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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 51
51. Jahrgang | Juni
Dossier: Auf der Suche nach einer Neuen Oper
Ein Jahrhundert in drei Geschichten
Multimedial aufgerüstet: Three Tales Steve Reichs Minimal-Music-Oper in Wien
Seit John Adams Nixon in China ist die Affinität der Minimal-Music-Oper zu zeitgeschichtlichen
Sujets klar; mit der bescheideneren deutschen Variante von Gerhard Rosenfelds Kniefall in Warschau
(und pittoresken Opernhelden wie Brandt und Genscher) bestätigte sich dieser Konnex, den der Marktführer
Philip Glass zugunsten (trivial-)mythischer Stoffe eher vermeidet. Dabei hatte er zuvor mit Einstein on
the Beach eine vehemente Diagnose des vergangenen Wissenschafts- und Technik-Jahrhunderts geleistet.
In die Nähe solch einer Generaluntersuchung kamen jetzt die Three Tales des 65-jährigen
Amerikaners Steve Reich, entstanden auf Anregung von Klaus-Peter Kehr, dem früheren Leiter der Wiener Festwochen,
und jetzt dort als Uraufführung zu erleben (der erste der drei Teile wurde bereits separat in Bonn vorgestellt).
Atombomber mit Musikmaschine: aus Steve Reichs Minimal-Music-Oper Three
Tales. Foto: Wonge Bergmann
Die Begeisterung Kehrs war nach Reichs The Cave 1993 verständlich; sie galt auch der Textautorin
Beryl Korot, die Three Tales als erzählerische Verdichtungen des katastrophisch fortschreitenden
20. Jahrhunderts verstand. Mit der magischen Dreizahl soll dabei zweifellos so etwas wie eine abgerundete,
abschließende Geschichts-Erkenntnis gestiftet werden, als füge sich anekdotische Pars
pro Toto mythischer Kunstanstrengung. Das Resultat geriet freilich brüchiger, problematischer als die frappierend
geglückte The Cave-Konzeption. Deren thematische Dreieinigkeit ergab sich wie von selbst aus
einer aktualisierten Nathan-Konstellation: Eine biblische Geschichte wurde erzählt aus der Perspektive
der drei mit ihr verbundenen Religionen, gleichsam als eine Spurensuche à la Rashomon, zugleich als Selbstdarstellung
jüdischer, muslimischer und christlicher Interviewpartner mit deren komponierten Video-Gesichtern
und Sprechrhythmen.
Weitaus lockerer und zufälliger mutet der Zusammenhang der Three Tales an. Der erste Akt
handelt vom Absturz des deutschen Luftschiffs Hindenburg im Jahre 1937, der zweite von den amerikanischen
Atombombentests 1946 auf dem Bikini-Atoll. Beim dritten Segment waren die Autoren zunächst unsicher, ob
sie nochmals eine Katastrophe wählen sollten (etwa die Challenger-Explosion); sie entschlossen
sich dann zu einem Schlaglicht auf das Klonschaf Dolly, mit dem die Thematik der Gentechnologie
als einem zentralen Motiv am Jahrhundertende angerissen war einerseits einleuchtend, andererseits aber
auch zu kurz und kursorisch gegriffen als 25-Minuten-Exkurs eines insgesamt nur 65-minütigen Bühnen-Essays.
Als nichtnaturalistische, multimedial technisch aufgerüstete Theaterform funktionierte das Stück
ähnlich schlüssig wie The Cave. Die Aufführungsoptik (in einer Halle des Wiener Museumsquartiers)
wurde bestimmt von einer riesigen, vielfach unterteilbaren Leinwand; hier war dokumentarisches Filmmaterial
zu sehen, das einer raffiniert montierten und rhythmisierten Bearbeitung unterzogen war. Dramatisch aufgepeitschte
Bilder, beim Bikini-Countdown (skandiert durch eingeblendete Genesis-Texte) angeheizt und irritiert durch quälende
Wiederholungen und Multiplikationen. Fragwürdig freilich die Manipulation der Expertengesichter und -statements
zur Genforschung: Es braucht nur eine Winzigkeit (ein stehkaderartig als hämisches Grinsen eingefrorenes
Lächeln, einen in mehrfacher Repetition rechthaberisch anmutenden Satz), um Normalität ins bizarr
Horrible zu verändern und statt Nachdenklichkeit Abscheu beim Betrachter zu erzeugen.
Die engagierte Ideenoper mutiert auf diese Weise zum billigen Tendenzstück. (Harmloser und
antiquierter zeigt sich das, vielleicht auch als Chaplin-Zitat, in einer die Übermacht der Technik symbolisierenden
Sequenz der Hindenburg-Episode). Solche Ausrutscher entwerten das dramaturgische Prinzip nicht,
weisen aber auf die Gefahren eines gedankenlos mit dem Dokumentarischen hantierenden Vorgehens hin.
Die Autoren sind um der guten Sache und der sicheren Wirkung willen zu einer Vergewaltigung der
Fakten geneigt, die bei nüchternem Blick für (vielmehr: gegen) sich selbst sprächen.
Die Sache ist auch insofern verzwickt, als die minimal music, wie Steve Reich sie betreibt, durchaus
einen Konnex zu Gewaltförmigkeit und Katastrophe hat das eben macht sie auch zum probaten Mittel,
Zeitgeistgefühle zu musikalisieren.
Reichs Klangsphäre ist, vereinfacht gesagt, die der unentrinnbaren, losgelassenen Maschine. Deren scheinbar
seelenloser Ausdruck evoziert freilich weniger Abstand und Kälte als einen suggestiven Sog, ein strudelndes
Hineintauchen in einen dämonisierten Ablauf. Mit rigorosen Kanontechniken wird der gnadenlos gehärtete
Tonsatz zum Pendant der optischen Katastrophendarstellung. So sind denn auch die fünf beteiligten Sänger
anonymisiert zu tönenden Automaten (eine seltsame Radikalisierung des Brecht-Akteurs). Nicht weniger maschinell
der Instrumentalpart, den das Ensemble Modern (Streicher, zwei Klaviere, Schlagzeug) unter der Leitung von Bradley
Lubman mit niemals nachlassender Anspannung wiedergab. Nick Manganos Bühnenarrangement blieb bei alldem
eine weitaus diskretere Ebene als die von Beryl Korot ausgefeilt mit der Musik koordinierte Videogestaltung
und -montage. Das Stück wird die Runde über verschiedene Festivalstationen machen (u.a. Holland, Straßburg,
Paris, Berlin).
Interessant ist zweifellos der Aspekt der Wirklichkeitsannäherung, wenngleich das Dokumentarische als
Stoff sich hier auch ungut mit einer gewaltig technifizierten Verführungsmaschine verbindet.