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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 5
51. Jahrgang | Juni
Feature
Eigene Skala von Wertungen, Urteilen, Tonlagen
Die neue musikzeitung feierte ihr fünfzigjähriges Bestehen in Regensburg
Auf dem Empfang, den die Neue Musikzeitung zu ihrem fünfzigjährigen Bestehen in Regensburg für
zahlreiche Persönlichkeiten des Deutschen Musiklebens, für ihre Mitarbeiter und Freunde gab, hielt
Bernhard Bosse, Gründer, Herausgeber und langjähriger Chefredakteur der nmz, die Festrede, die zu
dem umfassenden Resümee einer Lebensleistung wurde, die identisch ist mit dem Aufstieg der Zeitung, auf
die auch die nachfolgende Generation mit dem heutigen Herausgeber und Chefredakteur Theo Geissler weiter aufbauen
kann. Aus Bernhard Bosses Rede zitieren wir im folgenden die informativsten Passagen über den Lebensweg
der nmz.
Verleger Bernhard Bosse erinnerte an die Gründung der neuen muskzeitung
Anfang der 50er-Jahre, einer Zeit des Aufbruchs. Foto: mh
Nach dem verlorenen Krieg erhofften sich die Menschen in Deutschland Einbindung in internationale Gemeinschaften,
sie orientierten sich neu in Europa und der Welt. Ende 1950 war ich voller Tatendrang von einem langen USA-Aufenthalt
zurückgekehrt. In meinem Verlag aber lagerten fast unverkäuflich die von Gustav Bosse und mir verlegten
Titel für die Buchreihen Deutsche Musikbücherei und Von Deutscher Musik sowie
die traditionsbefrachtete Zeitschrift für Musik 1837 gegründet von Robert Schumann,
gestaltet von Autoren, die mir misstrauisch bis feindlich begegneten, die noch immer ihrem großen 1943
verstorbenen Idol Gustav Bosse nachtrauerten.
In dieser tristen Situation traf mich die Musikalische Jugend Deutschlands. Vor mir lag ein Prospekt, in dem
sie ihre Zielsetzungen vorstellte, ihre Arbeitsmethoden und ihre Organisation: Junge Komponisten und Neue Musik,
zeitgenössische Musik für Laienorchester und Chöre, Jazz in der Schule, internationaler Austausch
junger Künstler und vieles mehr.
So schrieb ich den schon oft zitierten Brief an die Musikalische Jugend Deutschlands, in dem ich das Angebot
unterbreitete, für sie eine Zeitschrift zu gestalten und herauszugeben. Es war meine erste eigene Entscheidung
als Verleger, es war die schwerste Entscheidung und es war die folgenreichste. Die Zeitschrift ergab im Zusammenspiel
mit einem neu konzipierten Buchverlag ein Unternehmen. Das Blatt wurde zum Zentrum des Verlags in der jede Idee,
alle Produktionen, alle Mitarbeiter ihre Anlauf- und Ausgangsposition fanden.
Mit der Musikalischen Jugend Deutschlands trat Eckart Rohlfs 1951 also vor 51 Jahren als 20-jähriger
Student der Publizistik und Musikwissenschaft in die Vorbereitungen für die geplante Zeitschrift und die
gesamte Verlagsarbeit ein. Die Herausgabe der Zeitschrift wurde beschlossen. Sie wurde Musikalische Jugend
MJ getauft. Der Titel war einerseits Programm, andererseits war der Verband angesprochen, für
den wir im besonderen tätig sein wollten. Den Regensburger Musikkritiker Severin Maria Wiemer wählten
wir zum Chefredakteur. Er schrieb für die Startausgabe der MJ 1/1952 einen Leitartikel, in
der er unsere Haltung und Zielsetzung in der MJ als auch fürderhin für den Verlag unter
der Überschrift Musik-Journalismus fixierte.
Ein bemerkenswerter Leit-Begriff. Wenn wir der Musik wieder je ganz inne werden wollen, schrieb
Wiemer, müssen wir sie aus dem Frieden des Feierabends an die Brennpunkte des Tages holen und sie
als gesellschaftsbildende Kraft unmittelbar neben uns stellen. Musik in solchem Sinn als Tagesfragen, das ist
eines der großen Anliegen, der Jeunesses Musicales und des Verlages.
Mit dem leitmotivischen Terminus Musik-Journalismus verbanden sich Stilfragen, die neu im deutschen
Musikleben waren. Zum einen die ich sage einmal bewusst: journalistische Schreibe als Gewähr
für Verständlichkeit des jeweiligen Inhalts der Artikel. Und zum andere das Format der Zeitschrift:
Das Zeitungsformat. So wurde der Typ der Nicht-Zeitschrift geschaffen, ein Musik-Periodikum für
jeden erkennbar zum unmittelbaren Verbrauch bestimmt, durch das Format deutlich aktualitätsbezogen,
unprätentiös, spontan. Ulrich Dibelius testierte uns: Eine eigene Skala von Wertungen, Urteilen
und Tonlagen, welche die Zeitung unverwechselbar machen.
Zurück zur Sache, Eckart Rohlfs erläutert, wirbt, schreibt über und für die MJD, versucht
Verständnis für diese international verankerte Gruppe junger Menschen im Nachkriegs-Deutschland zu
gewinnen, Widerstände und Vorbehalte zu entkräften. Aus seiner nur ihm eigenen Art mit dem spröden
Thema Verbandsarbeit umzugehen, entwickeln wir später einen Stil, mit dem es im Lauf der Jahre
gelingen sollte, die Zusammenarbeit mit vielen Musikverbänden aufzunehmen. Es ging stets darum, dem Verband
und dem einzelnen Mitglied sein Wirken und seine Tätigkeit, seine Position im Gesamtfeld Musik bewusst
zu machen. Viele Verbände formierten sich um die MJ, weil sie auch als das Oppositionszentrum
gegen den Deutschen Musikrat verstanden wurde. Dessen einseitige Fixierung auf nur wenige Gruppierungen unter
seinen Mitgliedern, waren Anlass für diese Frontstellung.
Kulturpolitik! 1966 sprach mich Klaus Bernbacher erstmals darauf an. In einer ausführlichen Debatte erläuterte
er mir seine Vorstellung von Kulturpolitik und empfahl in der MJ zumindest in den tragenden Aufsätzen
und Berichten auch diesen Aspekt mitspielen zu lassen. Er wollte so ein breiteres Spektrum der Gesellschaft
ansprechen und eine vertiefende Wirkung in puncto Gesellschaftsbildung und -formung erreichen.
1969, nachdem ich die Chefredaktion der Zeitung selbst übernommen hatte und sie in Neue Musikzeitung
nmz umgetauft hatte, wurde Kulturpolitik bewusst betrieben und zu einem zentralen Thema.
Das außergewöhnliche Engagement der nmz für die Berichterstattung, die Pädagogik,
die Verbände nächst der MJD vor allem dem Verband Deutscher Musikschulen - , für Jazz/Rock/Pop,
für Neue Musik, Junge Komponisten und Interpreten, für Neue Geistliche Lieder, für Musikverlage
und Instrumentenbauer und für die Kulturpolitik und damit der Umfang des Blattes forderten nun eine vermehrte
Zahl ständiger Mitarbeiter. Gerhard Rohde, Peter Fuhrmann, Klaus Hashagen, Helmuth Hopf, Diethard Wucher,
um nur die Wichtigsten zu nennen, wurden 1969/70 als Redakteure für die Hauptsparten gewonnen.
Gleichzeitig eröffnete ich im Gustav Bosse Verlag die Sparte Musikpädagogik mit der Herausgabe der
Musikalischen Früherziehung, dem bedeutenden Unterrichtswerk des Verbandes Deutscher Musikschulen.
Für den Verlag und die nmz erwies es sich in dieser Situation als glückliche Fügung,
dass mein junger Freund Theo Geißler dem Fernsehen den Rücken kehrte. Ich hatte Theo Geißler
schon als Schüler, als wortgewandten Redakteur in meiner Regensburger Theater der Jugend-Redaktion
kennengelernt, hatte ihn als geschickten und um Argumente nie verlegenen Diskussionspartner erlebt. Manchmal
wiederholt sich die Geschichte: Hatte ich 1950/51 dem Programm Gustav Bosses den Abschied gegeben, so wiederholte
sich der Prozess 1987 nach meinem Austritt aus dem Verlag. Theo Geißler schied mit der nmz
aus dem Verlagsverbund Gustav Bosse Bärenreiter und gründete den eigenständigen Verlag
Neue Musikzeitung.
Er verabschiedete sich aus einer Bindung, die ihm Fesseln auferlegte, die er nicht mehr tragen konnte. Dennoch:
die nmz heute ist im Geiste der nmz von gestern eng verwandt. Das Spektrum aber ist
enorm erweitert. Die Präsenz in den neuen Kommunikationsebenen ist frappant. Ich sehe eine Zeitung neben
der Zeitung, das Druckbild neben dem Bildschirm. Die nmz wird über diesen Weg des schnellen
Zugriffs auf ihre Inhalte zum totalen Tagesereignis. Das Ziel, das wir uns in der Ausgabe 1/1952
gesetzt hatten, ist erreicht.