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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 24
51. Jahrgang | Juni
Hochschule
Musikphilosophie, Praxis und Wissenschaft
Zu den Saarbrücker Gesprächen zur Klaviermethodik 2002
Zweimal im Jahr treffen sich die Professoren und Dozenten deutscher Musikhochschulen und Konservatorien bei
den Saarbrücker Gesprächen zur Klaviermethodik zu einem Methodiker- und Didaktiker- Arbeitstreffen
unter der Leitung von Werner Müller-Bech. Das Programm ist immer reichlich mit Fachthemen gefüllt
und die Liste der aktuellen Themen reicht jedes Mal weit in die Zukunft. So wurden allein in den letzten beiden
Sitzungen Themen wie Hören, Horchen und Verstehen, Klaviermethodik konzertant,
Das System der Zeitordnung in der Musik, Akzente der Riemannschen Motivtheorie,
Entwicklung der künstlerischen Persönlichkeit im Anfangsunterricht, Improvisation,
Pianistische Bewegungslehre (mit Workshop) referiert und diskutiert. Das inhaltliche Vorstellen
unterschiedlicher Themen und Forschungsergebnisse und die offene, lebendige Fachdiskussion in der Vielfalt der
anwesenden Professoren und Dozenten aus ganz Deutschland führt zu einer kritischen Auseinandersetzung mit
den Themen. Gerade der Austausch von Fachwissen, eigenen Erfahrungen, Fachurteilen und des neuesten Standes
der Wissenschaft oder Praxis vor Ort kann die wichtigen aktuellen Anliegen nur voranbringen. Probleme werden
dadurch besser verstehbar und Lösungswege beschritten.
Werner Müller-Bech beteiligte sich mit zwei philosophisch-musikwissenschaftlichen Beiträgen. Das
System der Zeitordnung in der Musik führte von Definitionen großer Philosophen zum Zeitbegriff
über die zeitlosen Künste wie Architektur zu verschiedenen Betrachtungsweisen einer Zeitordnung in
der Musik. Sodann leitete er die drei Prinzipien Distanzprinzip, Betonungsprinzip und
Gewichtsprinzip ab und erklärte deren rationale und transrationale Aspekte. In seinen physiologisch-philosophischen
Ausführungen Hören, Horchen und Verstehen verdeutlichte Werner Müller-Bech zunächst
an einem vorgetragenen Gedicht von Goethe, wie mittels Agogik und Betonung durch das Hören dem Hörenden
andere und auch mehr Informationen übermittelt werden als dem Lesenden, denn das menschliche Gehör
hat viel mehr und viel differenziertere Wahrnehmungsmöglichkeiten als das Auge und schläft nie. Eine
Fülle von physiologischen und anderen Fakten sprechen dafür. Das Denken erfolgt über das Ohr
nach Heidegger ist Denken gleich Erhören. Jedoch schon bei Platon und Aristoteles ist der Sehsinn
das Höchste und die Entwicklung zum Augenmensch, so die interessanten Ausführungen, verstärkt
sich zunehmend bis heute und bewirkt damit auch eine Entwicklung zum Ichbewusstsein und Egoismus. Besseres Hören,
also schon eher Horchen muss der heutige Mensch (wieder) lernen, um besser zu verstehen. Daraus entspann sich
eine interessante Diskussion auch und gerade über den Beitrag des Instrumentalunterrichts zum besseren
Hören.
Martin Dörrié stellte dann sein Projekt an der Musikhochschule Hannover Klaviermethodik
konzertant vor. Als jährlich stattfindendes Projekt der Studierenden des 7. und 8. Semesters werden
vollständige Zyklen wichtiger Unterrichtswerke wie Bach, Inventionen, Kleine Präludien und Fughetten,
Schumann, Album für die Jugend, Tschaikowsky, Kinderalbum, Vier Jahreszeiten,
Bartók, Mikrokosmos von deren Schülern in einem moderierten Konzert aufgeführt.
Die Studierenden sollen so lernen, wie man ein Schülerkonzert vorbereitet und umsetzt. Aus dem Projekt
entsteht mehr Spiel- und Übmotivation für alle Beteiligten, wie auch alle Beteiligten auf diese Weise
das gesamte Werk kennen lernen. Martin Dörrié erklärte ausführlich und mit statistischen
Daten zu Schülern und Zuhörern die einzelnen methodisch-didaktischen, aber auch die organisatorischen
Schritte vor und nach dem Projekt und deren pädagogischen Gehalt. Videoausschnitte erlaubten einen Live-Einblick.
Ulrich Hench berichtete von ähnlichen Vorhaben in Nürnberg, auch dort gibt es regelmäßig
Methodikschülerkonzerte. Gabriele Stenger-Stein präsentierte auch ein Video eines Klassenvorspiels.
Die sich dem ausführlichen Bericht anschließende Diskussion entwickelte sich zum Austausch der unterschiedlichen
Praxismodelle mit Methodikschülern an den verschiedenen Hochschulen und zeigte reges Interesse am Thema.
Sie entwickelte sich fast zu einer Ideenbörse für ähnliche Konzertideen.
Sibylle Cada und Sigrid Naumann hatten aufeinander folgend Gelegenheit, das Thema Entwicklung der künstlerischen
Persönlichkeit im Anfangsunterricht aus unterschiedlicher Sicht zu beleuchten. Sigrid Naumann stellte
Persönlichkeitsentwicklung und künstlerisch qualifiziertes Musizieren als wesentliche Zielsetzungen
des Instrumentalunterrichts in den Vordergrund und erklärte auch an Beispielen mögliche Ansätze,
das Künstlerische anzusprechen und zu entwickeln, wies aber auch nochmals darauf hin, dass künstlerische
Erfahrung von Anbeginn möglich ist, aber nicht erzwungen werden kann.
Sibylle Cada verdeutlichte ihre Auffassung zum Thema an Hand des Buches Vom Handwerk zur Kunst
von Peter Röbke und bezog sich am Anfang ihrer Ausführungen auf Jutta Schwarting Musikalische
Kindheit am Klavier, die darauf hinweist, dass Kinder eine Entwicklung zu leisten hätten, dass die
Kindheit nicht fertigkeitsorientiert ablaufen dürfe und dass die musikalisch-künstlerische Entwicklung
in die kindliche Gesamtentwicklung eingebettet sein müsse. Grundsätzlich ließ sich erkennen,
dass das Buch von Peter Röbke zum Thema wohl Wesentliches beizutragen hat.
Gabriele Stenger-Stein stellte als Herausgeberin vor, wie lebendig mit dem Band Kleine Märchensuite
von Karl-Heinz Pick umgegangen werden kann.
Auch das Fortsetzungsthema Pianistische Bewegungslehre von Bernhard Wetz fand seinen Platz. Dieses
Mal wurden Artikulations-Grundfunktionen untersucht und diskutiert. Da das Thema auch nächstes
Mal weitergeführt wird, wird der nächste Bericht wieder ausführlicher darauf eingehen.
Ein Novum mit Fortsetzung war der Workshop Pianistische Bewegungslehre von Heide Görtz. Er
diente der Ergänzung und der praktischen Umsetzung der im Gesprächskreis vorangegangenen und hier
berichteten Vorträge. Im Zentrum standen die den Muskeln innewohnenden Möglichkeiten zu Bewegung und
Entspannung. Sie zeigte Möglichkeiten der Muskel, setzte diese in Bezug zum Klavierspiel und machte mit
den Teilnehmern entsprechende Übungen, die Kraft und Schnelligkeit im Klavierspiel erhöhen.