Geschichtet, verfremdet und als Echo wieder geboren
Das ZKM-Festival in Karlsruhe 2002: neue Herausforderungen an die Wahrnehmung
Am Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe geht eine Ära zu Ende. Der Leiter des
Instituts für Musik und Akustik, Johannes Goebel, folgt demnächst einem Ruf in die Vereinigten Staaten,
um den Aufbau des Experimental Media and Performing Arts Center am Polytechnic Institute in Renssela
(New York State) zu leiten. Goebels Weggang nahm man nun zum Anlass, die Arbeit am ZKM unter seiner Regie gewissermaßen
Revue passieren zu lassen: Bisher haben dort mehr als 80 Gastkünstler ihre Projekte im Bereich der experimentellen
Musik realisiert; einige davon waren jetzt im Rahmen eines dreitägigen Musikfestivals zu hören.
Johannes Goebel wollte diese Veranstaltung jedoch keinesfalls als Abschied verstanden wissen. Für ihn
ist Musik weder Rückblick noch Ausblick, sondern immer ein pures Gegenwartserlebnis, das im besten Falle
neue Herausforderungen an die menschliche Wahrnehmung stellt. Dies gilt eben gerade auch für die Produktionen
aus der Steckdose, bei denen man sich ohnehin nicht bequem auf ein Gefühlspolster zurücklehnen
kann, da die Klänge nicht emotional besetzt sind. Und so ist eigentlich alles erlaubt, was der Musik eine
neue Dimension hinzufügt: Die Elektronik soll idealerweise als Instrument, nicht als reines Glutamat (das
heißt als Geschmacksverstärker) verwendet werden. Zumindest ist das der offizielle Anspruch, den
Goebel an seine Gastkünstler stellt. Experimentiert wurde bislang viel am Institut für Musik und Akustik,
und die meisten Arbeiten sind im Bereich Kammermusik mit Live-Elektronik entstanden. Bei vielen Stücken
ist es aber beim reinen Klangexperiment geblieben, oftmals fehlt es an Architektur und Dramaturgie: Über
den Kompositionsbegriff an sich kann man demnach streiten.
Zwar hat beispielsweise Erik Ona für seine erstmals in Deutschland aufgeführten Euler-Sonaten
eine spezielle Signalverarbeitungsmethode entwickelt, die es ermöglicht, mit den einzelnen Bestandteilen
des Klangs in Echtzeit zu spielen. Allein der Begriff Sonate ist hier nicht angemessen. Onas Klangspielereien
lassen jeden- falls keinerlei formale Prinzipien erkennen, sondern es geht lediglich darum, die aktuelle Musik
durch einen Filter zu schicken, die den drei Celli ganz neuartige Klänge entlocken. Und um das Farbenspektrum
zusätzlich zu bereichern, sind die Instrumente auch noch mikrotonal gegeneinander verstimmt. Das Ganze
soll nun das faszinierende und ungewöhnliche persönliche Leben dieses großen Mathematikers
so der Anspruch laut Programmhefttext reflektieren.
Generell wird in den dargebotenen Stücken viel gefiltert, rhythmisch aufgezogen, geschichtet, verfremdet
oder einfach als Echo wiedergegeben.
Jörg Mainka ist einer der wenigen Klangkünstler, die wirklich im traditionellen Sinne komponieren.
In seinem Skalenwirbel (allerdings schon 1992 entstanden) setzt er den Computer tatsächlich
als zusätzliches Instrument ein, das mit dem Hauptinstrument dem Saxophon in einen regelrechten
Dialog tritt. Die Elektronik greift hier live gespielte Passagen auf, und das Repertoire des Computers kann
wiederum durch den Saxophonklang beeinflusst werden: So ergibt sich sogar während des Stücks noch
Raum für freie Improvisationen.
Einen eher kleinen Anteil machen dagegen reine Tonbandkompositionen aus. Da ist die Auftragslage hier zu Lande
nicht so groß; die Akzeptanz im Konzertsaal eher gering. Allerdings kann man diese Art von Musik ebenfalls
sehr wirkungsvoll in Szene setzen, auch wenn keine lebendigen Akteure auf der Bühne zu sehen sind, und
die räumlichen und dynamischen Möglichkeiten sind fast unbegrenzt.
Ludger Brümmer spielt in seinem Inferno der Stille für Achtkanal-Tonband mit historischem
Material: dem Introitus aus Mozarts Requiem. Zwar handelt es sich hierbei wieder eher um eine Collage als um
ein durchkomponiertes Stück höchst imposant ist allerdings, wie Brümmer mit den einzelnen
Geräuschpartikeln umgeht. Da werden zunächst Metallklänge geschichtet, bis sie eine ungeheure
Tiefenwirkung entwickeln, dann wie durch einen Sog mit großem Getöse emporgerissen, und plötzlich
scheint unter diesen dicht zusammengeballten Klangwolken das Original durch: Der Hörer erkennt auf einmal
vertraute harmonische Felder.
Dass die Elektronik den am ZKM produzierten Werken allerdings eine neue Dimension hinzufügt, gilt keineswegs
in allen Fällen. Heinrich Taubes Stücke für Diskklavier zum einen Impressionen einer längeren
Zugfahrt und zum anderen eine Fantasie über die amerikanische Volksweise Amazing Grace
kann man genauso gut auf einem normalen Konzertflügel spielen. Und bei Laurie Schwartz Performance
The shoes für eine zu hörbaren Tanzschritten deklamierende Sängerin (die sich lange
über die Sinnlichkeit der italienischen Kochkunst auslässt und dabei mit ihrem Alter Ego, ihrer eigenen
Stimme von CD, ständig kommuniziert) hängt die Wirkung im Wesentlichen von der Präsenz der Darstellerin
ab. Allerdings befriedigt das ZKM mit seinen interaktiven Klanginstallationen durchaus den Spieltrieb mancher
Computerfreaks. Dies gilt für die CD-ROM Small Fish bei der man als Benutzer mittels
Mausklick die projizierten Objekte auf der Leinwand nicht nur beliebig hin- und herbewegen, sondern sich dabei
auch noch seine ganz eigene Klangkomposition schaffen kann wie für die aufwändigere 3D-Produktion
Sonomorphis. Das Ganze beruht auf offenen Systemen im Bereich der Computertechnologie.