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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 1
51. Jahrgang | Juni
Leitartikel
Godot oder Der Sponsor lässt auf sich warten
Kunst und Kultur brauchen Geld, aber von wem? · Von Gerhard Rohde
Seid verschlungen, Millionen. An etlichen Stätten der Hochkultur breitet sich, zunächst noch diskret
auftretende, Unruhe aus. Warten auf Godot Becketts berühmtes Theaterstück gewinnt einmal mehr
unerwartete Aktualität. Wo bleibt der Sponsor? Vor allem seine Zuwendung?
Am Ende von Wedekinds Marquis von Keith, wenn der in schwindelnde Erfolgshöhen emporgestiegene
Held wieder auf dem Trockenen sitzt, trifft dieser lakonisch die Feststellung, dass das Leben
eine Rutschbahn sei. Ob Alberto Vilar, der großzügige Förderer der Festspiele,
Opernhäuser und Orchester sich auf solcher Bahn der Erkenntnis bewegt, bleibt vorerst sein Geheimnis. Nur
dass inzwischen verschiedene Institutionen auf das von ihm zugesagte Geld warten, spricht sich, noch hinter
vorgehaltener Hand, allmählich herum.
Nun möchte man keinesfalls den spendablen Festspielfreund und Opernliebhaber der allgemeinen Verachtung
anheimgeben, nur weil angeblich sein Milliardenvermögen im Zuge schwind- süchtiger Aktienkurse in
Richtung Keller rutscht. Doch für ein Lehrstück taugt der Fall Vilar allemal. Wie schwänzelten
in den zurückliegenden Jahren die Herren Intendanten, Festspieldirektoren, Dirigenten und Kulturmanager
um den Onkel aus Amerika herum, um Gunst und Zuneigung buhlend bei feinen Diners und eleganten Empfängen.
Hier eine Million (Dollar, D-Mark, Euro), dort zwei, drei, vier Millionen, manchmal auch zweistellige Beträge
für dubiose Musikerziehung der Jugend oder für individuelle Übertitelungen an den Rücklehnen
eines renommierten Opernhauses. Alberto Vilar war für vieles gut, und er, der Enthusiast und Liebhaber
der Musikkünste, genoss es, sein farbiges Konterfei in jedem Salzburger Programmheft zu entdecken oder
sich auf einer edlen Tafel im Festspielhaus verewigt zu sehen. Es soll Leute geben, die das alles eher als widerwärtig
empfinden. Auf jeden Fall hat es wenig mit klassischem Mäzenatentum gemein: Der wahre Liebhaber
spendet, genießt und schweigt. Ihm genügt es, dass die Künste blühen, ihnen
allein gebührt der Ruhm.
Der Fall Vilar eröffnet aber auch den Blick auf die Kehrseite der, sagen wir es ruhig einmal
despektierlich, Sponsoritis. Der Sponsor erwartet für seine Gaben, und seien diese noch so gering, immer
die Gegenleistung, Feedback genannt. Das Kunstengagement dient vornehmlich dem mehr oder weniger
aufdringlichen Hinweis auf das Firmenprodukt. Es geht zu wie in der Ariadne auf Naxos, wo der gnädige
Herr gewohnt ist anzuordnen und seine Anordnungen befolgt zu sehen. Schließlich bezahlt er Kunst
und Künstler. Nun ist es in der Wirklichkeit allerdings so, dass die Sponsoren höchstens einen Bruchteil
der Kunstpräsentation finanzieren. Wenn sich ein Festspielhaus damit brüstet, keine Subventionen für
sein Festival zu beziehen, so stellt sich im gleichen Atemzug die Frage, wer denn das eingeladene berühmte
Philharmonische Orchester Jahr für Jahr unterhält, wer die Gehälter der Musiker zahlt, wer die
Hochschulen finanziert, an denen der qualifizierte Musikernachwuchs für diese Orchester ausgebildet wird?
Man möchte einmal die Gesichter der Industriebosse sehen, würde man ihnen zumuten, auch diese Kosten
zu übernehmen.
Die öffentliche Hand trägt unverändert die Hauptlast der Kunst- und Musikförderung. Aber:
Ist es wirklich eine Last und nicht eine unverzichtbare Verpflichtung? In den Köpfen vieler Politiker,
auch Bewohner dieses Landes, scheint immer häufiger die Vorstellung zu dominieren, die Kultursubventionen
würden, gleichsam auf dem Gnadenwege, den Künstlern, den Intendanten, Dirigenten, Regisseuren, Museumsdirektoren,
Bibliothekaren et cetera gewährt, damit sie sich auf ihren Spielwiesen vergnügen können. Gegen
diesen Irrtum kann man nicht entschieden genug ankämpfen.
Kunst und Kultur dienen allein den Menschen, der emotionalen Bildung, der Anregung der Fantasie, selbstverständlich
auch dem Vergnügen, und besonders der Erziehung zu sozialer Verantwortung in einer Gemeinschaft, die sich,
sei es in Stadt, Region oder Staat, als Civitas begreift, als eine Einheit gleichgestimmter und
freier Bürger.
Dieser Erziehung sind Kultur und ihre Förderung vor allem gewidmet, und der Staat und seine von denselben
Bürgern gewählten Repräsentanten haben die Aufgabe und Pflicht, diesem Anspruch der Civitas
nachzukommen. Auf Sponsoren lässt sich diese Verpflichtung nicht abwälzen. Sie betrachten sich im
Zweifels- und Notfall als nicht zuständig, und sie dürfen sich dabei sogar im Recht fühlen, sind
sie doch in gewisser Weise zuallererst den Menschen in ihren Betrieben verpflichtet. Alles andere ist Augenwischerei.
Es ist nicht das erste Mal, dass dieses Thema in der neuen musikzeitung erörtert wird. Doch sind Repetitionen
so lange notwendig, bis sich etwas zum Positiven zu wenden beginnt. Warten wir also weiter: auf einen besseren
Godot.