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nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 12
51. Jahrgang | April
Medien
Wer zuhören will, muss still werden
Forum neuer Musik im Deutschlandfunk (1. bis 3. März 2002)
Das Altern der Neuen Musik wurde schon früh bemerkt. Unsanft hatte
Adornos Diagnose die sich gerade erst formierende Nachkriegs-Avantgarde wachgerüttelt. Seitdem steht sein
Wort als Menetekel auch über jedem Festival: Was ist neu? Was gibt sich nur so? Der Kurator des Forum
neuer Musik beim Deutschlandfunk in Köln, Frank Kämpfer, bestätigte jetzt noch einmal die
Berechtigung jenes älteren Befundes. Man muss das Geschaffene immer wieder zerbrechen. Den
Glaubens-, besser wohl Produktionsgrundsatz des 1990 verstorbenen Komponisten Luigi Nono wandelte er zum Motto
eines dreitätigen Konzert- und Diskussionswochenendes im Sendesaal des Kölner Funkhauses. Gegen die
Versuchung, die Erfolge von gestern zu kopieren, beschwor Nono und mit ihm der neu berufene Redaktionsleiter
für Neue Musik das Moment des Konflikts.
Doch wie übersetzt sich dies in ein Konzertprogramm? Kämpfer gab darauf mehrere Antworten. Zunächst
setzte er auf den Überraschungseffekt. Gerade hatte das Publikum sich eingehört in die meditative
Musik von Scelsi und Sciarrino, die beide an der Grenze zur Hörbarkeit operieren, als es sich im nächsten
Moment vor eine Aufgabe gestellt sah. Unvermutet schritt eine Art Stadtpfeifer zum Podium, dudelsackartige Klänge
ohne Dudelsack von sich gebend. Stattdessen hatte der Mann drei Röhren im Mund, die alle gleichzeitig schnarrende
Laute von sich gaben. Ins Forum neuer Musik war die Launeddas, das sardische Rohrblattinstrument,
hereingeplatzt. Neu? Nicht ganz, denn so oder so ähnlich soll das Instrument schon vor gut und gern 5.000
Jahren geklungen haben.
Von solchem Clou ein archaisches Hirteninstrument im Kontext neuer Musik ging es weiter zum
Experiment: Auftritt der Neuen Berliner Klangforschung, bestehend aus der Pianistin Andrea Neumann
und ihrer Partnerin, der Jazz-Trompeterin Sabine Ercklentz. Neumann hatte ein Klavier bis auf den saitenbespannten
Gußrahmen zerlegt und daran eine Elektronik angeschlossen. Dergestalt erkundete die Kammermusik
für vier Lautsprecher und zwei Instrumente der 1968 und 1967 geborenen Musikerinnen das Gelände
jenseits konzert-saalgängiger Klangereignisse.
Es hört sich an, als ob man Löwen wecken will. Dieses Statement einer elfjährigen
Schülerin zur Berliner Geräuschmusik war indessen keine Einzelstimme. Bereits im Vorfeld hatte Kämpfer
den Kontakt zum Luise-von-Duesberg-Gymnasium aus Kempen gesucht und um Stellungnahmen gebeten. Thema: Musikunterricht
und Neue Musik, wobei das und allen signalisierte, dass hier etwas (immer wieder neu) zusammenfinden
muss.
Ein Komponisten-Interpreten-Round-Table griff den Faden auf. Zunächst kreiste die Debatte etwas
mühsam um die Erweiterung des Konzertraums und die Besetzung subkultureller Räume.
Als dann aber die Interpretinnen Angelika Luz (Neue Vocalsolisten Stuttgart) und Annette Reisinger
(Minguet Quartett) überraschend eine Lanze für die Konvention brachen, hielt
der Roundtable für einen Moment inne: Wer (zu)hören will, muss still werden. Auf ganz
leisen Sohlen hatte sich eine Erkenntnis in den Sendesaal geschlichen.
Stille und Konflikt. Beides muss zusammengehen. Im furiosen Eröffnungs- wie im nachdenklich stimmenden
Schlusskonzert wurde dies hörbar. Unter der Leitung von Manfred Schreier präsentierten die Neuen
Vocalsolisten Stuttgart Luigi Nonos selten gespieltes Quando stanno morendo, eine ins Universelle
übersetzte Trauermusik zur Kriegsrecht-Verhängung in Polen 1981. Das Extremwerk für vier Frauenstimmen,
Bassflöte, Cello und Liveelektronik forderte Künstler wie Techniker im Kölner Sendesaal. Wenn
Menschen sterben, singen sie. Nachvollziehbar, dass ausgerechnet dieser Vers des Poeten Welemir Chelbnikov
einen Luigi Nono inspirierte. Ein verstörendes Bild für die (Ohn)macht der Musik vergleichbar
der mythischen Erzählung vom Haupt des Orpheus, das singend übers Meer treibt. In Köln fiel es
vor allem der grandiosen Sopranistin Angelika Luz zu, diese orpheische Qualität zu beglaubigen.
Unter größtmöglichem Körpereinsatz erkämpfte sie sich den luftleeren Raum
um das dreigestrichene E. To be or not to be? deklamierte im Schlusskonzert des Forums Bariton Klaus
Mertens, begleitet vom hervorragend disponierten Minguet Quartett. Neben Ligetis waghalsigem 1.
Streichquartett und einem spätromantischen Notturno des Schweizer Quergängers Othmar
Schoeck interpretierte das Quartett in einer Uraufführung die Hamlet-Fragmente von Ruth Zechlin.
Die betagte Komponistin, die als junge Lehrerin die Schönbergtradition an die jungen Wilden
der DDR zu vermitteln suchte, hatte eine weite Anreise nicht gescheut. Mit ihrer Anwesenheit ehrte sie ein Forum
neuer Musik, das seinen Weg zwischen Konvention und Experiment, zwischen Stille und Konflikt erfolgreich
eingeschlagen hat. Ein gelungener Kuratoreneinstand eines risikobereiten Redakteurs für Neue Musik, dem
sein Sender, der um seinen Kulturauftrag weiß, darin zur Seite steht: Position beziehen, Anstöße
geben, etwas tun gegen das Altern der neuen Musik. The rest is silence? Im Gegenteil. Dies war erst
der Anfang.
Georg Beck
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Sendedaten im Deutschlandfunk: 31.3., 11.4., 18.6. jeweils 21.05 Uhr.