[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/06 | Seite 30
51. Jahrgang | Juni
ver.die
Fachgruppe Musik
Abgetrennt, abgeschlagen, zugesetzt, demontiert
Musikkritik Auslaufmodell? · Frieder Reininghaus erinnert an den journalistischen Auftrag
Dieser Tage, Oberfranken durchquerend, war das Autoradio auf die Kulturwelle des Bayerischen Rundfunks eingestellt
und die Zeit für das Magazin Musik aktuell gekommen. Nach der alerten Stimme der Moderatorin
meldete sich dann jedoch nicht etwa ein Reporter oder Musikkritiker zu Wort, sondern der Kulturverantwortliche
der Allianz-Versicherungs-Gruppe: Wir müssen Kultur verstärkt als Medium verstehen. Sehr
viel genauer wurde er nicht. Da der Kulturförderungs-Spezialist für das marodierende Finanzkapital
sprach, durften kundige Hörer schließen, dass dieser künftig verstärkt unmittelbare Einflussnahme
beabsichtigt und der interessierten Öffentlichkeit die gewünschten Verhaltensmuster für die ihr
abverlangte Duldung anempfiehlt. Beiläufig wurde demonstriert, wer im öffentlich-rechtlichen Rundfunk
inzwischen selbst auf jenen Sendeplätzen das Sagen hat, die traditionell der Fachkritik vorbehalten
waren (für die allgemeinen politischen und kulturpolitischen Nachrichten, Stellungnahmen und Kommentare
stehen ausreichend Sendezeiten zur Verfügung). Der radiophonen Musikkritik ohnedies längst
in Nischen verbannt wird womöglich zugesetzt und der Garaus gemacht. Und keineswegs nur von einer
CSU-nahen Landesrundfunkanstalt im Südosten der Bundesrepublik.
Wie fühlen Sie sich? Fragen künftiger Radio- und Fernsehkritiker
an Lady Macbeth in der Regie von Jan Bosse am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Fotos: Wonge
Bergmann/dpa
Wie kein anderes Medium eignet sich der Rundfunk, wie er sich in Mitteleuropa seit Mitte der 20er-Jahre herausbildete,
für die Präsentation von Musik als mehr oder minder weicher Teppich und zunehmend bunt gemusterte
Tapete des Alltags, und insbesondere auch zu konzentriert wahrzunehmenden Formen der Präsentation und Dokumentation
von Musik der unterschiedlichsten Provenienz. Die Skala des Angebots reicht von der Wiedergabe der verschiedenartigsten
Konzerte und Opernaufführungen bis zu den speziell für den Radio-Gebrauch entwickelten Tonkünsten.
Begleitet wurde der Aufschwung, die zunehmende technische Perfektionierung und Differenzierung der Musik im
Radio von kürzeren oder ausführlicheren Ansagen und Abkündigungen, die selbst rituelle Formen
entwickelten und einem Wandel von Geschmack und Moden unterlagen: Musik-Moderation hat sich selbst als zunehmend
differenziertes Genre herausgebildet. Daneben entwickelte sich das öffentlich-rechtliche Radio keineswegs
zufällig in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg neben den Feuilletons der Tages- und Wochenzeitungen
zum Träger von (wiederum unterschiedlich gearteter) Reflexion über Musik und Musikleben sowie
von Musikkritik.
Der sachliche Zusammenhang legte dies ebenso nahe wie der kulturpolitische Wille in den jungen Demokratien,
der Musik als bloßem Instrument wechselnder Stimmungen, als Stimulans von Gefühlen und halb
Artikuliertem (Thomas Mann) ein wenig rationale Durchdringung und kritische Würze beizumengen. Denn
nicht zuletzt ihr Quietismus wie die aus und mit Musik hervorbrechende Begeisterungsfähigkeit
hatte erkennbar Anteil an der Bändigung wie am Mobilisieren und Entflammen der Massen (und der Intelligenz)
in den Jahren der großen Diktaturen. Man erinnerte sich durchaus an den politischen Verdacht von Ludovico
Settembrini, der zur entsetzten Erheiterung Hans Castorps in Erwägung zog, dass Musik allein die
Welt nicht vorwärts bringe. Ja: Musik allein ist gefährlich (Der Zauberberg,
1924).
Die Lehren, die nach 1945 zu ziehen waren (und um die der Disput nach 1968 aufflammte), sind auch auf dem
Feld der öffentlich-rechtlichen Musikpräsentation zunehmend verdrängt worden. Zuerst diskret,
dann offensiv. In der populistisch bedienten Welt wirkt die Erörterung musiktheoretischer Fragen, die seit
dem Heraustreten der Tonkünste aus dem Schatten der Kirche, der Stadtpfeiferei und krähwinkligem Spezialistentum
einen wesentlichen Bestandteil des Geisteslebens ausmachten, skurril und Musikkritik als
Störfaktor. Einzig die komponierenden und musikinterpretierenden Künstler, die Betreiber von Konzerthallen
und Musiktheatern sowie die Hersteller von Tonträgern, die so lange mit der Musikkritik als
einer teilweise unabhängigen und nicht völlig zu korrumpierenden Instanz haderten, scheinen heute
noch Interesse an deren Fortbestand zu haben. Doch sie artikulieren dieses Interesse, wenn überhaupt, so
beiläufig, dass dies bei Programm-Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht ins Gewicht
fällt. Das breite Publikum, das sich schon mit der Musikbetrachtung und dem parteilichen Rezensentenwesen
brav begnügte, welche 1933 an Stelle der in der Zwischenkriegszeit demokratisierten und pluralisierten
Kritik traten, kommt in der Bundesrepublik Deutschland immer noch hörbar gut ohne Musikkritik aus. Hörertelefone
und die auf Ankündigung ausgelegten Internet-Fenster begleiten die Medien-Partnerschaft, welche
die ARD-Anstalten mit den Musikveranstaltern begründeten. Selbst treiben sie das Moderieren voran
und vollziehen damit eine (stillschweigende) Vorgabe der hohen Politik nach, die wohl auch Stimmungen in der
Bevölkerung durch Talkshow-Teilhabe und Moderation mehr als durch alles andere zu steuern trachtet.
Die Radio-Programme mit kulturellem Auftrag und entsprechenden Ambitionen haben in den zurückliegenden
zwei Jahrzehnten in Deutschland wie in den umliegenden Ländern mehrere Reform-Schübe
erfahren. Unternehmensphilosophie und Outfit des Westdeutschen Rundfunks etwa unterscheiden sich
heute so erheblich vom Gesamtbild, das von den Inhalten und Vermittlungsformen dieses Senders Ende der 70er-Jahre
zu gewinnen war. Bei aller Veränderung, Modernisierung, Anreicherung und Verknappung in einzelnen Segmenten
ist der Kulturwelle WDR 3 die überwiegende Fundierung auf Musik geblieben. Freilich haben sich nicht nur
die Repertoire-Segmente verschoben und die Musik-Farben angereichert. Beiläufig wurden auch
die Sendeplätze der Musik- und Opern-Kritik verschoben und demontiert. Das Samstags-Feuilleton ebenso
ganz eingestrichen wie die halbstündige Sendereihe Am Abend vorgestellt, in der immer wieder
auch kritische Würdigungen von Musikbüchern erschienen. Das relativ viel gehörte Morgen-Mosaik
musste die Berichterstattung über herausragende Ereignisse des Musik(theater)lebens weitgehend an ein schlecht
platziertes (und kaum gehörtes) Nachmittags-Magazin abtreten (vormals Musikszene West, jetzt
von Dortmund aus gesteuert und Resonanzen genannt): Eine schwerpunktmäßig auf die Ruhr-Region
zentrierte Plauderstunde, in der freundlich begleitender Journalismus gepflegt wird und sich häufig
betörende Unbedarftheit ausbreiten darf.
Ein wenig besser hat es Musik- und Opern-Kritik noch im Norden der Republik dank N3. Aber auch
dort wurde die Musikkritik abgetrennt von den übrigen Sphären der Kunst und Kultur, die von den in
Hannover produzierten Sendestrecken Texte und Zeichen verwaltet wird, und gleichfalls dem mittleren
Nachmittag mit seinem Musikforum zugeschlagen gesendet nun zu einer Zeit, in der erfahrungsgemäß
nur sehr wenige Feuilleton-Hörer einschalten.
Doch bei Radio Bremen, von Sparzwängen und Miss-Management stark gebeutelt, ging es ihr wie der
Neuen Musik und anderem Kuriosem so gut wie ganz an den Kragen. Im Süden wurde ihr Aktionsfeld
durch die Fusion von Südwestfunk und Süddeutschem Rundfunk und der im vereinigten SWR nochmals reduzierten
Sendezeit ebenfalls eingeengt und in Berlin erging es ihr noch übler.
Mit dieser in Scheibchen herbeigeführten Reduktion sind die Rundfunkanstalten freilich keineswegs federführend.
Sie vollziehen parallel nach, was auf den Kulturseiten der Zeitungen zu beobachten war zunächst
in den regionalen Blättern, dann auch bei den Feuilletons der Zeit sowie der auf Sparkurs eingeschwenkten
Welt (die redaktionell mit der Berliner Morgenpost gekoppelt wurde), der allseits stagnierenden
Berliner Zeitung, der lange gerade auch für Tonkünste und Musiker so bedeutenden Süddeutschen
Zeitung und selbst beim Flaggschiff, der Frankfurter Allgemeinen. Der zum Teil drastische Rückgang
des Anzeigen-Aufkommens nach dem 11. September 2001 führte unmittelbar zu Einsparungen gerade auch bei
den Kultur-Teilen dieser Zeitungen. Die FAZ stellte zum Jahresende die Tiefdruckbeilage Bilder
und Zeiten ganz ein. Für die Süddeutsche versicherte der Verlagschef Hans Gasser,
würden sanfte Möglichkeiten der Einsparung ventiliert von Altersteilzeit
bis zum Nicht-Besetzen frei werdender Stellen (12.12.2001). Insbesondere ließ und lässt sich
im Segment der freien Autoren, die einen erheblichen Teil der Musik- und Opernkritik anlieferten, fast geräuschlos
abbauen.
Den selben Kurs verfolgen die Radioanstalten zum Zweck der Kostendämpfung. So erledigt
der ökonomische Druck die scharfe Beschneidung eines wenig geliebten Zweigs der Publizistik. Gerade die
über so gewaltige finanzielle Ressourcen verfügenden öffentlich-rechtlichen Institute stellen
aus guten und anfechtbaren Gründen nicht nur Milliarden für Fußball-Übertragungsrechte
bereit. Jedoch bei mehr als einem Dutzend hauptseitig funktionslos gewordenen eigenen Klangkörpern
mit enormen Personalkosten Symphonie-Orchester, Chöre, Jazz- und Unterhaltungsmusik-Formationen
sollten sie gelegentlich an den primären journalistischen Auftrag erinnert werden. Der rechtfertigt
in erster Linie die als Sondersteuer erhobenen Rundfunk-Gebühren. Zu diesem Auftrag gehört nach mitteleuropäischem
Kulturverständnis Musikkritik. Und keineswegs nur aus Nostalgie.
Frieder Reininghaus arbeitet als freier Kultur- und Musikjournalist für Rundfunk und Printmedien