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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 12
51. Jahrgang | Juni
Medien
Wenn es vom Bildschirm klingt
Bremer Tagung The Look of the Sound Musik im Fernsehen der Zukunft
Musik ist im Fernsehen so allgegenwärtig, dass man sich fragen mag, was es denn da überhaupt noch
zu entdecken oder gar zu diskutieren geben könne. Kein Action-Film, keine Space Opera ohne passende
klangliche Untermalung, kein Naturfilm ohne seichte ökologische Kuschelmusik, kein Werbespot ohne begeistert
krähenden Tortenchor die Stille kommt fast nur vor, um die nächste Klangwoge entsprechend vorzubereiten.
A llerdings ist die Musik hier ausschließlich Gleitmittel, hat keinen Eigenwert. Das ist
schon anders, wenn Opern- oder Konzertereignisse übertragen werden. Da dient gewiss- ermaßen das
Bild der Musikvermittlung, zeigt nicht nur das Kunstwerk an sich, sondern auch dessen Hervorbringung. Die ästhetisch
höchste Form aber sind solche Filme, in denen die Musik selbst zum Thema wird und die bildliche Darstellung
etwas aufzeigt, was der Klang allein nicht würde leisten können; hier entsteht gleichsam etwas Drittes,
eine eigene Kunstform.
Und genau um dies ging es bei einer Tagung, die vom 18. bis 21. April 2002 in der Galerie Katrin Rabus in
Bremen stattfand und Fernsehredakteure, Filmemacher und Medienjournalisten zusammenbrachte: The Look of
the Sound Der Blick auf den Klang. Musik im Fernsehen der Zukunft.
Beweggründe hatte die kulturpolitisch aktive Galeristin sie saß jahrelang im Programmbeirat
des Kulturkanals Arte und ist jetzt in ähnlicher Funktion bei der ARD tätig aus
eigener Anschauung eine Menge: ein Gedankenaustausch dieser Breite hatte bisher nicht stattgefunden, und die
Repräsentanz von Musikfilmen im Fernsehen scheint recht unansehnlich zu sein, was die Mediengewaltigen
gern mit der Einschaltquote begründen. Die Veranstaltung unter enormem Publikumszuspruch
vereinte Theorie und Praxis ideal: Eine Reihe von in den letzten Jahren international preisgekrönten
Musikfilmen wurde auf Großleinwand und in Anwesenheit der Regisseure vorgeführt, dazu gab es eine
Videothek in drei benachbarten Räumen, wo weitere Filme ausgesucht werden konnten; zwei Live-Konzerte mit
dem Amati-Quartett, das Mozarts Dissonanzen-Quartett und Lachenmanns Gran Torso vorführte,
und mit einer vom Trompeter Uli Beckerhoff zusammengebrachten Jazzformation mit ungemein anregenden Improvisationen
(und im Anschluss daran Jazz-Doku-Filmen aus Beckerhoffs Sammlung) repräsentierten die Musik an sich.
Ein Workshop mit dem Regisseur Jonathan Haswell und dem Musikwissenschaftler Ulrich Mosch (Paul Sacher Stiftung
Basel) sowie zwei Diskussionsrunden sorgten für Reflexion und oft auch provozierende Debatten.
Eindrucksvoll unter den vorgeführten Filmen waren von Jonathan Haswell Rite of Spring über
Strawinskys Jahrhundert-Klassiker, Probenszenen, Einführung mit maßvoller Didaktik und Gesamtaufführung,
Bettina Ehrhardts Eine Kielspur im Meer...Abbado.Nono.Pollini, Erinnerungen an den venezianischen
Komponisten Luigi Nono verbunden mit Bildern und Klängen aus der morbid-schönen Lagunenstadt, Musik
für 1000 Finger Conlon Nancarrow von Uli Aumüller, ein sensibles Porträt dieses
komponierenden Einsiedlers und seiner Lochstreifen-Apparaturen, auf denen er seine Studies for Player
Piano produzierte, und von Bruno Monsaingeon Lart du violon mit Doku-Aufnahmen der großen
Geiger des 20. Jahrhunderts, jeweils kommentiert von heutigen Virtuosen, ein von der Machart her simpler, aber
gefühlsmäßig einnehmender Film über eine unwiederbringliche Epoche.
Musik im Fernsehen der Zukunft, die programmatische Hauptgesprächsrunde, wurde von Klaus
Wenger (Arte Deutschland) moderiert. Wenn Günter Struve (Programmdirektor ARD) auf den europaweit führenden
Programmanteil von Musik im deutschen Fernsehen verwies, mochte zwar sachlich niemand widersprechen, doch relativierte
Wenger mit dem Hinweis, einen festen Sendeplatz für Musik gebe es nicht einmal in den Dritten Programmen.
Feste Sendezeit bindet Zuschauer Struve konterte: das habe man ja auch immer wieder probiert, aber bei
reinen Musikfilmen sei die Einschaltquote Null (auch wenn er hinzufügte, dass Null immer noch
mit etwa 10.000 Zuschauern zu Buche schlage).
Reines Abfilmen von Musik-Events sei aber noch kein Musikfilm, bemängelte Wenger, und hier
hakte Manfred Frei (Produzent loft music) ein: die Ausstrahlung bloßer Musik-Häppchen,
vor allem in solchen, wie er sagte, unerträglichen Produktionen wie Achtung Klassik!
sei doch wohl kein seriöses Musik-Fernsehen. Bernd Kauffmann (Kulturstadt Weimar bzw. Stiftung Schloß
Neuhardenberg) fasste die Diskrepanz zwischen hehrer Klassik-Vermittlung, die keiner anschaue, und
banaler, aber quotenträchtiger Anmache in ein poetisches Bild nach Dostojewski: wir sitzen vor der Glotze
zwischen billigem Glück und erhabenem Leid. Dann holte er zum provokativen Rundschlag aus und
fragte, warum die Musikfilmer überhaupt ins Fernsehen wollten, wo letztlich ernsthafte Musik doch eh fehl
am Platze sei, schon wegen der mangelhaften Akustik herkömmlicher Geräte.
Dem mochte Bettina Ehrhardt als freie Filmerin nicht zustimmen: das Medium, das allen Sparten offen stehe,
müsse auch von Musikern und Musikfilmern genutzt werden.
Wenn allerdings, wie Struve erläuterte, die Einschaltquote dadurch ermittelt wird, dass viertausend
repräsentativ ausgewählte Haushalte an einen Zählcomputer angeschlossen werden, dann ist
weiterer Diskussionsbedarf gegeben für die schon geplante nächste derartige Veranstaltung: was nämlich
ist bei diesem Verfahren verglichen mit 80 Millionen Gesamtbevölkerung eigentlich repräsentativ?
Und welche gesamtgesellschaftlichen Probleme Stichwort: Pisa-Studie bedingen entscheidend die
Mechanismen des Kulturkonsums? Dieser Umkreis wurde von den Diskutanten nur gerade eben angedeutet.
Beim zweiten Podium waren dann die Filmemacher selbst Bettina Ehrhardt, Uli Aumüller, Jonathan
Haswell und Bruno Monsaingeon, dazu Lothar Mattner vom WDR-Fernsehen und Rene Karlen als Medienjournalist
weitgehend unter sich. Man muss es nicht als Sentimentalität verstehen, wenn Haswell von Gefühlen
sprach, die er in Bilder übersetzen und damit die Menschen wenigstens ein bisschen ändern
wolle.
Durchsichtige Bilder machen, die den Blick freigeben auf die Musik dieses synästhetische
Credo von Uli Aumüller weist in die Richtung, die schon vor fast 60 Jahren Theodor W. Adorno und Hanns
Eisler in ihrem Buch Composing for the Films anpeilten: Musik und Bild ergeben im Idealfall etwas
Neues, Eigenständiges, dessen beide Bestandteile sich gegenseitig erhellen.