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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 35
51. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Musikalische Spuren des anderen Amerika
Woody-Guthrie-Biografie im List Verlag wieder erschienen
Im Haus des Musikethnologen, Dirigenten und Musikprofessors Charles Seeger (18861979) interessierte
man sich für Volksmusik, war strikt pazifistisch und gegen die Rassentrennung eingestellt. In diesem Ambiente
wuchs der heute über 80-jährige Banjospieler, Sing-along-Veranstalter, Gewerkschafts- und später
Umweltaktivist Pete(r) Seeger (geb. 1919) auf.
Eher weniger zu Hause, mehr auf der Straße, in Buden und Slums wuchs ein Lockenkopf auf, der außer
Maschinenschrift eigentlich nichts wirklich lernte, sieht man einmal vom Musizieren mit Gitarre, Fiddle und
Mundharmonika ab. Sein präzises Beobachtungsvermögen und seine schier unerschöpfliche Formulierungskunst
ließen ihn zu einem der größten Liedermacher überhaupt werden. Die Rede ist natürlich
von Woody Guthrie (19121967). Das politische Klima der USA zur Zeit des jüngeren Guthrie hat John
Steinbeck literarisch unter anderem in Früchte des Zorns festgehalten. Als Pete Seeger und
andere in der McCarthy-Ära wegen ihrer wirklichen oder vermeintlichen Nähe zum Kommunismus auf den
schwarzen Listen landeten, war Guthrie, der Texter von weit über tausend Songs, wegen der Huntington-Krankheit
totgeweiht hospitalisiert und beleidigt, dass er nicht auch auf den schwarzen Listen stand.
Jetzt wurde die lange vergriffene Übersetzung seiner Autobiografie neu aufgelegt: Woody Guthrie, Dies Land
ist mein Land (Hardcover, ca. 446 Seiten, Nautilus Hamburg 2001, E 25,). Abgesehen von den üblichen
Übersetzungsfehlern gelang es, viel vom Charme des Originals festzuhalten.
Objektiv freilich ist die Autobiografie nicht, und auch nicht sehr politisch: die New Yorker Lektorin
war vom Viel- und Schnellschreiber mit Manuskripten buchstäblich zugeworfen worden und hatte große
Probleme, irgendeine Linie zu finden. Und die fehlt bis heute, doch dafür findet sich so manche charmante
Anekdote in dem Band, der mit allerhand Zeichnungen des Autors geschmückt ist.
Wer es wirklich genau wissen will, kann auf die kürzlich erschienene deutsche Fassung der quasi amtlichen
Biografie zurückgreifen: Joe Klein, Woody Guthrie (Taschenbuch, ca. 620 Seiten, ISBN 3-548-60084-0, List
München 2001, E 9,95). Guthries Geschichte ist eine Geschichte des anderen Amerika, spannend, teilweise
arg deprimierend, wegen Woodys Manie teilweise sexuell sehr freizügig und gespickt mit Lied- und anderen
Zitaten, die zum Teil leider nur unzureichend übersetzt sind.
Trotzdem ist es erfreulich, dass das Buch nun für einen zivilen Preis auch Lesern zugänglich ist,
die etwa mit amerikanischem Slang Probleme hätten. Bei Smithsonian/Folkways (Vertrieb Koch International)
sind in den letzten Jahren diverse Guthrie-CDs veröffentlicht worden, so dass Vieles wieder zugänglich
ist.
Doch wenn er mit weiteren Musikern zu hören ist, wird es immer lebhaft. Jetzt taucht eine legendäre
Gruppe aus der Versenkung auf, die jeder Guthrie- und Seeger-Kenner immer schon hören wollte: The Almanac
Singers Vol. 1 Talking Union (Naxos Nostalgia). Hier wurden 21 Titel aus den Jahren 1941/42 zusammengestellt,
die den Werdegang der Gruppe um Seeger von der eher betulichen Folk-Ecke über die Gewerkschaftsarbeit zum
militanten Antifaschismus dokumentieren.