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nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 24
51. Jahrgang | Juni
Pädagogik
Der unmittelbare Kontakt ist schon etwas Anderes
Musikschüler als Gasthörer beim Rundfunksinfonieorchester Leipzig
Fabio Luisi bittet die Zehn- bis Siebzehnjährigen, im Orchester Platz zu nehmen. Die Musikschüler
setzen sich in die Stimmgruppen ihrer eigenen Instrumente. Gasthörerschaft von Schülern und Musikschülern
steht bei verschiedenen Orchestern in den Bundesländern bereits länger im Konzept der Jugendarbeit.
Für das MDR-Orchester ist es die Premiere.
Fabio Luisi und Schüler der Leipziger Musikschule J. S. Bach. Foto:
MDR/Dabdoub
Die Deutsche Erstaufführung von ...Ebbe(n) des 1957 geborenen Schweizers William Blank steht
auf dem Probenplan. Ein breit angelegtes, scheinbar ruhiges Stück, in dem schattenhafte Einwürfe für
ständige Bewegung sorgen. Nach der Pause folgt der erste Satz von Mahlers Siebter: Kein Bizeps, bitte
nur Seele. Und die Jugendlichen, die vorher noch meinten, dass Mahler sicher leichter abzunehmen wäre
als der Blank, sind sehr überrascht. Da sie selbst im Musikschulorchester spielen, fällt ihnen das
Verfolgen des Ablaufs nicht schwer. Aber der unmittelbare Kontakt ist schon etwas anderes. Die jungen
Musiker erfahren den Unterschied zwischen beginnen und beginnen lassen und dass bei
Gustav Mahler jede Note anders ist. Sie verfolgen Entstehungsphasen, Phrasierungen und Details genau. Weitgehend
sind sie auf die eigene Stimmgruppe fixiert, aber: Man sieht auch mal nach vorn, klar....
Heiterkeit ist inklusive bei der straffen Probenarbeit. Nachdem der Chef bei seinen Lieblingsopfern,
den ersten Geigen, wegen eines Fortepiano immer wieder insistiert hat und nun von der Harfenistin verlangt,
ihren Part wie einen Schleier übers Orchester zu legen: So dicht, dass ich die Harfe nicht mehr sehe...
Wie wärs mit einer neuen Brille, Maestro? Nach der Probe setzen sich die Jugendlichen
zu einem gemeinsamen Brainstorming mit dem Chefdirigenten zusammen. Fabio Luisi gibt für die jungen
Kollegen Erklärungen zu den Stücken, zu Effekten und Farben. So lässt Blank die Streicher
teils mit Metalldämpfern spielen, die in der Klassik so gut wie nie Anwendung finden. Von Notationsfragen
und den vierzehn Stimmen im Partitur-System geht es über Einstudierungserfahrungen des Dirigenten mit dem
eigenen und anderen Orchestern bis hin zur Konzertdramaturgie. Lebhafte Diskussion entsteht zur Arbeit an der
Erstaufführung. Vor allem bei den älteren Schülern gibt es präzise Vorstellungen für
die Vorbereitung des Publikums auf zeitgenössische Musik, sowie auch zur Entwicklung von Hörgewohnheiten.
Mit der Einladung an die 23 Musikschüler zum kommenden Konzertabend verbindet Chefdirigent Luisi seine
Offenheit für gemeinsame zukünftige Probenprojekte. Der heutige Testlauf ist gelungen.