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nmz-archiv
nmz 2002/04 | Seite 30
51. Jahrgang | April
ver.die
Fachgruppe Musik
Aufschlussreicher Besuch bei einem Erfinder
Frankfurter Musikmesse: Wie eine neue Idee die Klaviertechnik revolutionieren könnte
Nein, nicht erst in die Halle 3, wo ver.di seinen Stand hat. Die Sensation hält ein anderer der 1.452
Aussteller bereit, in Halle 1. Da ist es laut. Zum Brüllen laut auf der Musikmesse. Müsste längst
verboten sein. Nach dieser unglaublichen, aber wahren EU-Richtlinie, wonach neuerdings sowieso die Hälfte
des sinfonischen Repertoires wie krumme Gurken auf dem Brüsseler Kompost landen könnte. Nicht etwa
weil es sich um Kompositionen für Krummhorn handelt, was eine andere Biegung hat wie die genormt-zulässigen
Bananen, sondern weil den Kommissaren das meiste Forte-Fortissimo der Konzertliteratur auf die Nerven geht.
In der Frankfurter Halle 1 würden die Kommissare glatt Sanktionen und einen Einfuhrstopp gegen Russland
verhängen. Da donnern was sag ich: dreschen! Zeitgenossen an allen Ecken, am liebsten
aber am liebsten nicht unisono die Anfangstakte von Tschaikowskys b-Moll Klavierkonzertpart in die Tasten
geschundener Ausstellungsstücke. So als müssten sie ohne Elektronik das Wembley-Stadion erobern. Das
Tastengerammel schreit geradezu nach dem Brüssler Kommissariat: Fouls an unsichtbaren Dirigenten. Brüssel,
die rote Karte! Hier werfen sich ganze Pianistenkörper in die Klaviatur, mehr als die 250 Gramm, die derzeit
mindestens nötig sind, um am Flügel Druck zu machen und einen Ton zu erzeugen. Deshalb brüllt
Herr Josef Meingast am Stand von Steingraeber & Söhne ganz nahe an meinem Ohr was von ...issimokultur!
Völlig neu! Was? ...olle ...reibung!
Patente Sache: Schneller Anschlagen mit der Hammerrolle. Fotos: Baltzer
Sehnsüchtig gucken wir hinüber zum Stand von Hanns Neupert, wo Cembali, Spinette, Klavichorde und
Hammerklaviere von verklärt guckenden Messeflaneuren befingert werden. Ohne Chance, hier je gehört
zu werden. Stummfilmerotik dort. Dort, von Neupert, hat man mich herübergeschickt zu Steingraeber. Bei
Neupert baute Josef Meingast 40 Jahre lang feine, wunderschön anzuschauende Instrumente und erforschte
nicht nur deren Töne, sondern er wurde auch unterstützt bei seiner Entwicklung, von der er schließlich
berichten kann, als ein Schwergewicht endlich die effektvolle erste Tschaikowsky-Passage mit Radau und Applaus
hinter sich gebracht hat.
Zeit für leise Töne. Laut kann jeder. Das weiß man. Josef Meingast, ein weißhaariger
freundlicher Herr, hat in den vergangenen zwei Jahren sein Lebensforschungsprojekt abgeschlossen: Die drehbare
Hammerrolle! Und so ist nun dreierlei möglich: eine völlig neue Pianissimo-Kultur des Klavierspiels,
eine enorm verbesserte Repetierfähigkeit der einzelnen Töne und ein um etwa ein Viertel verminderter
Kraftaufwand bei der Tonerzeugung mit der modernen Flügelmechanik. Nix mehr also mit 250 Gramm Anschlaggewicht.
200 Gramm sind es künftig, sollte sich Meingasts Entwicklung durchsetzen.
Meingast ist nicht irgendein Erfinder. Der Österreicher sitzt von Bamberg aus der Instrumentenbauerzunft
vor, und er pflegt seit 30 Jahren Mozarts Instrument, ein Heiligtum. Ein Experte also, der den gordischen Knoten
zerschlagen hat, an dem sich Generationen von Pianisten bis zu physischen Defekten abquälten. Der Kinder
die Tränen in die Augen trieb. Der Virtuosen wie Glenn Gould in die Tasten von technisch ausgelutschten
Instrumenten greifen ließ, was etwa bedeutet, Michael Schumacher säße auf einem Ferrari mit
klappenden Ventilen. Und nun diese Erfindung. Sie ist gleichermaßen einfach wie physikalisch.
Um sie zu begreifen, ist kein Gang mit Fuchsschwanz und Schraubenzieher zum Flügel nötig, Meingast
zeigt Fotos: Das durch einen Kreis hervorgehobene Teil der Mechanik nennt man die Hammerrolle. Sollten Sie einen
Flügel besitzen, so sind die Hammerrollen darin zwar mit feinstem Leder bespannt, verdienen aber überhaupt
nicht den Namen Rolle. Sie sind starr und rutschen beim Anschlag auf dem metallbelegten Repetierschenkel
vor und zurück.
Gleitreibung nennt man dies, was bei japanischen Fabrikaten leider all zu oft quietscht.
Meingast ist zu bescheiden, um seine Erfindung eine Revolution zu nennen, aber seine Erklärung
kommt einer gleich: Er hat die Nichtrolle zur Rolle gemacht. Durch die leichte Drehbarkeit der Hammerrolle
entfällt die Gleitreibung zwischen der Hammerrolle und dem Repetierschenkel. Dadurch bewegt sich der Hammer
beim Niederdrücken gleichmäßig, das heißt für den Spieler absolut kontrollierbar
zur Saite. So weit, so verblüffend. Genial die Wirkung: Unmittelbar bevor der Hammer die Saite
berührt, erfolgt die ,Auslösung, das ist die Aufhebung des Kraftschlusses zwischen Stoßzunge
und Hammerrolle. Dabei dreht sich die Hammerrolle um die eigene Achse, und der Kraftaufwand dieses Vorgangs
ist etwa ein Viertel weniger als bei der bisherigen nicht drehbaren Hammerrolle. Und weil nun beim Lösen
des Hammers nicht mehr (quietschend) geglitten, sondern gerollt wird, gehts schneller, so dass man den
Ton in kürzerer Zeit wieder anschlagen kann.
Josef Meingast lächelt wie ein Bub. Dabei hat er nichts zu Lachen: 30.000 Mark kostete ihn die Patentierung
sagen wir ruhig der Meingasthammerrolle in Deutschland. Das europäische Patent
lehnten die Richter mit dem Verweis auf vier andere ähnliche Patente ab, die allerdings nicht funktionieren.
Das sind halt keine Pianisten, ärgert sich Meingast, greift in die Jacketttasche und holt ein
von ihm zum Beweis nachgebautes Patent von 1947 heraus. Sieht ein bisschen so aus, als käme das Teil aus
Omas altem Holzwäscheklammersack und wäre da wohl auch gut aufgehoben.
Und noch zwei Dinge sind nicht zum Lachen. Erstens: der Japaner. Wenn nämlich der Japaner kommt in Gestalt
von Yamaha, der jede Entwicklung forciert, weltweit patentiert und dann im Tresor verschließt. Gefahr
für die kleinen nichtquietschenden Rollen: Überall kleine Japaner. Yamaha habe drei Monate Einspruchsfrist
gegen das Patent, sagt Herr Meingast. Zweitens: Gegen Yamaha, sagt Herr Meingast, kann er nicht prozessieren.
Völlig klar. Drittens: Wer bringt das Patent zum Durchbruch? Den erstmals auf der Messe ausgestellten
Meingasthammerrollflügel hat der Erfinder mit Hilfe seiner beiden Söhne, die in Bamberg
einen Instrumentenhandel betreiben, selber mit der Neuheit bestückt.
Wer aber baut den Automaten für die Rollen? Wer trägt die Entwicklungskosten von ein paar hunderttausend
Euro, um die Neuheit durchzusetzen? Steinway, Schimmel, Steingraeber? Zwei Firmen zeigten sich bis zum letzten
Sonntag interessiert. Zum Abschied ein paar Takte Schubert, Erlkönig ...rattatadamtadam.
Tattattatatta ... Das jetzt mögliche Tempo scheint die Angst nur noch atemloser zu machen.
Atemlos weiter zu Halle 3.1., wo die ver.di-Musiker zwischen Zupf- Quetsch- und Bläserständen für
die Gewerkschaft werben. Ein schlechter Platz. Forte-Fortissimo nirgends. Trotz Freibier und Stimmung zu Trachtenmusi
nebenan. Die aufopfernde Präsenz und die Beratungsgespräche der ver.di-Kollegen haben nur an die 20
Besucher dazu gebracht, sich die Beitrittsformulare zur Gewerkschaft in die Tüten zu stecken. Ach, kämen
wir doch auch hier ohne interne Reibungsverluste aus! Wie attraktiv wäre ver.di vom Pianopianissimo bis
zum Fortefortissimo!