | April
Dossier: Schulmusik 2002
Schulmusik und Musikschule macht was
Ein Bericht zum Kongress der Yamaha-Stiftung in der Musikhochschule Hamburg
4. und 5. März in Hamburg: über 170 Musiklehrkräfte kommen zusammen und diskutieren über
die zukünftige Funktion des Musikunterrichts, die Chancen und Risiken der durch die PISA-Studie angedachten
Änderungen in der Bildungslandschaft. Welche Chancen und Risiken sind damit verbunden? Stellt sich die
Existenzfrage für Musikschulen und Privatmusiklehrer?
Eingeladen hatte die Stiftung 100 Jahre Yamaha e.V., gemeinsam mit der Hochschule für Musik und Theater
Hamburg, dem Landesmusikrat Hamburg und dem Institut für Kultur- und Medienmanagement Hamburg. Unternehmungswillige
waren aufgerufen, Maßnahmen und Fähigkeiten zu entwickeln, um dem aktiven Musizieren wieder einen
angemessenen Stellenwert in der Bildung zukommen zu lassen. Das Motto Schulmusik und Musikschule
macht was! führte sie alle zusammen.
Der Kongress fand in der Form eines Open Space unter der Moderation von Friedrich Haunert (Berlin)
statt. Diese Konferenzform wurde vor zirka 20 Jahren von Harrison Owen entwickelt, nachdem er sich nach einer
aufwändig vorbereiteten Konferenz fragte, warum eigentlich gerade die Kaffeepausen solch kreative Ideen
freisetzen.
Er machte daraufhin quasi die Kaffeepausen zum Konferenzprinzip. Lediglich das Motto einer Tagung wird vorgegeben,
eine Tagesordnung im engeren Sinne gibt es nicht, die Teilnehmer bestimmen selbst, welchen Fragestellungen sie
sich widmen wollen. Selbstorganisation, Entscheidungsfreiheit und Kreativität tragen diese Konferenzmethode.
Als gelungene Einstimmung in die Thematik stellten Studierende der Hochschule für Musik und Theater Hamburg
in einer kleinen Szene die Entwicklungsgeschichte des Musikunterrichts in Schule und Musikschule von den 50er-Jahren
bis in unsere Tage dar. Anschließend war der Marktplatz eröffnet. Jeder Teilnehmer konnte sein Anliegen
benennen, das ihm auf den Nägeln brannte und das er gerne mit den anderen bearbeiten wollte.
So kam eine Fülle von Arbeitsgruppenthemen zusammen, die an Anschlagbrettern für alle einsehbar waren.
Nach dem obersten Prinzip des Open Space, dem Gesetz der Füße, bestimmten
nun die Kongressteilnehmer selbst, welche Themen für sie wichtig waren und in welchen Arbeitsgruppen sie
mitarbeiten wollten. Stellte sich ein Thema doch nicht als das heraus, was man sich darunter vorgestellt hatte
oder war aus der eigenen Sicht bereits alles gesagt, wechselte man einfach zu einer anderen Arbeitsgruppe. So
waren in jeder Arbeitsgruppe immer die richtigen Teilnehmer.
Die vier Grundsätze von Open Space waren an den beiden Tagen auf Großplakaten in der
Aula ständig präsent.
1. Wer auch immer kommt es sind die richtigen Leute.
Die Anmeldezahlen erreichten in kürzester Zeit eine Höhe, die kurzerhand eine Verlegung der geplanten
Tagungsstätte Musikhochschule in die Staatliche Sprachenschule erforderlich machte. Es kamen mehr als 170
Akteure aus der Musikausbildungsszene: Schulmusiker, Lehrkräfte und Leiter sowohl öffentlicher
als auch privater Musikschulen, Hochschuldozenten der beruflichen Aus- und Fortbildung und Vertreter der Musikwirtschaft.
Was bislang kaum eine Institution geschafft hatte, hier wurde es verwirklicht: Musikerzieher aus Schule und
Musikschule, Musikschullehrkräfte und -leiter aus öffentlichen und privaten Musikschulen, Musikpädagogen
und Musikwirtschaft kamen zusammen, um Konzepte für einen gemeinsamen Weg zur Förderung des aktiven
Musizierens zu entwickeln. Symptomatisch ist die Äußerung einer Musikschullehrerin: Ich hab
noch nie mit so vielen Schulmusikern auf einmal sprechen können.
2. Was auch immer geschieht es ist das Einzige, was geschehen kann.
Und es geschah eine ganze Menge. 40 Themen wurden in den Arbeitsgruppen an den 2 Tagen diskutiert.
Es gab praktische Fragestellungen wie In welcher Tonart sollen zukünftige Sänger
singen?, Frühe und andauernde Förderung des Singens als Grundlage für Musikverständnis
und das Hören!, Suche Notenmaterial, Arrangements aktueller Titel oder Klassenmusizieren
in der Grundschule und Sekundarstufe I,
Fragen der Zusammenarbeit Förderung des Instrumentalunterrichts seitens der Schulmusik,
Kooperation von allgemein bildender Schule und Musikschule oder Yamaha: Konkurrenz oder
Partner?,
vor dem (PISA-)Hintergrund der Weiterentwicklung der deutschen Bildungslandschaft die Themen Musikschule
Ganztagsschule, Musiklehrermangel zwischen Ignoranz der Musikhochschulen und Fatalismus
der Kultusministerien (fachfremder Unterricht), Wie sieht die Ausbildung zukünftiger Musiklehrer
aus, welche Schule braucht welchen Lehrer? und einen Aufruf an die niedersächsische Kultusministerin
nach drei Stunden Musikunterricht in der Grundschule und Sekundarstufe I und
Weiterentwicklung der Musikschularbeit mit den Themen Frühkindliche Musikalisierung: Chancen,
Möglichkeiten, Was ist die Qualität von Musikschularbeit? und Wir entwickeln
Musikschule weiter.
3. Es fängt an, wenn die Zeit reif ist
Dieser Open-Space-Grundsatz gilt auch für die gesamte Veranstaltung: die Zeit war wahrscheinlich
reif für eine konzertierte Aktion aller, die sich um eine Förderung des aktiven Musizierens bemühen.
Die Teilnehmerzahlen belegten das eindrucksvoll.
4. Vorbei ist vorbei nicht vorbei ist nicht vorbei!
Für die Arbeitsgruppen war zwar ein 90-Minuten-Rhythmus angedacht, es zeigte sich jedoch, dass dieser
Zeitvorschlag je nach Diskussionsbedürfnis sehr flexibel angewandt wurde. Selbst am Nachmittag des zweiten
Tages, am Ende der Veranstaltung, hatten viele den Eindruck, dass es eigentlich noch nicht vorbei sei und dass
die Arbeit doch jetzt erst richtig losgeht.
Ausbau und Weiterentwicklung der in Hamburg geknüpften Verbindungen stehen auf dem Plan. Eine Folgeveranstaltung
im nächsten Jahr hat die Stiftung 100 Jahre Yamaha e.V. bereits angekündigt. Als Sofortmaßnahme
gibt es im Internet unter der Adresse www.schulmusikschule.de die Möglichkeit, sich bereits vor der demnächst
erscheinenden gedruckten Zusammenfassung über die Ergebnisse zu informieren. Außerdem werden hier
die weiteren Entwicklungen dokumentiert. Die auf dem Kongress zusammengetragenen Tipps für Unterricht und
Kooperationsprojekte weisen auf entsprechende Fundstellen im Internet und werden ständig gemeinsam weiterentwickelt.
Ein Diskussionsforum und eine Mailingliste, an der sich bereits die Hälfte der Kongressteilnehmer beteiligen,
erweitern die elektronische Dokumentation. Sie soll auch andere anregen, mitzumachen: Förderung des aktiven
Musizierens im Sinne eines Musikalischen Breitensports, durch Bildung eines funktionierenden Netzwerks
aus Kindergarten, Schule, Musikschule, Kindern, Jugendlichen und Eltern.
Diese erste Musikpädagogische Management-Werkstatt hat gezeigt: Wir sollten nicht immer nur andere auffordern,
mehr für eine bessere Musikerziehung zu tun, sondern selbst aktiv werden und unsere Kräfte bündeln.
Selbstverständlich bleiben die Mahnungen an die politisch Verantwortlichen aber mit dem deutlichen
Hinweis: Wir machen es sowieso und Sie dürfen mitmachen.