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nmz 2002/06 | Seite 49-50
51. Jahrgang | Juni
Dossier: Auf der Suche nach einer Neuen Oper
Fantastische Entführungen in virtuelle Opernwelten
Münchener Biennale 2002 mit Werken von Widmann, Winkler, Stahnke, Kagel und Werner · Von Reinhard
Schulz
Einer der mit Vorliebe verwendeten Begriffe von Peter Ruzicka, dem Leiter der Münchener Biennale (und
der Salzburger Festspiele) lautet Zweite Moderne. Er möchte sich programmatisch nicht abfinden
mit postmodernistischer Egalität, sondern will der auf diesem Feld errungenen neuen Freiheit die Basis
bereiten für einen zweiten, einen vielleicht fundierteren Aufbruch ins 21. Jahrhundert.
Diesem Prinzip folgend hatte die Münchener Biennale in diesem Jahr den Anspruch mit dem Motto Oper
als virtuelle Realität sehr hoch gehängt. Freilich könnte angemerkt werden, dass die Oper
seit ihrer Entstehung vor 400 Jahren im Grunde die Kunstform des Virtuellen an sich ist. Der auf der Bühne
den Text singende Mensch, eine Dramaturgie die den realen Zeitverlauf immer wieder dehnt, die auch zumindest
in neueren Formen der Oper auch ihre Überlappungen zulässt, all dies war virtuelle Realität noch
bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Doch natürlich lag der Akzent anders. Gemeint war die Einbeziehung
der Mittel, die unseren Alltag immer mehr dominieren: die immer schnellere Verfügbarkeit von Informationen,
das Internet, der Computer, die überwältigende Bandbreite von Simulationsspielen, in denen Realität
und Scheinhaftigkeit sich vermischen. Nachrichten aus Krisengebieten über unterschiedliche Medien etwa
sind Beispiel für solch unmerkliche Verschleifungen, für den künstlichen Scheinbau von Realitäten,
die zur Wirklichkeit nicht kongruent sind. Cyberspace und Computer-Animation rütteln daneben immer wieder
ganz leicht und spielerisch an unseren Bewusstseinslagen. Das Wagnis der Biennale war also zeitlich überfällig.
Vor allem dann, wenn sich die Oper nicht als Bastion des Rückzugs in verklärte Welten verstehen will,
was mehr und mehr zu ihrer Krise beiträgt. Virtualität in die Oper zu holen hieß im dialektischen
Doppelschritt nichts anderes, als sie wieder mit der Realität unseres Daseins zu verknüpfen. Dass
diese Annäherungsversuche mitunter zäh verlaufen, da Opernapparat und Opernästhetik nicht zum
Beweglichsten zählen, war von Biennale-Leiter Peter Ruzicka schon vorab einkalkuliert. Schwerer wog die
Notwendigkeit des Schrittes, der sich aber auch förmlich aufdrängte. Denn die Komponisten André
Werner, Manfred Stahnke, Gerhard E. Winkler und auch Jörg Widmann oder die Gruppe 48 Nord hatten
schon in der Vorbereitungsphase Projekte vorgeschlagen, die ganz spontan und aus innerem Bedürfnis heraus
Fragen von gegenwärtiger gesellschaftlicher Kommunikation, von medialen Vernetzungen in den Arbeitsprozess
zu integrieren suchten. Es ist wohl die seismografische Funktion von Kunst, die diese Fragen als Dringende auf
die Tagesordnung setzten.
Nichts sagen und das hundertfach: Jörg Widmann komponierte Monologe
für zwei. Foto: Winfried E. Rabanus
Zunächst ein paar Randnotizen. Jörg Widmanns Monologe für zwei in einer Doppelaufführung
(Hamburger Inszenierung und Münchner Inszenierung) wurden relativ kurzfristig in die Biennale integriert.
Das Motto Virtualität, von dem Widmann beim Schreiben der kurzen Szenen wohl nichts wusste,
wurde gewissermaßen von außen beleuchtet. Es ging, und die sichere Hand Widmanns wusste wieder einmal
zu verblüffen, um die Unfähigkeit zu Kommunikation. Es waren Sketche nach Christian Morgenstern und
aus Hörspielpassagen. Man hat sich nichts zu sagen und sagt es hundertfach oder man schweigt. In
jedem Fall ist das Nicht-Gesagte das Eigentliche, der ganze Ballast aus Sehnsüchten und Überdruss.
Widmann setzte das scharfkantig in Musik. Überraschend schön war, wie unterschiedlich das zu deuten
war. Hamburg setzte auf das widersinnig Komische, München betonte das existenzialistische Eingefroren-Sein.
Dann die Gruppe 48 Nord, die aus Computer-Übersetzungsprogrammen eine hochspannende Improvisation
Zungenreden in den Grenzbereichen von Semantik und Klang gestaltete. Ein Textausschnitt von Elias
Canetti lag zugrunde: Die Tatsache, dass es verschiedene Sprachen gibt, ist die unheimlichste Tatsache
der Welt. Sie bedeutet, dass es für dieselben Dinge
verschiedene Namen gibt; und man müsste daran zweifeln, dass es dieselben Dinge sind. Glossolalie
und pfingstliche Aufhebung in unentwirrbarer Verstrickung als Inbegriff gegenwärtiger Kommunikation.
Schließlich im Rahmenprogramm noch Altmeister Mauricio Kagel: Einführung im Konzertsaal.
Es erwies sich, dass Kagel immer noch Überraschungen parat hat, obwohl sein gewaltiges Werk immer wieder
Überraschung bot. Was ist das für ein Stück? Es ist die Situation einer Uraufführung für
großen Apparat nebst Chor, wobei ein Erpresser Teile des Apparts in eigene Gewalt brachte. Komisch, meint
man, aber Kagel sagt, dass das gar nicht komisch sei. Ein Entkommener berichtet entsetzt und fatal glaubhaft,
von draußen dringen Martinshörner und Gewaltgeräusche in den Publikumsraum. Beklemmung und Enge
greifen Platz. Nebenher erklingt das uraufzuführende Stück, auf das es nicht ankommt. Kagel gelang
hier ein kühner Seiltanz aus Konzertsituation und einbrechender Realität. Was ist virtuell? Nichts
und alles. Ein weiterer Hinweis, wie nahe das Thema unser heutiges Bewusstsein berührt. Es war überfällig.
Wenn man aber Überfälliges macht, heißt es freilich noch lange nicht, dass es rundum gelingt.
Musik ist zäh. Sie verteidigt Bastionen, die sie einst eroberte auch dann, wenn sie vorgibt sie abzuschaffen.
Da war zum Beispiel die Oper Orpheus Kristall von Manfred Stahnke, eine Neuaufmischung des so opernträchtigen
Stoffes also. Als Oper in zwei Medien wurde sie angekündigt, was zum einen hieß, dass
parallel zur Hic et Nunc-Aufführung mit allem, was die Oper so braucht, eine Version im Internet (www.orpheus
kristall.net) existierte und immer noch existiert. Version freilich ist übertrieben, im Grunde handelt
es sich um ein Suchspiel nach Eurydike, nach der Frau an sich, die immer auftaucht und sich immer wieder entzieht.
Stahnke hat dazu auch einige Klangderivate aus der Oper mitgeliefert.
Auch im realen Stück ging es ums Suchen. Eurydike ist Vorstellung, dreigeteiltes Fantasma.
Stahnke erläuterte: Sie ist auf der einen Seite die Medusa, die Männerfresserin, die die Männer
anmacht, dann ist sie, wir bezeichneten es so, die Sybille, die unnahbare Zauberin, die den Mann dadurch fasziniert,
dass sie sich niemals offenlegt, und als drittes ist sie gleichsam die Ariadne, die mütterlich beschützende
Führerin. All das aber sind Projektionen des Orpheus oder des Mannes ganz allgemein. Eurydike also
war ein Wesen in dreifacher Ausführung. Um freilich die mediale Suchkomponente noch zu unterstreichen,
hatte Stahnke die Idee, über das Internet Musiker aus aller Welt mitspielen zu lassen. Groß war die
theoretische Vorgabe. Bei Oper, das war eine Ausgangsidee, geht es immer um etwas Virtuelles. Alle Themen
sind immer in einer Traumsphäre. Jens Cording von der Siemens-Kulturstiftung hat mich darauf gebracht,
über das Internet Fenster in diesen geschlossenen Raum hinein zu öffnen. Musiker von außen,
inzwischen sind es neun über den ganzen Globus verteilt, werden also mitspielen. Sie hören nicht das
gesamte Orchester sondern nur den Orpheus, dessen Stimme mit Midi-Daten übertragen wird. Sie sollen auf
diese Klänge reagieren. Nun könnte man einwenden, dass dies ohnehin nicht sonderlich kühn
klingt. Mediale Vernetzungen sind heute an der Tagesordnung, meist über Funk, der aber privatim nicht so
einfach verfügbar ist (deswegen das liberalere Internet!). Was dabei herauskam aber blieb noch weit hinter
einem ohnehin niedrig geschraubten Erwartungsdruck zurück. Manchmal zwitscherte es von irgendwo her, unortbar
ob von präpariertem Band oder wirklich aus LA oder Amsterdam. Für den dramaturgischen Verlauf spielte
es ohnehin keine Rolle.
Im weiten Feld der neuen Unübersichtlichkeit: Gerhard E. Winklers
Heptameron. Foto: Winfried E. Rabanus
Auf der Bühne wurde dazu ein Männer- und vor allem Frauenbild zelebriert (Regie: Bettina Wackernagel),
das in seiner Naivität geradezu peinlich wirkte. Der Orpheus-Mythos beschreibt den Versuch, das Schicksal
anzuhalten, das Geschichtsrad zurückzudrehen mit einer der größten (friedlichen) Waffen, die
die Menschheit überhaupt hat: mit der Musik. Das reduzierte sich hier auf schemenhaftes Aufleuchten von
Männerfantasien, ungeschickt gestellt und plump. Als Positivum konnte man letztlich nur die mikrotonal
durchkonzipierte Musik Stahnkes notieren. Hier gab es schön und feinsinnig Gehörtes, luzide gespielt
von Robyn Schulkowsky auf einer eigens gebauten Subbass-Marimba und dem Ensemble Resonanz. Letztlich freilich
blieb die Musik nur Folie und im Grunde intendierte auch sie schon die allzu leichtgewichtige dramaturgische
Anlage. Als Oper für sich hätte schon manches nicht gestimmt an Stahnkes Versuch, als Konzept medialer
Durchdringung scheiterte das Stück jedoch gründlich.
Anders lagen die Probleme bei André Werners Stück Marlowe. Der Jude von Malta. Auch
er hatte schon im Vorfeld so etwas wie eine virtuelle Struktur angedacht. Man könnte sagen, dass
es schon von der musikalischen Dramaturgie her eine virtuelle Konzeption gibt. Schon der Titel, der den Autoren
integriert, legt dies nahe. Ich stellte Teile aus Marlowes Schauspiel zusammen und machte sie zu Opernszenen.
Es ist so, als würde man Ausschnitte aus einer vorhandenen Oper Der Jude von Malta hören,
die allerdings nur virtuell existiert. Es gibt diese Oper nicht. Der Spielleiter Machiavelli stoppt dann immer
die Szenen und startet neue. Werner hatte ein bewegliches System im Sinn, Kreisläufe ohne Halt gewissermaßen,
wie sie zum Beispiel Treppenhäuser von M. C. Escher suggerieren. In der Musik gibt es dazu Entsprechungen
in den sogenannten Shepard-Tonleitern, die ein ständiges Auf- oder Absteigen vermitteln, ohne dass der
Tonraum sich ändert. Solche Überlegungen lagen der Musik zugrunde, Werner verwies auch auch Moebius-Schleifen,
nach denen die Harmonik des Stücks ausgerichtet sei. Es ging um Machtverhältnisse auf dem Hintergrund
der drei monotheistischen (dadurch Alleinanspruch erhebenden) Religionen Judentum, Christentum und Islam. Marlowes
Stück vom Ende des 16. Jahrhunderts sollte ins Überzeitliche gehoben werden, sein Aufriss legt dies
gerade angesichts heutiger politischer Wirren auch nahe. Darum hieß das Prinzip des Stücks Bewegung.
Nichts steht still und dennoch kommt nichts vom Fleck. Ob das die Musik vermitteln konnte? Vieles war angedacht,
aber was die sinnliche Präsenz des Stücks anlangte, befand man sich doch wieder in den Zwängen
postromantischer Operndramaturgie der sprechenden Gestik. Auch wenn sich Musiken an anderer Stelle wiederholten
und in anderes Licht getaucht waren, konnten sie nicht die Dringlichkeit des Prinzips erfahrbar machen.
Hier hatte das Bühnenbild ein technisch höchst artifizielles Gegengewicht geliefert. Auf hintereinander
geschachtelten Stellwänden wurden Räume projiziert, die sich ständig wandelten. Ein schweifender
Blick eines Protagonisten konnte (parallel dazu) den ganzen Raum in Drehung versetzen, dann wieder wurden die
Agierenden vom Computer in ihren Konturen abgetastet, mit verblüffend genau gelenkten Lichtelementen in
unterschiedliche Gewänder gesteckt. Es war, so muss man es sagen, Probiermasse. Die Faszination des Machbaren,
die Verliebtheit in die langjährig ausgetüftelte Technik ersetzte doch zu oft tiefere Sinngebung.
Räume drehten sich, Gewänder funkelten, Musik suchte zu verdichten und gleichzeitig das anwachsende
Machtvakuum durch immer sparsamere Mittel zu konkretisieren. Schön, dass das alles geht, die intendierte
Erschütterung aber blieb dennoch auf der Strecke.
So war man in der Suche nach neuer Opernvirtualität auf das ambitionierteste Projekt, auf Gerhard E. Winklers
Heptameron verwiesen. Und hier wurde man fündig. Man ist ja, wenn es um neue Verfahren geht,
technisch neugierig, fragt spontan nach In- und Output. Zumal sich in den ersten beiden Uraufführungen
begreifbarer Sinn der Verfahren nicht ganz einstellen mochte. In Winklers Stück auf der Basis von fast
reportageartigen Beobachtungen der Renaissance-Dichterin Margarete von Navarra wurde nun der Spieß umgedreht.
Im Rhythmus von Videoclip-geschulten Sensorien wurde der Bühnenraum mit Spots, Piktogrammen, Codes, hart
geschnittenen musikalischen Takes und Samplings, Computergraphiken, mit interaktiven Koppelungen zwischen Bühnengegenständen,
Bildern und Sounds und mit fragmentierten Szenen zwischen Commedia dellarte, Star Wars und Joystick-Lenksystemen
geradezu überschwemmt.
Das Bewusstsein wurde in Heptameron gleichsam gespalten. Auf der einen Seite war es immer auf der
Suche nach den Beziehungsnetzen, die auch dann als offenkundig auszumachen gewesen wären, wenn in Vorgesprächen
und Erläuterungen nicht so massiv darauf verwiesen worden wäre. Hier befand es sich immer auf der
wachen Schwelle zwischen Einblick und Verwirrung im weiten Feld der neuen Unübersichtlichkeit. Auf der
anderen Seite konnte es sich das Bewusstsein gewissermaßen bequem machen, sich zurücklehnen und sich
einfach dem Informationsstrom wie einem Brausebad aus Witz, Ironie, Irrsinn und tieferer Bedeutung überlassen.
Da war man wieder daheim bei den archaischen menschlichen Konnotationen von Liebe, Kampf, Tod, Geilheit, Gelächter,
Einsamkeit oder Sehnsucht.
Freilich: Wer nach tradierter Operndramaturgie fahndete, wer auf lineare Stimmigkeit der Ereignisse aus war,
der blieb in Winklers Heptameron auf der Strecke. Daher wohl die Ratlosigkeit so manchen Besuchers.
Aber was will man eigentlich? Da wird immer wieder von der Notwendigkeit gesprochen, verkrustete Operntopoi
aufzubrechen, ihren Rhythmus einer medial beschleunigten Welt anzupassen, die längst schal und in Eins-zu-Eins-Verdoppelungen
auch falsch gewordenen großen Gefühle abzublenden. Wenn aber dann ein umfassender und in brillanter
Teamarbeit erstellter Versuch in diese Richtung unternommen wird, dann sehnt man sich nach den alten Regelkreisen
zurück wie ein postpubertäres Kind nach der Mutterbrust. Im Verlust alter operntheatraler Lust verweigert
man sich störrisch einer neuen: obwohl der Alltag längst andere Gesetze schrieb.
Heptameron war Spielfläche. Es war Baukasten und mit der unverstellten Neugier eines Kindes
wurden mit den Klötzen Türme gebaut. Die fallen auch immer wieder mal zusammen, man beginnt neu, verändert
sie Statik, wagt andere Kühnheiten. Der Begriff des Neustarts wurde zum formalen Prinzip. Szenenfragmente
wurden neu aufgerufen, die Ausgangsbedingungen wurden hergestellt und schon driftete man wieder weg in andere
Konstellationen. Es ist ein offenes System und jede weitere Aufführung wird mit dieser Offenheit der Möglichkeiten
spielen. Das schuf, auch beim einmaligen Sehen und Hören vermittelte sich dies, direktere Formen der Bühnenpräsenz.
Spielästhetik wurde zum übergreifenden Prinzip. Und Spiel heißt ja, dass der Spielende in groben
Zügen weiß, was er will, dass die Konkretion aber jedes Mal unerwartete Konstellationen herstellt.
Hieraus entsteht eine Melange aus äußerster Wachsamkeit und Vergnügen über das Überraschende.
Winkler schrieb dazu eine große Anzahl musikalischer Sets, die je nach Situation über Samples, und
von drei höchst spontan agierenden Musikern (Teodoro Anzellotti, Akkordeon; Marcus Weiss, Saxophon; Garth
Knox, Viola) gespielt wurden. Vielleicht ist insgesamt der Vergleich mit einem auf Hightech geliftetes Jahrmarktspiel
zutreffend, wo die Agierenden über ein Reservoir an Spielmodellen verfügen aber immer auf die Situation,
etwa auf Zwischenrufe in drahtgestellartiger Wendigkeit zu reagieren haben. Wer Winklers bisherige musikalische
Arbeiten kennt, konnte bemerken, wie subtil er sich den neuen theatralen Anforderungen zu stellen wusste. Die
Musik bewies charakterliche Trennschärfen, vor allem aber viel ironische Unterhöhlungen und Ausbuchtungen,
die subtile Leichtigkeiten erzeugten. Denn an illustrativer Verdoppelung war ihm nicht gelegen, was innerhalb
der hier gesetzten Spielregeln auch nur Zeigefinger-zähen Ballast bedeutet hätte.
So konnte ein Sampling-Rülpser oder -Krächzer eine durchaus beschwingte Zäsur benennen, und
hypertrophe Aktion der Live-Musiker mochte hektisch den Puls des Geschehens in Gang halten.
Eines vor allem wurde in alte Ehre versetzt: das Team. Musiktheater ist Zusammenarbeit und jeder, Regisseur
Alexander Löblein, Bühnengestalter Lawrence Wallen, die Sänger Jannie Pranger, Martin Lindsay
und Fabrice de Falco, die Tänzer/Schauspieler u u Sabine Friesz, Boris J. Pietsch und Anna Tenta-Pancevski
suchten und fanden im Informationsgewirr Nieschen und Freiräume, die sie mit theatraler Intensität,
mit Spaß an der Aktion füllten.
Die Frage am Schluss: Worum ging es eigentlich? Es ging und Liebe und Leid, um immerwährend uns Anrührendes.
Die Zeit, es so zu sagen, ist die unsrige. Will man vertiefen kann/sollte man hier ansetzen. Wie gesagt: Heptameron
war Spielfläche. Und es war die Spielfläche, die sich die Biennale 2002 im Grunde wünschte. Denn
hier wurde ein Territorium der Leichtigkeit (bei aller Schwere der technischen Verwirklichung) aufgetan, die
wirklich neue Zäsuren in die Gestaltung eines musiktheatralen Abends setzte. Es war ein Versuch mit der
Faszination des Videoclips, mit der Wiederholungstäter-Lust bei Computer-Spielen. Es war ein Versuch, mit
den gegenwärtig ausgebildeten Sensorien schöpferisch oder auch, was vielleicht noch besser ist, schöpf-frisch
umzugehen.