[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 15
51. Jahrgang | Juni
Initiative
Konzerte für Kinder
Eine Zukunftsaufgabe für Orchester
Fachtagung Konzerte für Kinder in der Landesmusikakademie NRW (Heek)
Wie man in Sachen Konzerte für Kinder Bewegung in die deutsche Orchesterszene bringen kann? Paul Rissmann
und Ursula Heidecker vom Royal Scottish National Orchestra (RSNO) machten es vor, mit ihrer Anleitung zu einem
gar nicht so simplen Bodypercussion-Stück rund um die Worte Wild and Wicked, dem Motto eines
RSNO-Konzerts. Ganz so, wie sie es in ihren vorbereitenden Workshops mit den Lehrkräften tun, die ihr schweißtreibendes
Wissen dann im Unterricht an das junge Konzertpublikum weitergeben.
Diese Art von School Concerts die größtenteils als Ersatz für nicht angebotenen
Musikunterricht fungieren gehören neben den weniger intensiv vorbereiteten Familienkonzerten und
den Creative Projects für Drei- bis Vierjährige zum festen Bestandteil der Orchesteraktivitäten
des schottischen Klangkörpers, der damit auf der Insel keineswegs allein steht. Alle Orchester haben hier
den staatlich verordneten Auftrag, mit einer Fülle von konzertpädagogischen Angeboten ein junges Publikum
anzusprechen, wofür es allerdings keine öffentlichen Mittel gibt. Die Ausgaben für die zusätzlichen
Dienste, die von den Musikerinnen und Musikern freiwillig geleistet und unabhängig vom Orchestervertrag
honoriert werden, werden zum einen von den Kommunen getragen, mit denen eng kooperiert wird, zum anderen von
Sponsoren.
Ursula Heidecker und Paul Riffmann (im Hintergrund) beobachten die Präsentationsergebnisse
ihres konzertpädagogischen Workshops. Foto: Detlev Hahlweg
Womit eine der Kernfragen der Fachtagung angesprochen wäre, zu der die Initiative Konzerte für Kinder
der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD), erfreulicherweise in Zusammenarbeit mit der Deutschen Orchestervereinigung
(DOV) und dem Deutschen Bühnenverein (DBV) in die Landesmusikakademie Nordrhein-Westfalen nach Heek eingeladen
hatte: Wie könnte eine stärkere institutionelle Verankerung von Kinderkonzerten in der deutschen Orchesterlandschaft
aussehen? Die große Resonanz auf die Tagung statt der vorgesehenen dreißig Teilnehmer/-innen
waren es am Ende über sechzig machte die Dringlichkeit des Themas einmal mehr deutlich, und der
vorläufige, in der Abschlussdiskussion spontan erarbeitete Maßnahmenkatalog zeigte mögliche
und notwendige Zielrichtungen künftiger Aktivitäten auf:
Die 20 Prozent Musikvermittlungsanteil, die der scheidende Generalsekretär der JMD Thomas Rietschel
als ehrgeizige Wegmarke für jedes Orchester einforderte, war ein viel versprechender Vorgeschmack auf
den frischen Wind, den dieser bei seinem Wechsel zum Deutschen Musikrat im Dienstgepäck mit sich führt.
Eine im Tarifvertrag verbindliche verankerte Regelung von Fortbildungsmöglichkeiten, die auch zur
Qualifizierung in Sachen Musikvermittlung beitragen könnten, sei fester Bestandteil für die anstehenden
Tarifverhandlungen, versicherte DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens und versprach auch, dass die
DOV ihre Mitglieder über entsprechende Angebote, etwa der Bundesakademie für kulturelle Bildung
in Wolfenbüttel, offensiv informieren werde.
Für eine verstärkte Kooperation mit den Musikhochschulen warb Wolfgang Rüdiger, der als
Professor an der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule Musikvermittlungskompetenzen bereits in die
instrumentaldidaktische Grundausbildung einbezieht. Seine Überzeugung, dass es keine Kunst ohne Vermittlung
gebe, jeder Musiker mithin auch Musikvermittler sein müsse, hatte Rüdiger selbst vom Vermittlungsfuror
beseelt zuvor in einem gehaltvollen Grundsatzreferat ausgeführt. Auch wenn es ein Stück weit
vom Thema Kinderkonzerte wegzuführen schien, lieferte es doch eine wohltuende theoretische Fundierung
für das Anliegen der Tagung.
Von einem Orchestermusiker aus dem Publikum kam der Vorschlag, die Kulturschaffenden einer Stadt oder Region
zunächst ganz zwanglos an einem Kulturstammtisch zusammenzuführen, um Möglichkeiten
der Zusammenarbeit mit Schulen, Jugendzentren und anderen Einrichtungen zu diskutieren.
Der Dortmunder Kulturdezernent Jörg Stüdemann schließlich befürwortete die Idee, für
die konzertpädagogischen Aktivitäten einen festen Etat, etwa in Form eines Fonds anzulegen und widersprach
damit dem Direktor des Bühnenvereins Rolf Bolwin, der davor gewarnt hatte, die Musikvermittlungsangebote
in die Mühlen der Bürokratie und der Institutionen integrieren zu wollen, und für flexible
Lösungen plädierte. Ohne feste Budgetpositionen, so Stüdemann, sei keine langfristige Planung
möglich.
Stüdemann war es auch, der in einem bemerkenswerten Vortrag die zentrale Funktion der Schulen beim Aufbau
eines Netzwerks für kulturelle Jugendbildung im Allgemeinen und Kinderkonzerte im Besonderen hervorhob.
Genau hier stellten sich aber, etwa bei der Zusammenarbeit mit Schulbehörden oder beim Durchforsten der
Förderdschungel, einige Probleme, die mit der unscharf umrissenen Kompetenzverteilung zwischen
den Bereichen der Jugend-, der Bildungs- und der Kulturpolitik zusammenhänge. In einem Exkurs plädierte
Stüdemann für eine generelle rechtliche Verankerung der kulturellen Bildung, damit diese nicht immer
wieder in eine Rechtfertigungshaltung gerate.
Ein Schlaglicht auf die Situation der deutschen, genauer der Berliner Orchesterszene warf Christian Stadelmann,
der als Musiker Ansprechpartner für das neu einzurichtende Education Department (so der Arbeitstitel)
der Berliner Philharmoniker ist. Deren neuer Chef Simon Rattle sieht sein Orchester auch in einer sozialen Verantwortung
und treibt in Zusammenarbeit mit der englischen Kinderkonzert-Koryphäe Richard McNicol die Planungen für
die kommende Saison, etwa ein Jugendprojekt zu Mark-Anthony Turnages Blood on the floor, mit großer
Entschiedenheit voran. Einzig hinter der Finanzierung durch Universal-Mäzen Alberto Vilar steht noch ein
Fragezeichen. Trotz einiger Unstimmigkeiten darüber, wie ein solch öffentlichkeitswirksames Vorpreschen
angesichts der zahlreichen bereits bestehenden Berliner Aktivitäten zu bewerten sei, überwog doch
die Überzeugung, dass von der Signalwirkung alle in der Sache Engagierten profitieren müssten.
Zielt das angelsächsische Konzept der Musikvermittlung mit seinen unkonventionellen Konzertformen auf
eine Infragestellung herkömmlicher Programmgestaltungen und -präsentationen insgesamt, so umreißt
Roland Vesper, Hornist und Kinderkonzert-Moderator bei der Neuen Philharmonie Westfalen, sein Anliegen mit dem
Willen, das Konzerthören als Kulturleistung erhalten zu wollen. Das in den letzten Jahren kontinuierlich
gewachsene Angebot des Klangkörpers umfasst zwar ähnlich den in der letzten Ausgabe von Volker
Mattern beschriebenen Schulmusiken der Bergischen Symphoniker Schulbesuche der Orchestermusiker;
im Mittelpunkt steht aber das vom Moderator angeleitete Erleben der Musik im Konzert selbst. Der spürbare
Zugewinn an Akzeptanz, den Generalmusikdirektor Johannes Wildner im abendlichen Gespräch mit Thomas Rietschel
beschrieb, sollte Ermutigung genug für andere Orchester sein, eigene, ästhetisch vielleicht auch ganz
anders geartete Wege der Musikvermittlung zu beschreiten.
Fraglich bleibt, ob es damit getan ist, sich wie Wildner darauf zu verlassen, dass die notwendige Kompetenz
im Orchester schon zu finden sei. Eine dauerhafte Sicherung der Quantität und Qualität von Kinderkonzerten,
wie sie Barbara Stiller als Kernanliegen der Initiative Konzerte für Kinder formulierte, kann
kaum auf der Basis von Provisorien geleistet werden. Dass das Engagement und die Bereitschaft aus den Orchestern
selbst kommen muss, steht außer Zweifel. In beide Richtungen hat die Fachtagung in Heek konstruktive und
höchst ermutigende Zeichen gesetzt.