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nmz-news
nmz 2002/07-08 | Seite 2
51. Jahrgang | Aug./Sep.
Personalia
Personalia
Die neue musikzeitung hat ihre interaktiven Tätigkeiten ausgeweitet. Mit dem Kulturinformationszentrum
stellen wir die engagierte Diskussion in das Zentrum der Aktivitäten im Netz. An dieser Stelle können
Fragen gestellt, Informationen verbreitet und die Arbeiten anderer kultureller Initiativen zur Darstellung gebracht
werden.
Reanimateur des Lebendigen
Ernst von Siemens Musikpreis an Nikolaus Harnoncourt Er stand nicht unbedingt auf der Liste derer, die schon ihre Tipps für den nächsten Ernst von
Siemens Musikpreis abgeben. Denn mit Nikolaus Harnoncourt wurde in diesem Jahr kein Überfälliger ausgezeichnet.
Das aber rückte die Verleihung in diesem Jahr in besonderes Licht. Der Preis kam nicht einer bloßen
Verpflichtung nach, keinem Name-Dropping, mit dem man sich bequem schmücken kann, er setzte Zeichen. Das
aber sollte immer ein Aspekt des Ernst von Siemens Musikpreises sein. Denn mit Nikolaus Harnoncourt wurde ein
Musiker ausgezeichnet, der sich gegen den Trend heutiger Fast-Food-Kultur mit bescheidener Nachdrücklichkeit
wendet. Harnoncourt auszuzeichnen hieß, auf den Sinn und auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung
mit Musik nachdrücklich zu verweisen. Vor fast 50 Jahren, 1953, hatte er zusammen mit seiner Frau Alice
Hoffelner den Concentus Musicus Wien gegründet, also in grauer Vorzeit, als man scheinbar im
Musikalischen ganz andere Probleme hatte. Wir sehen doch, wohin die zweckhaft-logische Orientierung uns
führt zu Habgier, Herzlosigkeit, Materialismus, betonte Harnoncourt in seiner warmen, selbstlos
vom Geiste des Auftrags geprägten Dankesrede. Darauf zu verweisen, dass reine Kosten-Nutzen-Rechnungen
unsere Gesellschaft immer mehr in die Verarmung und sinnlich-geistige Verödung führen war immer Harnoncourts
Triebkraft. Denn ehrliche Musik kann aus solch berechnender Haltung heraus niemals gedeihen. Musik verlangt
anderes: Hingabe, Widmung, Genauigkeit des Suchens. Harnoncourt wollte nicht glauben und nicht wahrhaben, dass
etwa die Musik der Barockzeit sich in Wüsten heruntergespulter Belanglosigkeit verspielte. Das hieß
nichts weniger, als sich mit ihr auf ganz neue Art auseinander zu setzen: Und zwar ausgehend von der Art, wie
sie in ihrem damaligen Umfeld dargeboten wurde, lebendig wurde. Diese Lebendigkeit galt es zu reanimieren: Durch
Studium von Quellen, durch Rekonstruktion der historischen Klanglichkeit, durch einfühlende Näherung,
die von der Überzeugung getragen war, dass musikalische Sprache über die Zeiten hinweg wirkt, wenn
ein empfindsamer Musiker sich ihr nähert. Es entstand nichts weniger als die historische Aufführungspraxis.
Der gewaltige Schub, die vielen und unvorhersehbaren Innovationen, die sie einleitete, gaben Harnoncourt Recht.
Für ihn aber war die historische Aufführungspraxis nie Selbstzweck, schon gar nicht das Auffüllen
einer Marktlücke. Es war für ihn Methode, sich Musik mit der Würde und Ehrfurcht zu nähern,
die ihre Größe verdient. Abstrakt mag man solches leicht formulieren, aber es braucht Personen, die
sie mit Fleisch und Blut vertreten. Solche Personen verdienen eine Auszeichnung. Und wenn es eine der höchsten
ist, die das Musikleben vergibt, dann ist es umso besser.
(Reinhard Schulz)
Wiederentdeckung der Moderne
Dietrich Erdmann zum 85. Geburtstag
Im 20. Jahrhundert, Anfang der 20er-Jahre tauchte in der nordamerikanischen Belletristik erstmalig der Begriff
lost generation auf als literarisches Etikett für eine verlorene Generation, seelisch
und körperlich geprägt von den Erlebnissen im 1. Weltkrieg. Damals ahnte niemand, dass es schon 25
Jahre später weltweit eine neue lost generation geben würde Männer, die nach
der Katastrophe des 2. Weltkrieges nicht mehr ins zivile Leben zurückfanden oder nur unter belastenden
Qualen die subjektiven Empfindungen von grenzenloser Verlassenheit, von der Sinnlosigkeit ihres Daseins überwinden
konnten. Dietrich Erdmann, nach der Auswirkung des 2. Weltkrieges auf seine Entwicklung befragt, antwortet:
Diese Frage berührt das Leben einer Generation, genau gesagt, der Jahrgänge zwischen 1914 und
1924, die von dieser Katastrophe hart betroffen wurden. Von meinem Jahrgang (1917) wurden etwa 300.000 junge
Menschen eingezogen, von denen nur etwa 27.000 den Krieg überlebten. Ich möchte sagen: Wir waren eine
geschlagene, verlorene Generation. 1938 schloss Erdmann sein Studium mit der staatlichen Reifeprüfung
ab und wurde noch im gleichen Jahr Soldat. Während der nächsten sieben Jahre konnte das zusätzlich
angestrebte Kompositionsstudium nur ganz gelegentlich realisiert werden, als Dietrich Erdmann zweimal Studienurlaub
erhielt und bei Paul Höffer im Intensivstudium Kompositionsunterricht nahm. Dieses unter Kriegsbedingungen
ablaufende Studium hatte er schon als Gymnasiast vorbereitet, als er 1931 an der Neuköllner Volksmusikschule
Satzlehrekurse bei Paul Hindemith besuchte, 1932 bei Ernst Lothar von Knorr und 1933 bei Harald Genzmer Tonsatz
studierte. 1935 gehörte Erdmann zu den Gründungsmitgliedern des Arbeitskreises für Neue
Musik. Da wurden Kammerkonzerte mit Werken junger deutscher Komponisten veranstaltet, aber auch die von
den nationalsozialistischen Kulturbehörden als missliebig und unerwünscht diffamierten Komponisten,
zum Beispiel Hindemith, Bartók und Strawinsky kamen zur Aufführung. Gewiss war Dietrich Erdmanns
Leumundszeugnis bei den Nazis so schlecht wie das ihre bei ihm, denn sein Vater war als Sozialist und
früheres Vorstandsmitglied des verbotenen Deutschen Gewerkschaftsbundes am ersten Kriegstag 1939
aus seinem Haus heraus verhaftet worden. Nur 18 Tage später erhielt die Familie eine amtliche Mitteilung,
dass er im KZ Sachsenhausen verstorben sei.
In seinen Vorlesungen vermittelte Erdmann der neuen Studentengeneration eine Musik, die zwölf Jahre lang
verpönt und unterdrückt war. In Erdmanns Seminaren wurden die Werke Strawinskys, Bartoks, Aurics,
Poulencs, Milhauds, Honeggers und Hindemiths den solchen Klängen völlig entwöhnten Studenten
zu Gehör und damit oft erstmalig ins Bewusstsein gebracht. In den folgenden Jahren schrieb Erdmann für
die verschiedensten Besetzungen, vom Solostück über alle erdenklichen Instrumentalkombinationen bis
zum Orchesterwerk.
Um die Distanz zwischen Neuer Musik und dem Publikum zu mindern, beschritt Erdmann noch einen anderen Weg: er
rief 1963 das Studio Neue Musik für den VDMK ins Leben und gab 1972 den Anstoß zur Gründung
des Arbeitskreises für Kammermusik.
(Karl Heinz Wahren)
Zum Tod von Kurt Felgner
Wir müssen den Osnabrücker Kammerchor ganz besonders herausstellen, der zweifellos zu den besten
Chören dieser Art gehört Eine vollkommenere und reichere Darbietung, mit den einfachsten Mitteln,
lässt sich nicht denken... Eine überwältigende Chorgemeinschaft, die beste, die wir seit langem
gehört haben, so würdigten Schweizer Journale die Darbietungen des Osnabrücker Kammerchores
beim Schlusskonzert des 7. Weltkongresses der Jeunesses Musicales in Genf im Jahre 1951. Damit ist alles gesagt:
Für die damals junge Jeunesses war der Osnabrücker Kammerchor unter dem noch jungen Chorleiter ein
hervorragendes Aushängeschild, maßstabbildend in Klangkultur und Programmauswahl, von Orlando bis
Orff, Distler und Strawinsky. Die musikalische Potenz mit all den künstlerischen und erzieherischen Komponenten
nahm er mit aus den breit angelegten Studien in Berlin und an Instituten entlang der Rhein- und Ruhrschiene.
1950 unterzeichnete er mit das Gründungsprotokoll der deutschen Jeunesses Musicales, profilierte sie und
sich mit seinem Chor bei der ersten Festwoche in München und weiteren Ereignissen im In- und Ausland. Er
blieb ihr all die Jahre als künstlerischer Berater treu, auch als er bald danach an der Weilburger Hochschule,
an der Musikhochschule und am musikpädagogischen Institut der Universität Frankfurt neben der Leitung
angesehenster Vokalensembles sich musikpädagogischen Aufgaben zuzuwenden hatte. Mir ist unfassbar,
wie und wann ich das alles geleistet haben soll, die lehrenden, pädagogisch-wissenschaftlichen Aufgaben,
die permanente erstklassige Chorschulung, das künstlerische Konzertieren mit schwierigsten, von vielen
anderen Kollegen gemiedenen Repertoires, und schließlich die unvermeidlichen administrativen Verpflichtungen.
So resümierte er selbst sein Tun, als er 1980 in die Emeritierung gehen durfte. Die Jeunesses dankte ihm
seine Treue mit der Ehrenmitgliedschaft. Neunzigjährig ging vor kurzem sein langes und erfülltes Leben
zu Ende.
(Eckart Rohlfs)
Phono-Akademie Oliver Schulten wird neuer Geschäftsführer der Phono-Akademie. Er tritt zum 1. Juli ein und wird
zu Beginn des kommenden Jahres als alleiniger Geschäftsführer die Nachfolge von Werner Hay antreten.
Michael Jackson Millionen-Gewinnen der Plattenfirmen stehen oft geringe Gagen oder ausbeuterische Künstler-Verträge
gegenüber. Die Bewegung gegen Ungerechtigkeit im Musik-Geschäft hat einen prominenten Unterstützer
bekommen: den einflussreichen Pop-Star Michael Jackson. Illustre Namen finden sich auf der Mitglieder-Liste
des National Action Network (NAN) gegen Ausbeutung von Künstlern durch ihre Platten-Firmen: Vorsitzende
sind die Civil-Rights-Aktivisten Reverend Al Sharpton und Anwalt Johnnie Cochran. In einer Stellungnahme teilte
Jackson mit, dass die Plattenfirmen Künstler endlich mit Respekt, Anstand und finanzieller Gerechtigkeit
begegnen sollten. Er sei stolz, der Koalition beizutreten. Reverend Al Sharpton sagte auf einer
Pressekonferenz, dass viele Künstler durch miserable Verträge nach Jahren immer noch fast
mittellos seien, obwohl sie den Labeln Millionen einbrächten.
Preis für Schulte-Hillen
Deutsche Preisträgerin des internationalen Montblanc-Kulturpreises für Mäzene ist Irene Schulte-Hillen.
Die Jury würdigte damit Schulte-Hillen als Vorstandsvorsitzende der Deutschen Stiftung Musikleben und ihren
Einsatz für den von ihr gegründeten Deutschen Musikinstrumentenfonds. Weltweit ehrt Montblanc in zehn
Ländern Persönlichkeiten für ihren Einsatz um die Kunst. Jeder der Preisträger erhält
15.000 Euro. Die Preissumme wird einem Kulturprojekt gestiftet.
Neue Vorstände im DMV und GDM
Der Deutsche Musikverlegerverband (DMV) hat auf seiner Jahreshauptversammlung in Leipzig eine neue Präsidentin
gekürt: Dagmar Sikorski (unser Foto) von den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski wurde zur Nachfolgerin
von Peter Hanser-Strecker gewählt, der für das Amt nicht mehr kandidierte. Im Amt des Vizepräsidenten
wurde Karl-Heinz Klempnow bestätigt. Auch die Jahreshauptversammlung des Gesamtverbandes Deutscher Musikfachgeschäfte
(GDM) fand im Juni in Leipzig statt. Hier löste Wolfgang Jellinghaus, Inhaber des Dortmunder Geschäftes
Musik-Jellinghaus, Georg Kern im Amt des Präsidenten ab. In seiner Antrittsrede legte der neue Präsident
einen Schwerpunkt auf die Bedeutung, die dem Fach Musik in der Schule zukommt.