Kleinformatige Reiseführer sind selten befriedigend. Stets versuchen sie, auf engem Raum alle Facetten
einer Stadt irgendwie darzustellen, mit dem Ergebnis, dass es bei flüchtigen Streiflichtern bleibt, den
wenigen Höhepunkten, von denen man ohnehin schon gehört hat. Ganz anders zwei neue Bände aus
dem Arche-Verlag, die in selbst auferlegter Beschränkung nur die musikalische Seite ihres Objekts
vorstellen wollen. Auf je etwa 150 Seiten führen sie den Leser durch London und durch Prag, vorbei an Stationen,
die an die unterschiedlichsten musikalischen Ereignisse und Persönlichkeiten gemahnen, quer durch die Epochen
hinweg. Die beiden Metropolen mit ihrem seit jeher überaus reichen und vielfältigen Musikleben haben
da gewiss eine Menge zu bieten. London wird erkundet auf sieben Gängen durch die inneren Stadtteile, ergänzt
durch einen Ausflug zu Händels Sommersitz Turnbridge Wells. Der Prager Band findet nach sechs Spaziergängen
mit einer Fahrt nach Terezín seinen bestürzenden Abschluss. Zwischen 1941 und 1945 entfalteten im
KZ Theresienstadt zahlreiche internierte Komponisten und Musiker, den Tod vor Augen, ein umfangreiches musikalisches
Schaffen.
Die Wanderungen sind wahre Streifzüge durch die Geschichte der Städte und ihres Musiklebens, angefüllt
mit einer Vielzahl informativer und unterhaltsamer Details. Präzise Wegweisungen stellen sicher, dass jeder
Spaziergang in der Realität tatsächlich durchführbar ist. Warum eigentlich nicht?
London und seine zahllosen Sehenswürdigkeiten erlaufen unter den Vorzeichen seiner Musikgeschichte
auch wenn wir dem Green Park heute nicht mehr ansehen, dass hier 1749 Händels Feuerwerksmusik zur Aufführung
kam, auch wenn im Prince-of-Wales-Theatre heute keine Beatles-Konzerte mehr stattfinden.
Ordnung halten die beiden Autoren allein im Raum, über die Dimension Zeit setzen sie sich kurzerhand
hinweg. In Prag begegneten wir eben Bohuslav Martinu in seiner Studentenbude, da stehen wir nach wenigen Schritten
schon am Annaplatz vor dem Palais Pachta, wo Mozart gerade aus dem Stegreif vier Contratänze komponiert.
Der Leser weiß nie, welche Persönlichkeit, welche Sternstunden der Musikgeschichte ihn an der nächsten
Ecke erwarten. Die interessantesten Reisen finden eben im Kopf statt, oder auf den Seiten solcher Bücher.