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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 51
51. Jahrgang | Juni
Dossier: Auf der Suche nach einer Neuen Oper
Salome möchte ganz schnell erwachsen werden
Enjott Schneider: Das Salome-Prinzip ein Theaterstück mit Musik nach Oscar Wilde
Zuerst die gute Nachricht. Schneiders Salome-Prinzip, zwanzig Jahre nach seiner Entstehung jetzt
im Musiktheater Gelsenkirchen uraufgeführt, ist ein Stück, in dem klare Verhältnisse herrschen.
Carolyn Sittigs Inszenierung operiert mit einfachen Bildern. Das klein besetzte Kammerorchester bewegt sich
beinahe brechtisch mit den Akteuren auf ein- und demselben Bretterboden. Beim Szenenwechsel schiebt der musikalische
Leiter Kai Tietje wie seine Kollegen im Partylook sein Notenpult über die Bühne, um den nächsten
Einsatz zu geben.
Mit den Instrumentalisten der Neuen Philharmonie Westfalen hat der Dirigent wenig Mühe und
diese ebensowenig mit Schneiders Partitur. Der ins ernste Fach reingeschmeckte Filmkomponist (Lehrstuhlinhaber
in München) serviert eine Musik, die zu keinem Zeitpunkt stört.
Nach zwanzigjähriger Lagerfrist dieses Frühjahr in Koproduktion
mit dem Théatre National de Luxembourg in Gelsenkirchen uraufgeführt: Das Salome-Prinzip,
ein Musik-Theater-Stück von Enjott Schneider.
Unser Bild zeigt Regine Hermann als Salome, Tochter der Herodias, und Erin Caves als Herodes, den Tetrarch
zu Judäa.
Foto: Rudolf Finkes
Zumutungsfrei. Nichts, woran sich einer mit gutem Willen für die moderne Kunst stoßen könnte.
Kammeroper auf der Grenze zur Schauspielmusik. Mit nachvollziehbaren Gesten agierende Schauspieler-Sänger
bleiben so auch in gesungenen Passagen stets textverständlich. Zudem geht das Ganze in neunzig Minuten
äußerst zeitökonomisch über die Bühne. Und selbst das Gruselbedürfnis wird bedient.
Am Ende fließt reichlich Theaterblut in die Silberschale, worin Salome (Regine Hermann) ein triumphierendes
Unterarmbad nimmt.
Musiktheater, das etwas los und ein Plot, der jedem Tatort Ehre macht: Salome, fast noch ein Kind,
möchte ganz schnell erwachsen werden. Angewidert vom ewigen Partyeinerlei ihrer Eltern Herodes (Erin Caves)
und Herodias (Richetta Manager), verguckt (besser: verhört) sich das Simpel in einen Gefangenen ihres herrschsüchtigen
Vaters: Jochanaan. Der Unglückliche sitzt während des ganzen Stücks im Kerker und meldet sich
auf der Bühne des Kleinen Hauses immer mal wieder mit Lautsprecher-Botschaften zu Wort: Einer
wird nach mir kommen, der ist mächtiger als ich ...
Jochanaan ist Johannes, der Prophet aus der Wüste. Im Unterschied zur Vorlage von Oscar Wilde ist Jochanaan
nur als Tonbandstimme präsent. Immer wenn er kündet, dreht sich ein schöner Einfall der
Regie ein überdimensionierter Lautsprecher um die eigene Achse.
Alle erstarren, nur Salome ist verzückt. Diese Stimme! Doch der Prophet zeigt kein Interesse. Im Gegenteil.
Seine Tiraden gegen die Welt im allgemeinen und gegen die Verbindung Herodes/Herodias im Besonderen (im Prinzip
inzestuös!), machen auch vor der Tochter nicht Halt. Gekränkt durch die Abweisung, fordert diese den
Kopf des Glaubenseiferers. Die Bitte wird nach Salomes Tanz zur großen Trommel gewährt.
Es fließt Prophetenblut. Salome küsst das abgetrennte Haupt und wird darüber, wie könnte
es anders sein, einigermaßen irre was nun aber Vater Herodes zu bunt wird: Man töte
dieses Weib! Ende des grausamen Spiels.
Enjott (eigentlich: Norbert Jürgen) Schneider sieht darin insofern ein Prinzip am Werk, als
die reine Unschuld in der Spaßgesellschaft grundsätzlich untergehen muss. Inwieweit darin eine lokale
Anspielung steckt, bleibt unklar. Auch die Regie wollte sich hier nicht festlegen. Andererseits ist Schneiders
Theaterstück mit Musik durchaus ein Münchner Kindl gezeugt bereits zu Anfang der 80er-Jahre.
Ob die lange Lagerfrist vordringlich waren Filmmusiken dem Werk gutgetan hat, darf indes bezweifelt
werden.
Schneiders Musik zum Salome-Prinzip entwickelt keine eigene Stilistik. Im Unterschied zu seinen
mit dem Quast aufgetragenen Filmvertonungen schraffiert er als Komponist von E-Musik mit dem Fineliner. Das
wäre nicht weiter schlimm, wenn diese nicht nur grundieren und illustrieren, sondern gegen das neurotische
Bühnengeschehen einmal kräftig den Aufstand proben würde.
Doch der gekränkte, gewalttätige Narzissmus der Salome und ihr pubertärer Spleen Geist
pur gegen pure Körperlichkeit bleiben wie die Gewaltphantasien des Fundamentalisten Jochanaan unkommentiert.
Elfter September? Das muss voriges Jahr gewesen sein.