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nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 21
51. Jahrgang | April
Bücher
Propagandistisch deutscher Vorzeigekünstler
Hans Pfitzner und der Nationalsozialismus: Ein Buch wartet mit neuen Ergebnissen auf
Angesichts zahlreicher Veröffentlichungen zu Leben und Werk Hans Pfitzners seit dem Zweiten Weltkrieg,
insbesondere der Periodika der Hans-Pfitzner-Gesellschaft und der wiederholt von diesem Verein durchgeführten
wissenschaftlichen Symposien, der umfangreichen Biografie von Bernhard Adamy (1980) und des 1987 erschienenen
Nachtragsbandes Sämtliche Schriften, hätte man annehmen müssen, es gäbe keine
weißen Flecken in der Vita des Komponisten, Musikschriftstellers, Dirigenten, Regisseurs, Pianisten und
Lehrers.
Auf allerlei bislang unbeachtete, braune Flecken ist Sabine Busch in ihrer Dissertation Hans Pfitzner
und der Nationalsozialismus gestoßen, die im Verlag J.B. Metzler erschienen ist. Denn tatsächlich
hat die Autorin eine Reihe noch nicht wieder veröffentlichter Texte und zum Teil wohl auch wissentlich
unterdrückter Absätze der in Band 4 der Schriften abgedruckten Aufsätze aufgetan. Ihre immense
Fleißaufgabe Busch hat offenbar alle Tageszeitungen in der Zeit des Dritten Reichs ebenso durchstöbert,
wie diverse Staats- und Bundesarchive hat sich gelohnt. Die Ergebnisse sind säuberlich aufgearbeitet,
einwandfrei indiziert und sorgen nicht für neue Fronten.
Deutlich wird, dass Hans Pfitzner sich sehr darum bemüht hat, als Deutschester der Komponisten
im Dritten Reich anerkannt und gewürdigt zu werden, dass aber alle Versuche, ihn in Aufführungspflege
und Ehrung zum führenden Komponisten des Regimes zu machen, von Berlin aus gebremst wurden. Einerseits
hatte Hitler den Komponisten bereits 1923 im Schwabinger Krankenhaus aufgesucht und dabei sofort Antipathie
für den vermeintlichen russischen Halbjuden empfunden, weshalb er auch Aufführungen seiner Werke stets
bewusst gemieden hat. Zum anderen hatte aber der Komponist selbst, durch seine gereizte Art, durch vervielfältigte
Denkschriften und durch Querulantentum, durch eigene Gehässigkeiten, forciert noch durch die
seiner Apologeten, sich selbst immer wieder entscheidende Möglichkeiten verbaut.
Obwohl aus Pfitzners Freundeskreis Witze des Komponisten und desavouierende Sprüche überliefert
sind (so soll er Hitler den entfesselten Proletheus genannt haben), schrieb Pfitzner 1934 und 1936
feurige Wahlaufrufe für Hitler, stets im Bemühen, endlich in seiner Bedeutung als wichtigster Vorkämpfer
für das Dritte Reich anerkannt zu werden. Dabei berief er sich insbesondere gern auf sein gegen den jüdischen
Rezensenten und Intendanten Paul Bekker gerichtetes Pamphlet Die neue Ästhetik der musikalischen
Impotenz aus dem Jahre 1919.
Parallel zu Pfitzners antisemitischen Äußerungen aber ist auch noch in der NS-Zeit
sein Einsatz für seine jüdischen, deutschnationalen Freunde, wie für den Publizisten Paul Nikolaus
Cossmann, seinen Schüler Felix Wolfes oder für den Pfitzner-Regisseur Otto Erhardt zu konstatieren.
Besondere Beachtung erfahren bei Busch die mehr als ambivalenten und zumeist seitens Pfitzners undankbar
beendeten Freundschaftsbeziehungen: zu Thomas Mann, dessen Flucht ins Exil Pfitzner durch seine Unterschrift
auf dem Münchner Protest gegen Manns Wagner-Vortrag mit bewirkte, zu Paul Cossmann, der im KZ Theresienstadt
umkam, was Pfitzner in einem Brief mit in Theresienstadt friedlich entschlafen umschrieb, zu Bruno
Walter, der emigrierte und Pfitzner 1945 einen der 41 Persilscheine lieferte, die zur Entnazifizierung
des Komponisten führten, und zum Polen-Gouverneur Hans Frank, dem berüchtigten Schlächter
von Auschwitz, dem Pfitzner sein Orchesterwerk Krakauer Begrüßung, op. 54 widmete
und vor der Hinrichtung noch ein tröstendes Telegramm ins Nürnberger Gefängnis sandte, aber die
enge Beziehung zu Frank vor der Spruchkammer leugnete.
Busch weist nacht, dass Pfitzner im Dritten Reich mehr Ehrungen erhielt, als allgemein bekannt, insbesondere
aus Anlass seines 65., 70. und 75. Geburtstages. Nach dem Ende der Weimarer Republik wurde der Komponist im
besetzten Ausland, in Belgien, Frankreich, Polen und Posen, als propagandistisch deutscher Vorzeigekünstler
(Busch), als Aushängeschild deutscher Kultur gespielt und geehrt. So erhielt er in Posen, wo auch sogleich
eine Straße nach dem Komponisten benannt wurde, den für ihn eigens verdoppelten Musikpreis des Reichsgaues
Wartheland. Eine kleine Episode in diesem Zusammenhang zeigt einerseits, wie genau Busch recherchiert hat, andererseits,
wie kleinlich Pfitzner auch in Alltagsdingen war: Der Meister, dessen Geldbeutel von den erhaltenen 20.000
Reichsmark Preisgeld sowie seinem Dirigierhonorar gut gefüllt war, erregte Missstimmungen, weil er sich
vom zufällig im gleichen Zug reisenden Landeskulturverwalter unbedingt 16 RM für die Umschreibung
der Fahrkarten von 1. auf 2. Klasse ausstellen lassen wollte.
Der Anhang des Buches bringt unter anderem ein Faksimile von Pfitzners bislang unbeachteter Widmung des Palestrina-Klavierauszuges
an Mussolini, aber auch die vor Gericht gebrachte Erklärung Pfitzners, warum er sein Eheversprechen einer
Frau Sch. gegenüber nicht einzulösen bereit war. Eine lesenswerte und gut lesbar geschriebene Arbeit,
nicht nur was die unbequeme Persönlichkeit des Komponisten angeht, sondern auch im Hinblick auf heftig
divergierende kulturelle Bestrebungen der einzelnen Kulturverantwortlichen im Dritten Reich, wie auf die äußerst
sorgfaltslosen Vorgänge der Entnazifizierung in Deutschland.
Peter P. Pachl
Sabine
Busch: Hans Pfitzner und der Nationalsozialismus, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-45288-3,
422 S., geb., 34,76 E