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nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 52
51. Jahrgang | April
Dossier: Schulmusik 2002
Allgemein bildende Schulen und Musikschulen als Partner
Verlässliche Grundschule, Nachmittagsbetreuung, vernetzter Unterricht und Weiterqualifizierung ·
Von Reinhard Knoll
Bildungsschock als Chance. Häufig bewirken Schocks Veränderungen. Und fast immer kann man sich fragen,
ob diese Erkenntnisse nicht vorhersehbar waren, ob man nicht schon immer al-les wusste und ob deshalb nicht
die ganze Aufregung überflüssig ist. Dem steht entgegen, dass wir offensichtlich Schlüsselerlebnisse
brauchen, um im Sog des Alltags die Kraft aufzubringen, Entwicklungsschübe auszulösen und Veränderungen
herbeizuführen. Das gilt für Entscheidungsträger und Fachleute gleichermaßen. Vielleicht
wird die so oft zitierte PISA-Studie genau diese Wirkungen haben. Zu wünschen wäre es, denn sie ist
seriös erstellt und ihre Ergebnisse geben dem deutschen Schulsystem viel zu denken.
Die Musikschule als Transmitter. Aber was hat die Studie mit dem Fach Schulmusik und einer möglichen Kooperation
mit Musikschulen zu tun? Die Antwort ist gar nicht so kompliziert: sie stellt Zusammenhänge her zwischen
dem allgemeinen Bildungshintergrund und Lernleistungen von Schülerinnen und Schülern.
Ein Kapitel beschäftigt sich mit dem Thema Mit klassischer Kultur verbundene Besitztümer und
Aktivitäten und dem Einfluss auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in 32 Vergleichsländern.
Schülerinnen und Schüler mit den höchsten Werten auf dem Index des Besitzes von klassischen
Kulturgütern im Elternhaus erbringen in der Regel außergewöhnlich hohe Leistungen.1 Und
dieser Zusammenhang ist generell stärker als beim familiären Wohlstand. Und genau in dieser Kreislaufbeziehung
zwischen Schule und Privatem übernehmen die Musikschulen eine Transmitterfunktion.
Symbiose. Längst bekannt und in der Studie bestätigt ist auch die These, dass Musikunterricht weit
mehr als ein weicher Schulfaktor ist. Sein direkter Einfluss auf die Persönlichkeits- und Sozialentwicklung
ist unumstritten, Konzentrationsfähigkeiten und Gedächtnisleistungen werden verstärkt. Dies fördert
Spracherwerb und Sprachverständnis. Die geistige, psychische und physische Beanspruchung beim Musizieren
konstituiert eine erzieherische Erfahrung von einzigartigem und daher unverzichtbarem Wert.2 Darüber
hinaus haben sich alte Polaritäten wie Wissenschaftspropädeutik kontra Praxis, oder ästhetische
Erziehung kontra Fachunterricht zugunsten eines Sowohl-als auch längst überholt. Synergieeffekte
eines gesellschaftlichen Kreislaufes werden deutlich. Die Musikerziehung lebt in einer Symbiose von Elternhaus,
allgemein bildender Schule und Musikschule.
Die Musikkultur als Wert an und für sich. Jenseits dieser funktionalen Betrachtungsweise unserer
Musikkultur und des Musizierens ist immer wieder zu betonen, dass die Musikkultur einer der wesentlichen Werte
ist, den Deutschland in den Europäisierungs- und Globalisierungsprozess einbringt. Musik und musikalische
Bildung sind auch ohne einen Blick auf außermusikalische Fördereffekte ein menschliches Grundbedürfnis
und Grundrecht.
Module, die Vernetzungen herstellen können
Bei der Suche nach vernetzten Strukturen und Kooperationen zwischen allgemein bildenden Schulen und Musikschulen
stellt sich die Frage, welche Konzepte und Aktionsformen Grundlagen für eine Zusammenarbeit sein können.
Die Themen Öffnung von allgemein bildender Schule und Die offene Musikschule haben vor einer
Reihe von Jahren bereits Voraussetzungen geschaffen, die in beiden Schulformen den Kooperationsgedanken verstärkt
haben. Das Sowohl-als-auch von wissenschaftspropädeutischem und praxisorientiertem Denken im
Musikunterricht der allgemein bildenden Schule hat schulergänzenden Musikschulangeboten eine erweiterte
Bedeutung gegeben. Die in den VdM- Musikschulen schon immer verankerte Zielsetzung von Breitenarbeit und in
den letzten Jahren verstärkt die Aufgabe einer (musik-)kulturellen Grundversorgung führt die dabei
ins Auge gefassten Zielgruppen und damit verbunden offene Bildungsangebote in große Nähe zu den Zielen
und Aufgaben der allgemein bildenden Schulen (in diesem Zusammenhang vor allem der Grundschulen). Didaktische
und pädagogische Ziele der Musikalischen Früherziehung und der Musikalischen Grundausbildung sind
Grundlagen eines etablierten Netzes von Aus-, Fort- und Weiterbildung. Diese Unterrichtsformen erreichen eine
hohe Zahl von Kindern. Darüber hinaus sind Instrumentaler Gruppen-, Großgruppen- und Klassenunterrricht
in den VdM-Musikschulen verankert und führen verstärkt zu Kooperationen mit allgemein bildenden Schulen.
Auch Forschung und Ausbildung an den Musikhochschulen und Konzepte und Angebote im Bereich von Fort- und Weiterbildung
widmen sich verstärkt diesem Unterrichtsgebiet. Die stilistische Vielfalt von Musikschulangeboten und die
vorhandenen Kompetenzen im pädagogischen Umgang mit neuen Medien können einen offenen Bildungsansatz
wesentlich unterstützen. Darüber hinaus bieten die Musikschulen im VdM einige strukturelle Merkmale,
die Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit gewährleisten. Durch Curricula und Lehrpläne sind strukturierte
Angebote sichergestellt, Projektarbeit von Musikschulen bietet aktuelle Angebote, Qualitätsmanagementsysteme
controllen und entwickeln Angebote und Prozesse, Organisationskapazitäten können Kooperationen verwalten,
kontinuierliche Personalentwicklungsplanung gibt Sicherheit und bei Abstimmungsprozessen zwischen allgemein
bildenden Schulen und Musikschulen können durch Direktionsrecht verbindliche Absprachen getroffen
werden. Dies alles spricht aus Sicht des VdM dafür, die zahlreichen Einzelfallbeispiele von Kooperationen
auszubauen und weiterzuentwickeln.
Es tut sich was
Dies sind keine frommen Wünsche. Die Kultusministerkonferenz hat jüngst die Möglichkeiten dieser
institutionellen Kooperation anerkannt. In einer Reihe von Bundesländern haben sich Initiativen
entwickelt und es ist in einigen Bundesländern bereits zu Kooperationsprogrammen gekommen. Gemeinsam
für Musikalische Bildung heißt die Erklärung des Verbandes Deutscher Schulmusiker und
des Verbandes deutscher Musikschulen vom März 2001. Grundthemen dieses Papiers sind die gemeinsame Verantwortung,
die Bedeutung beider Institutionen mit ihren spezifischen Aufträgen und die grundsätzliche Skizzierung
von Kooperationsbereichen. Eine Arbeitsgruppe des VdM erarbeitet derzeit Strategien zur weiteren Positionierung
des Themas, zur Erfassung und Analyse aktueller Entwicklungen und zur strukturierenden Begleitung dieses Prozesses.
Der Landesverband der Musikschulen Baden- Württembergs hat im Januar 2001 die Auswertung einer Umfrage
zu Kooperationen zwischen Musikschulen und allgemein bildenden Schulen (insbesondere verlässliche
Grundschule) herausgegeben. Der Landesverband der Musikschulen Brandenburg hat Thesen für eine Konzeption
zur Kooperation der Musikschulen und Grundschulen des Landes erstellt, die grundsätzliche Möglichkeiten
und Regelungsbedarf skizzieren. Der Stadtstaat Hamburg hat die Musikalische Grundausbildung der Musikschule
seit 1996 als ergänzenden Unterricht in die Grundschulen aufgenommen. Der Landesverband deutscher Musikschulen
Hessen hat modellhaft skizziert, wie die musikalische Ausbildung an den Schulen durch die Zusammenarbeit zwischen
Schule und Musikschule verbessert werden kann. Der Landesverband niedersächsischer Musikschulen hat im
Februar 2000 das Thema Brücken zwischen Schule und Musikschule in seiner Broschüre Fortissimo
beleuchtet, der Landesmusikrat Niedersachsen hat unter dem Motto Hauptsache: Musik ein Aktionsprogramm
für die Zusammenarbeit zwischen Schulen und anderen Institutionen der Musikkultur in Niedersachsen erstellt,
in dem zahlreiche Kooperationen mit Musikschulen vorgestellt werden.
Der Landesverband der Musikschulen in Nordrhein-Westfalen hat 1993 unter dem Motto MS 2000 die
Musikschulkooperationen mit allgemein bildenden Schulen als einen Schwerpunkt definiert. Einzelprojektförderungen
und Modellprojekte entwickeln und etablieren seitdem diese Zielsetzung. Der Landesmusikrat Nord-rhein-Westfalen
untersucht derzeit, wie Musikerziehung im Kindergarten und den allgemeinbildenden Schulen durch Bündnispartnerschaften
mit allen anderen musikpädagogisch Engagierten verbessert werden kann. Das Land Rheinland-Pfalz regelt
gerade unter Mitwirkung des Landesmusikrates und des Landesverbandes der Musikschulen Musik in der Ganztagsschule,
einschließlich entsprechender Finanzierungsregelungen.
Das Land Sachsen-Anhalt ermöglicht seit 2001 dem Landesverband der Musikschulen Sachsen-Anhalt ein Modellprojekt
zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Grundschulen und Musikschulen. Diese nicht vollständige
Aufzählung verdeutlicht, dass ein Prozess im Gang ist, der eine Reihe von Chancen bietet.
Wie könnte es weitergehen?
Es gab schon immer Kooperationen zwischen Schulen und Musikschulen. Gesellschaftliche Veränderungen,
schulische Entwicklungen und Prozesse in Musikschulen machen jedoch nach Überzeugung des VdM ein Überdenken
und Weiterentwickeln notwendig.
Dabei wird es wichtig sein, trennscharf über Möglichkeiten und Grenzen nachzudenken. Ergänzender
Unterricht durch die Musikschulen im Bereich der festen Stundentafel wird beispielsweise anders strukturiert
sein, als Angebote im so genannten nachmittäglichen Betreuungsbereich. Angebotsprofile und Berufsleitbilder
für vernetzten Unterricht werden Grundlagen für Aus-, Fort- und Weiterbildung, sowie andere Qualifizierungsangebote
sein. Projekte, Programme und Modelle können Wege aufzeigen und entwickeln, die der Musikerziehung insgesamt
neuen Schwung geben. Der VdM möchte diesen Prozess partnerschaftlich und aktiv mitgestalten.
Anmerkungen 1 Lernen für das Leben. Erste Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudie PISA
2001, OECD, S. 171
2 Hans Günther Bastian: Musik(erziehung) und ihre Wirkung, Mainz (Schott) 2000