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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 54
51. Jahrgang | Juni
Dossier: Auf der Suche nach einer Neuen Oper
Eine Frau wartet, und der Mann nimmt Rache
Einzige Oper eines Kammermusikers: Gabriel Faurés Pénélope in Chemnitz
Gabriel Fauré (18451924) schrieb reizvoll-bedeutende Klavierwerke kleineren und mittleren Formats,
vor allem aber hochkarätige Kammermusik. In dieser traditionell deutschen Domäne nimmt man in Deutschland
einen Franzosen gewissermaßen nur widerstrebend zur Kenntnis; mit exquisiter Melodiegestaltung bei mild
nazarenischer Farbabtönung unter Aussparung von Donnerworten entspricht Faurés Requiem schon eher
dem, was man von einem Franzosen hier zu Lande zu hören gewohnt ist, und auch die Ballettsuite Masques
et Bergamasques erfreut sich bei uns einiger Beliebtheit. Die dazu gehörige Tanzdichtung stammt von
René Fauchois, einem tüchtigen Dramatiker mit Antikenfaible. Er konnte Fauré zu seiner einzigen
Opernkomposition motivieren: Pénélope, 1907 begonnen, 1912 beendet und uraufgeführt; die
lange Entstehungszeit deutet auf die Sorgfalt hin, mit der Fauré zu arbeiten pflegte.
Attraktive Optik: durchstrukturiertes Bühnenbild von Hans Dieter
Schaal. Foto: Dieter Wuschanski
Mit Beethoven und Smetana teilte Fauré das Los, in seinen späten Jahren zu ertauben; man könnte
darüber spekulieren, ob diese biografische Bitternis auch seine musikstilistische Entwicklung entscheidend
beeinflusste den Weg vom überquellenden, farbsatten Romantizismus zu einer entchromatisierten weißen
Neuklassizität (ohne solche Nöte stellt sich Ähnliches bei Zemlinsky dar).
Die Oper bewegt sich gleichsam an der Nahtstelle der Umorientierung, changiert zwischen feinfühligem Impressionismus
und schärferer klassizistischer Konturierung. Sie ist in ihrer unverwechselbaren Atmosphäre unbedingt
als Unikat zu betrachten, eher vergleichbar Debussys Pelléas et Melisande und Dukas
Ariane et Barbe-bleue als dem üppigen, aber auch routinehaften Opernfächer von Jules Massenet.
Dieser hantiert im Orchestersatz mit geläufigen Klischees, die er mit sängerisch pikanten und effektvollen
Inspirationen nobilitiert. Im Vokalen bleibt Faurés Oper spröder, mehr dem (zuweilen hochexpressiv
gesteigerten) parler Wagners, Debussys und Dukas verpflichtet. Der subtile Wagnerianismus
tritt aber viel mehr zurück als bei Chaussons Roi Arthus.
Der skrupulöse Kammermusiker Fauré ist auch in Pénélope sehr merklich;
hier wird mit strenger motivisch-thematischer Fortspinnungs- und Verarbeitungskunst ein engmaschiges Beziehungsnetz
gewoben, das vor allem im Orchestralen symphonische Qualitäten evoziert, die Formgestaltung der drei Akte
damit sozusa-gen unwiderleglich befestigt. Heißblütiger dramatischer Atem fehlt keines- wegs, doch
die lyrische Grundhaltung bleibt bestimmend. Die Handlung verläuft ähnlich wie in Monteverdis Il
Ritorno dUlisse in patria, doch konzentriert sich das Personenspektrum im Wesentlichen auf wenige
Protagonisten, vor allem auf die Titelfigur: die unerschütterlich sehnsuchtsvoll auf den abwesenden Ehemann
Wartende. In zwei Aspekten enthält das Sujet ein Skandalon: ein atavistisches und ein die moderne Psychologie
herausforderndes.
Von archaischer Grausamkeit das Blutbad an den (bizarren) Freiern, sozusagen ein vielfacher Ritualmord, durch
den Wiedersehensfeier und Ehebestätigung erst die richtige Würze bekommen. Von bohrender Merkwürdigkeit
aber auch die homerische Wendung, dass Pénélope im Gegensatz zu anderen in ihrem Hausstand den
als Bettler verkleideten Heimkehrer nicht erkennt. Dieser Umstand veranlasst Odysseus zu dem patriarchalischen
Verhalten, seine Frau und ihre (Nicht-)Beziehung zu den Nebenbuhlern einer langen und genauen Observation unterziehen
zu können.
An dem das Patriarchat und seine Werte bestätigenden Stoff zweifelt auch die Chemnitzer Regisseurin Arila
Siegert nicht; sie hebt diese Komponente noch mittels einer zusätzlich als stumme Tanzfigur hinzugefügten
Athene (Göttin der Männerkämpfe und Odysseus Schutzgeist) hervor. Weniger dramatisch als
musikalisch begründet ist der diskrete Einsatz einer Tanzgruppe, die kaum als separierte dekorative Einlage
fungiert, mehr der Auflichtung der sonstigen Personage dient analog zum fluiden Habitus der Musik.
Gekonnte Choreografie und Personenführung. Das finale Massaker wird nicht theatralisch ausgeschlachtet,
die Erledigten verschwinden als Ornamente in der Netzstruktur eines Zwischenvorhangs auch hier Treue
zur musikalischen Distinktion. Dass Fauré das abschließende Triumph-Tableau ins Piano hineinführt,
nimmt die Regisseurin überzeugend zum Anlass, das glatte Happy-End einer prekären Ehegeschichte unaufdringlich
zu unterlaufen.
Eine interpretativ anspruchsvolle, gelungene szenische Arbeit, die sich auf die attraktive Bühnenoptik
von Hans Dieter Schaal (und zeitlose Kostüme von Marie-Luise Strandt) stützen konnte; auffälligstes
Architekturzeichen hier ein halbhoher Turm, Symbolort des Wartens und der Introversion Pénélopes.
Mit zwei herausragenden Hauptsängern bekam die Aufführung einen hohen Rang. Richard Berkeley-Steele
war ein lauernder, aber auch abrupt wendiger Ulysse, zunächst gebückt gnomenhaft wie der Glöckner
von Notre Dame, schließlich zu viriler Majestät sich aufreckend vom Stimmtypus her mit seinem
gleißend-hellen Timbre alle Facetten eines lyrischen, eines Helden- und eines Charaktertenors integrierend.
Von ruhiger, überwiegend sanft blühender Färbung die Gesänge Nancy Gibsons in der alle Dimensionen
des Kantablen umfassenden Titelrolle.
Von großem Differenzierungsvermögen die musikalische Direktion mit dem Dirigenten Fabrice Bollon.
Es wäre zu wünschen, dass die in allen Punkten liebevolle und enthusiasmierte Chemnitzer Wiedergabe
diesem lohnenden Stück auch in Deutschland den Weg ebnet.