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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 37
51. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Ein Feuerwerk der Klaviermusik
Musikbiennale Venedig sucht neue Organisationsmodelle
Die Biennale Venedig, das internationale Festival für Film, bildende Kunst, Architektur, Theater, Tanz
und Musik, ist eine halbstaatliche Institution und wird von der Regierung in Rom finanziert. Damit ist sie so
wenig politikfern wie etwa das staatliche Radio und Fernsehen. Gegenwärtig befindet sie sich wieder einmal
im Umbruch.
Es überraschte nicht, dass die Berlusconi-Regierung im Dezember 2001 einen neuen Biennale-Präsidenten
ernannte: Franco Bernabé, zuvor Spitzenmanager bei der Ölgesellschaft ENI und bei der Telekom. Man
erhoffte sich von ihm frische Ideen und eine neue Dynamik für die Kultur. Doch zu seinem Amtsantritt im
Februar wurden ihm als Morgengabe gleich 17 Prozent der Mittel für das laufende Jahr gestrichen. Um diese
Quote hatte die Regierung nämlich die italienischen Kulturausgaben gekürzt, und da die Biennale per
Gesetz über ein Prozent des staatlichen Kulturbudgets verfügen kann, schlägt jede Mittelkürzung
direkt auf ihren Haushalt durch. Darunter hatte nun auch die Musikbiennale zu leiden, deren erster Teil (im
September folgen weitere Veranstaltungen) nun im Mai über die Bühne ging. Der vorläufige Effekt:
Streichung von Projekten, Planungsunsicherheit und die vorzeitige Kündigung des Leiters der Sektion Musik,
Bruno Canino.
Bernabé plant eine Flexibilisierung der Strukturen, indem er im Bereich Musik/Tanz/Theater für
jede künstlerische Sektion nicht mehr einen Direktor für eine vierjährige Amtszeit ernennen will,
sondern gleich deren drei, die sich in jährlichem Turnus ablösen sollten. Jeder von ihnen hätte
dann die Pläne seines Vorgängers zu verwirklichen und zugleich neue zu entwickeln für den Nachfolger.
Und weil Bernabé das Planungschaos, das unter diesen Einjahresdirektoren ausbrechen könnte, offenbar
schon vorausahnt, will er ihnen auch gleich noch einen coordinatore zur Seite stellen, der ihre
divergierenden Aktivitäten unter einen Hut bringen soll.
Mit dieser absolut innovativen Methode geht Bernabé gehörige Wagnisse ein. Was in
der Wirtschaft vielleicht funktioniert, der schnelle Vollzug von schnellen Entscheidungen, könnte sich
hier als Rohrkrepierer erweisen.
Künstlerische Prozesse müssen oft über Jahre hinweg reifen, brauchen also Kontinuität
auch seitens der Veranstalter. Damit könnte die Idee einer permanenten und raschen Erneuerung des Produktionsapparats
kollidieren. Außer man reduziert Kunst auf Tagesaktualität und saisonale Events. Im Verwaltungsrat
der Biennale sollen Bernabés Pläne auf Widerstand stoßen, berichtete Mitte Mai die República.
Die Zeitung verriet auch gleich eine lange Liste von Personen, die angeblich als neue Direktoren im Gespräch
sind. Zu Bernabés Wahl sollen der brasilianische Tänzer Ismael Ivo, der Turiner Regisseur Massimo
Castri und für die Musik der Jazzer Uri Caine sowie der Komponist Giorgio Battistelli gehören. Für
den Tanz sollen angeblich auch die Namen von Sascha Waltz, für die Sektion Musik von Ada Gentile und Claudio
Ambrosini gehandelt werden. Nicht zuletzt steht offenbar auch Mario Messinis wieder zur Debatte, der die Musikbiennale
in den 80ern zu einsamen Höhenflügen führte. Die Spekulationen um Strukturen und Personen schossen
jedenfalls im Mai noch wild ins Kraut, und es machte nicht den Anschein, dass bis zum angepeilten Termin von
Anfang Juni eine Entscheidung über die Zukunft der Musikbiennale fallen würde.
Die Konzerte, die nun im Mai stattfanden, besaßen Merkmale des Übergangs. Ein kleiner Programmschwerpunkt
mit Kammermusik und dem Bühnenwerk Don Perlimplin war Bruno Maderna gewidmet. Eine Woche später
folgte dann ein dreitägiges Feuerwerk zeitgenössischer Klaviermusik mit neun Pianisten. Die Mailänderin
Maria Grazia Bellocchio brachte eine Uraufführung von Sandro Gorli mit, der Venezianer Komponist und Pianist
Luca Mosca begeisterte seine Anhängerschaft mit prächtig-virtuosen Eigenkompositionen, Hiroaki Ooï
baggerte sich souverän durch die Notenberge seines Xenakis-Programms. Stefan Litwin stellte in seinem kommentierten
Konzert das intelligent komponierte Programm mit Werken von Liszt bis Lachenmann vor.
Herausragend war das Konzert von Massimiliano Damerini. Der italienische Virtuose und Klangzauberer schlug
einen weiten Bogen von vier skrjabinesken Klavierstücken von Nikolai Roslavets in die Gegenwart: zu Klavierstücken
von Luis de Pablo, zu Daphnes Lied, einer konzentriert und klanglich raffiniert gearbeiteten Komposition
von Bettina Skrzypczak sie war das einzige Auftragswerk dieser Biennale und zur 3. Sonate von
Carlo Alessandro Landini, die unaufhörlich um einen Zentralton pendelt und zugleich weite Räume öffnet.