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nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 40
51. Jahrgang | April
Jazz, Rock, Pop
Zeig mir deine Wunde, Liebling!
Die Rückkehr der Songwriter: Ryan Adams und die Folgen
Regime-Wechsel: Wo eben noch die weitgehend anonymen oder jedenfalls ständig ihre Identität wechselnden
Sound-Architekten fast unbestritten das Terrain beherrschten, brechen jetzt die Songwriter-Individuen mit ihren
angeblich unverwechselbaren Geschichten in die Techno-Universen ein. Eine Revolution im Lande Pop? Ja, aber
eine verwirrende. Denn alles bleibt anders.
Cooler Held: Josh Rouse. Foto: Matt Boyd/Slow River
Das Leben des Ryan sorgt für Aufregung! Der etwas andere Adams beschäftigt nicht nur die Ohren und
Herzen, sondern auch die PC-Tastaturen. Die Journalisten scheinen in dem Heartbreaker und Gold-Kind
(so die Titel der ersten beiden Alben) die definitive Story zu entdecken. Für die geplagten Plattenbosse
avanciert er zum Retter der Bilanzen. Aber: Ist Ryan Adams wirklich neu? Macht er tatsächlich alles anders?
Nein, eher schon ist er ein rückwärtsgewandter Prophet, der Wiedergänger einer großen Vergangenheit,
der aus seiner riesigen Plattensammlung vertraute Identitäten herauskramt und sie anprobiert, freilich
so, dass das eigene Ego nicht völlig verschwindet. Mit einem virtuosen Da capo verspricht er das Unerhörte.
Der neue Dylan? Auch. Aber das kann er nicht mehr hören. Denn er will nicht einer, er will alle sein. Wo
Avantgardisten vor ihm den widerborstigen Igel hervorkehrten und stachelbewehrt immer nur sie selbst waren,
ist er ein freundlich-vielgesichtiger Hase, der sich alles schnappt und immer als erster im Ziel ist. Ryan Adams
hat keine Angst vor Brüchen und keine vor Masken. Zur Not kann er auch Sylvia Plath sein, der
er einen Song gewidmet hat; oder zumindest von einer Frau träumen, die alles in sich vereint: Sex und Klugheit,
Verzweiflung und Überschwang.
Aber Ryan Adams ist natürlich kein Recycler und schon gar kein Epigone. Sein Anspruch ist maßlos-bescheiden:
er will so etwas wie der Sprecher seiner Generation werden, eine Aufgabe, vor der Kurt Cobain noch bis zum Suizid
zurückschreckte; nicht als Teenage-Rebell freilich (er ist 27!), der alle Vorgaben der Erwachsenen wegwischt,
weil nur so das eigene Leben möglich scheint, sondern als Instant-Klassiker, der schon, während er
einen Song auf Serviette notiert, in Kategorien der Kulturgeschichte denkt: Ein Shakespeare-Stück,
der Prometheus-Mythos, alle suchen doch nur nach neuen Varianten, um die gleiche Geschichte zu erzählen,
diktierte er dem Rolling Stone. Und er lässt keinen Zweifel, wie Shakespeare und Prometheus heute aussehen.
Während Ryan Adams, der Schaffenswut verfallen wie andere Schmerzensmänner vor ihm, drei, vier Stunden
live spielen will, bis alle Songs gespielt sind und der letzte Rest an Traurigkeit verdampft ist und
natürlich fallen ihm selbst Bruce Springsteen oder Grateful Dead dazu ein müssen die Strokes
mit ihrem guten Dutzend Kürzest-Liedern das Plateau der Euphorie rascher und jäher erreichen.
Das Leben des Ryan und das Leben der Strokes das scheinen die beiden Möglichkeiten zu sein, um
die herum eine neue, mal rüde, mal zart-melancholische, aber stets erfahrungsgesättigte Rock- und
Pop-Musik entsteht, die Sounds durchaus nicht verschmäht, aber auf den Song, die große, bleibende
und erlösende Geschichte hinaus will. Und mögen die Identitäten noch so schillern und überall,
durchaus gewollt, die Vor-Bilder durchschimmern: es geht um das Unverwechselbare, auch wenn es nur für
einen Augenblick gilt und süchtig nach der Metamorphose, dem Gestaltwechsel ist. Das Klang-Kollektiv, das
noch die letzten Spuren einer (ver-)störenden Existenz löscht, scheint einstweilen passee.
Kaum ist Ryan Adams da, schon wirkt er traditionsbildend. Und es spielt dabei kaum eine Rolle, dass manche
der Musiker, die von seinem Erfolg profitieren, länger im Geschäft sind als er selbst. Das momentan
beste Beispiel, das stellvertretend für viele stehen soll: Josh Rouse. Der wurde bereits für sein
98er-Debüt Dressed Up Like Nebraska viel gelobt, blieb aber Geheimtipp, genauer: musicians
musician und Liebling der Archivare, die von dem Moment an, wo etwas Neues erscheint, an die Ewigkeit
denken und es für die Nachwelt katalogisieren. Lambchops Kurt Wagner fand Josh Rouse, mit dem er zusammenarbeitete,
sublim; auch Michael Timmins von den Cowboy Junkies outete sich als Fan da werden, im nachhinein,
untergründige Ryan Adams-Filiationen sichtbar. Dann produzierte Josh Rouse Home, ein schönes
Album, so eingängig, dass es fast wie ein Entree in die Vergessenheit wirkte. Aber jetzt, mit Under
Cold Blue Stars (Ryko/Zomba), erscheint er plötzlich als next big thing einer erzählenden
Pop-Musik. Wo freilich Singer-Songwriter früher, selbst wenn sie nur Aufgeschnapptes wiedergaben oder die
vermischten Nachrichten von Provinzzeitungen weiterfantasierten, auf Authentizität beharrten,
da verwandelt Josh Rouse seine ureigenen Geschichten in ferne Erfahrungen. Eine 50er-Jahre-Familie tritt auf,
die seine ureigensten Wünsche, Konflikte, Depressionen ausagiert. Josh Rouse inszeniert einen Familienroman,
der zu einem Sample von betörenden Songs gerinnt, die man unter dem Titel Strindberg in Nebraska zusammenfassen
könnte nur dass die vertraute Hysterie hier sehr cool, sehr blue daherkommt, nicht explosiv-überdreht,
sondern eher melancholisch. Die neuen Song-Heroen des Ryan-Adams-Typs setzen sich Masken auf und plötzlich
wird eine verschollene, verwirrende Welt sichtbar.