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nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 8
51. Jahrgang | April
Kulturpolitik
Differenzierte Ratlosigkeit vorprogrammiert
Frauenkirche Dresden: Orgel-Drama und kein Ende
Als gäbe es keine anderen Probleme: Die Auseinandersetzung um den Bau der Orgel für die wiederaufgebaute
Dresdner Frauenkirche geht in eine weitere und an Heftigkeit immer mehr zunehmende Runde. Hintergrund des Streites:
Welches Instrument soll in den neuen alten Kirchenbau hinein? Eine Rekonstruktion der Silbermann-Orgel von 1736?
Oder die Nachbildung einer jener Momentaufnahmen von Orgelzustand, die durch die insgesamt fünf
zum Teil gravierenden Umbaumaßnahmen bis 1943 entstanden sind?
Ein Rückblick sei erlaubt: Die Silbermann-Orgel von 1736 besaß ursprünglich 43 Register
auf drei Manualen und Pedal. Bereits 1769 nahm man jedoch eine Umstimmung der Orgel in eine beßere
und ietziger Zeit mehr brauchbare Temperatur vor. 1819 wurde das Instrument um einen halben Ton höher
gestimmt, da es mit der steigenden Instrumentalstimmung seiner Zeit nicht mehr kompatibel war. 1844 erweiterte
man die Windkanäle, weil die vorhandenen nicht mehr im richtigen Verhältnisse zur Größe
des Werkes stehen. Eine Sesquialtera wurde durch Fugura 8 ersetzt. Am gravierendsten waren die Umbauten
1911/12 und 193943: Zuerst wurde ein viertes Manual (Schwellwerk) angebaut, das übrige Werk um acht
Register und die Tastatur (inkl. Pedal) um einige Töne im Umfang erweitert. Schließlich verlegte
man das Schwellwerk als Echowerk in die Kuppel, erweiterte die Orgel um eine vom Zentralspieltisch bedienbare
Chororgel und stattete alles mit einer elektropneumatischen Traktur aus. Als die Orgel (wie die Kirche) im Februar
1945 völlig zerstört wurde, standen zuletzt 85 Register zur Verfügung.
Mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche begann vor einigen Jahren der Streit um die Rekonstruktion der Orgel.
Die abstrusesten Ideen kursierten schließlich spitzte sich alles auf die Frage zu: Rekonstruktion
oder Neubau? Und damit landete man zielsicher in jener Falle, in die alle tappen müssen, die die
Geschichte gewaltsam rückwärts drehen wollen, ohne sich auf ein Jahrhundert zu einigen, in dem man
sich wiederfinden möchte. Vollkommen richtig bemerkte nämlich Michael Gassmann in einer Ausgabe der
FAZ vom Februar 2002: ... Erst schuf man eine geeignete Schlachtordnung mit der Prägung
des Begriffspaars Rekonstruktion und Neubau als ob nicht jede Frauenkirchenorgel
ein Neubau wäre. Dann machte man den Dresdnern glaubhaft, sie könnten eine echte Silbermannorgel wiederbekommen
als ob nicht jeder seriöse Orgelbauer sofort zugeben würde, dass lediglich eine Annäherung,
sicherlich qualitativ hoch stehend, an das Original möglich ist. Schließlich berief man sich auf
Experten, die festgestellt haben wollten, eine Rekonstruktion sei die einzig mögliche
Lösung als ob nicht die Geschichte der Frauenkirchenorgel selbst das Gegenteil bewiesen hätte...
Mit der Entscheidung des Stiftungsrates und des Kuratoriums der Frauenkirche vom 10. Februar 2002, eine moderne
Orgel hinter dem rekonstruierten Gehäuse der Silbermannorgel zu bauen, hat man nun einen symptomatischen
Weg eingeschlagen und sofort heftigen Widerspruch erregt. Das Konzept der neuen Orgel knüpft an
Silbermanns dreimanualiger Anlage an, berücksichtigt aber auch die Erweiterungen und Umbauten der Folgezeiten
und soll mit 68 Registern und einer mechanischen Spieltraktur auch den konzertanten Bedürfnissen
unserer Tage gerecht werden. Sie wird hinsichtlich Tonumfang, Stimmung und Einsetzbarkeit im wahrsten Sinne
eine moderne Orgel sein.
Bravo! Wenigstens ein Lichtschimmer hinter der barocken Fassade unseliger Geschichtsklitterei! Das eben
erwähnte Symptomatische an dieser Lösung ist das Neue im alten Gewand hiergegen ist ja prinzipiell
nichts einzuwenden, wenn man wenigstens noch ein Fitzelchen vom alten Gewand gehabt hätte, an das man (im
wahrsten Sinne des Wortes) hätte anknüpfen können. Das Verstecken einer modernen Orgel im rekonstruierten
Silbermann-Prospekt ist jedoch so anachronistisch wie das Wiederaufbauprojekt Frauenkirche Dresden
als Ganzes! Der Begriff Wiederaufbau ist auf die Kirche bezogen nämlich genauso
falsch wie der der Rekonstruktion mit Blick auf die Orgel! Hier handelt es sich eben nicht mehr
um ein steingewordenes Zeugnis unserer Geschichte die Geschichte ist über diese Steine
hinweggebraust und hat keinen von ihnen mehr auf dem anderen gelassen. Was will man denn mit dem Stein-für-Stein-getreuen
Wiederaufbau der Frauenkirche beweisen? Dass wir die Geschichte zurückdrehen können, wenn wir nur
wollen? Dass wir so tun können, als sei nichts gewesen und dass die Ästhetik des Barock also doch
über die zerstörerische Gewalt des 20. Jahrhunderts siegen kann?
Zurück zur Orgel: Die (insgesamt begrüßenswerte) Entscheidung für einen wirklichen
Neubau hat Proteste hervorgerufen: Mehr oder weniger berufene Fachleute meldeten sich lautstark zu Wort, mobilisierten
und instrumentalisierten die Geldgeber (die sich dann teilweise vom Projekt zurückzogen), gaben Pressemeldungen
heraus und warnten vor einer weiteren Eskalation im Dresdner Orgelskandal. Und das alles um ein
historisches Denkmal, das schon lange nicht mehr existiert und das man nun spielerisch und selbstverliebt
wie einen Geist aus längst vergangenen Tagen heraufbeschwören will. Haben wir denn wirklich keine
anderen Probleme in Kirche, Kirchenmusik, mit kirchlicher und musikalischer Zeit-Ansage? Wie sagte der langjährige
Theologieprofessor, Bischof und heutige Kurienkardinal Walter Kasper einmal in einer Vorlesung: Manchmal
komme ich mir in unserer Kirche vor wie in einem Haus, in dem der Dachstuhl brennt und im ersten Stock
streiten sich die Gelehrten darüber, wer im zweiten Stock die Bilderrahmen putzen darf!