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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 55
51. Jahrgang | Juni
Dossier: Auf der Suche nach einer Neuen Oper
Monologe allein, zu zweit, dritt, viert und im Kollegium
Die Wittener Tage für neue Kammermusik pflegen das musikalische Selbstgespräch in eigener Sache
· Von Gerhard Rohde
Ob bei den Musik-der-Zeit-Konzerten des Westdeutschen Rundfunks in Köln oder bei den Wittener
Tagen für neue Kammermusik Harry Vogt als verantwortlichem Redakteur fällt immer wieder ein
spezielles Thema ein, zu dem er Komponisten animiert, sich etwas entsprechendes einfallen zu lassen und in Noten
zu setzen. Diesmal gab ihm die Beobachtung unserer alltäglichen Wirklichkeit die zündende Idee: Ständig
und immer häufiger kommunizieren die Menschen, doch versammeln sie sich nicht länger wie früher
im Wirtshaus oder im Café zum gemeinsamen Plausch und Gedankenaustausch, sie laufen vielmehr solo mit
Handy über die Gasse. Der Gesprächspartner bleibt unsichtbar, vielleicht antwortet auch
nur sein telefonischer Beantworter oder die Mailbox verschluckt die Botschaft bis zum Abhören
am späten Abend: wieder allein.
Werk-Spionage: Emilio Pomàrico schaut Helmut Lachenmann bei einer
Probe zu dessen Streichquartett in die Partitur. Foto: Charlotte Oswald
Eine spezielle Form des Selbstgesprächs entwickelte sich auch für große Konferenzen oder, bis
zur Groteske gesteigert, in den Talkshows: Alle reden oft gleichzeitig und durcheinander, jeder hört nur
sich, plappert wie in einem Rossini-Ensemble à la Viaggio à Reims laut vor sich hin:
Die Pervertierung von Kommunikation. Harry Vogt empfindet alles auch als Ausdruck des Alleinseins, der
Einsamkeit und Isolation, der Verlassenheit, aber zugleich (vielleicht) auch als Akte der Selbstbehauptung
und Selbstbespiegelung. Das alles jedenfalls schien interessant genug, es einmal musikalisch zu untersuchen
und Komponisten und Komponistinnen aufzufordern, zum Thema Monolog klingende Modelle
zu erfinden.
Vergleichsweise übersichtlich, wenn auch keinesfalls strukturell einfach, stellt sich das Monologisieren
bei Luciano Berio oder Beat Furrer dar. Mit der Sequenza XIV (Dual) für Violoncello fügt
Berio seiner Solo-Serie, an der er seit 1957 arbeitet, ein weiteres Stück hinzu. Auch in Sequenza
XIV werden in den harmonischen und melodischen Verläufen spezifische Eigentümlichkeit des Instruments,
hier des Cellos, erkundet, wobei die technische Brillanz des Solisten Rohan de Saram (vom Arditti-Quartett)
vom Komponisten als konstituierendes Element in die Komposition einbezogen wird. Es handelt sich in gewisser
Weise also um einen Doppel-Monolog, einen des Komponisten und einen des Interpreten, der im Augenblick
der Darstellung zu einer Einheit verschmilzt. Bei Beat Furrers Phasma für Klavier solo wiederum
werden Phänomene der Bewegung, der Wahrnehmung von Bewegung, die auch als Gegenteil, auf dem Hintergrund
von Unbeweglichkeit begriffen werden kann, in eine komplizierte Struktur aus Verläufen und Klängen
überführt. Der Eindruck der Abstraktheit wird, wie oft bei Furrer, von einer äußerst verfeinerten
Klanglichkeit und Spiritualität überlagert. Der Pianist Nicolas Hodges realisierte das superb.
Wie ein Glasperlen-Puzzle wirkt James Saunders Stück mit dem Zahlen-Titel #280402.
Der Titel ist mit dem jeweiligen Datum einer Aufführung identisch. Die aus Modulen zusammengesetzte Komposition
kann sich von Aufführung zu Aufführung ändern, auch in den instrumentalen Besetzungen. Das vorgegebene
unbestimmte Material lässt immer wieder neue Anordnungen und Ausführungen zu. Bei der
Uraufführung in Witten agierten die fünf Instrumentalisten des Ensembles Apartment House
bemerkenswert souverän mit dem ungewöhnlichen Stück: Jeder einzeln auf getrennten Positionen
für fünf klingende Monologe.
Einen Monolog eigener Art erfand Isabel Mundry mit ihrem Solo auf Schwellen. Marco
Blaauw und dessen Doppeltrichter-Trompete inspirierten sie zu einer Komposition, die seltsam zerfließend
erscheint. Der Monolog zu viert Komponistin, Spieler, je ein Trichter erzeugt statt
eines Klangraumes eher diffuse Übergänge irgendwohin: Die Schwellen im Titel signalisieren
das bereits. Aus der Unbestimmtheit erwächst dann aber auf geheimnisvolle Weise eine enorme Stringenz des
musikalischen Ausdrucks. Das Monologische bei Michael Reudenbachs Tvers für Klavier, Live-Elektronik
und elf Streicher erwächst aus der erstmaligen Auseinandersetzung des Komponisten mit der Live-Elektronik.
Inspiriert von den Buchstaben-Kombinationen für das menschliche Genom, versucht Reudenbach die live-elektronische
Wiederholung des vom Klavier vorgespielten Materials durch entsprechendes Komponieren zu konterkarieren.
Das liest sich plausibel, hinterlässt beim ersten Hören insgesamt einen leicht angestrengt-kombinatorischen
Eindruck. Wenn Helmut Lachenmann als Komponist monologisiert, wirkt das stets, als ob er mit tausend Zungen
Mitteilungen über ein bewusstes Komponieren vorträgt. Seine ersten beiden Streichquartette formulierten
den ästhetischen Anspruch ebenso beredt wie radikal in Materialbehandlung und Spielduktus. Das Streichquartett
Nr. 3 Grido erscheint im Vergleich ruhiger, kontemplativer, doch der erste Anschein trügt:
Lachenmanns Drittes reflektiert sozusagen die ersten beiden Werke, ohne sie zu wiederholen. Der
Klang-und Ausdrucksraum für die Besetzung wird weiter erkundet und ausgeschritten. Die Balancen zwischen
Klang, Geräusch, komponierter Gestik und Ausdruck werden weiterer Feineinstellung unterzogen. Ein großartiges
Werk, ebenso großartig interpretiert vom Arditti String Quartet. Zuvor widmeten sich die Ardittis dem
Zweiten Streichquartett Emilio Pomàricos, an dem der Komponist fünf Jahre lang gearbeitet hat, um
es danach zehn Jahre der Schublade anzuvertrauen. Das Werk entstand nach der Lektüre eines Gedicht-Zyklus
von Dylan Thomas (Vision and Prayer). Es ist eine Musik von identifikatorischer Expression, ein
beredtes Spiel freier und formaler Erfindungen, ein großer innerer Monolog, der unter äußerster
Anspannung nach außen drängt: Vierzig Minuten höchster Anspannung auch für Spieler und
Zuhörer.
Das Thema Monolog, das auch noch in anderen Werken verhandelt wurde, in Stefano Gervasonis Godspell
für Mezzosopran und neun Instrumente nach Texten von Philip Levine, in Brice Pausets französisch-gefälligem
Conceerto I pour clavecin et ensemble oder im Klavierquartett Mes béatitudes
von Gérard Pesson, zog sich nicht monochromatisch durch das Programm. Aufgelockert wurde es durch einen
Blick nach Großbritannien und die dortige farbige und kontrastreiche Neue-Musik-Szene. Thomas Adès
schrieb ein Piano Quintet, das auf das erste Hinhören wie ein Konsum-Stück für ein
Promenadenkonzert anmutet, aber dann doch so kompliziert und raffiniert vertrackt mit den scheinbar gefälligen
Erfindungen umgeht, dass man dem Werk das Prädikat Neue Musik nicht verwehren kann. James Saunders
wurde schon erwähnt. Das krasse Gegenteil zu Adès wäre die Irin Jennifer Walshe, die in einem
Stück für Stimme und Streicher damit experimentiert, Klänge zu verhindern, um aus
dem Spannungsfeld zwischen Verhinderung und Entstehen Bedeutungen ergründen möchte.
Für das Witten-Profil werden von Jahr zu Jahr die Installationen und Performances wichtiger, weil sie
die gestellten Themen aus anderen und erweiterten Blickwinkeln behandeln. Schon die Herstellung einer Klang-Installation
oder einer Solo-Performance trägt das Monologische quasi in sich. Als Monologisierer darf sich auch der
Betrachter fühlen, der durch seine Bewegungen oder Zugriffe Klangaktionen in den Installationen auslöst:
Wenn er bei Erwin Staches Würfelrädern über ein Rad die Klänge beeinflusst,
oder an Martin Riches Interactive Field vorbeigeht und damit ein choreographisches Ballett
der 36 schwarz-weißen Tafeln auslöst (siehe unsere Bilder auf der nächsten Seite): Hochästhetisch
präsentierte sich Catherine Millikens Installation eye view: Videoprojektionen verschiedener
Motive und Strukturierungen auf einer schmalen hochgestellten Wand korrespondieren mit einer von Steinen umlegten
Wasseroberfläche auf dem Boden davor sowie mit ständig wechselnden Klangbildern. Der Amerikaner Ronald
Kuivila nutzt für seine Klanginstallation Train, under glass die Besonderheit des Ortes, des
Hauses Witten: Die draußen vorbeidonnernden Züge, schalldicht fürs Innere abgeschottet, erscheinen
zusätzlich auf einem Monitor, dazu werden eigene Geräusche und Klänge eingespielt: Eine spielerische
Reflexion über unterschiedliche Wahrnehmungen und Realitätsebenen.
Spielerisch möchte man auch Stephan Froleyks Agieren auf einer mit Saiten bespannten Zinkwanne nehmen:
Eine Wanderung durchs Obertongebirge, wie der Künstler sagt. Wenn Froleyk so allein auf dem Tisch mit seiner
Wanner hockt, (Bild auf der nächsten Seite) weiß man sofort, was sich da ereignet: Ein Monolog auf
Zinkwannensaiten mit zwei Bögen. Es hat zugleich etwas ungemein Heiteres. Ob Froleyk das so beabsichtigt,
weiß man nicht. Kunst ist eben vieldeutig.