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nmz-archiv
nmz 2002/07-08 | Seite 15
51. Jahrgang | Aug./Sep.
Initiative
Konzerte für Kinder
Geteiltes Konzert ist doppelte Freude
Mozarts Gran Partita für junge und für ältere Zuhörer · Von Ernst
Klaus Schneider
Anlässlich des 51. Deutschen Mozartfestes gab es am 1. Juni 2002 in Bad Arolsen ein Mozartfest für
die ganze Familie mit einem vielfältigen, über den ganzen Tag verteilten Programm. Es war von
der Hochschule für Musik Detmold konzipiert worden und wurde von Studierenden der Instrumentalklassen,
der Opernschule, des Studienganges Schulmusik und des Pilotprojektes Musikvermittlung durchgeführt.
Das Consortium der Hochschule spielte ein Werk, das nach Ausbildungsaspekten gewählt und für ein normales
Konzert einstudiert worden war: Die Serenade für 12 Bläser und Kontrabass B-Dur KV 361 (370a), die
so genannte Gran Partita von Wolfgang Amadeus Mozart.
Konzertierte Aktionen, auch im Freien: Kinder beim Tanz mit selbst bemalten
Tüchern. Foto: Timo Kleinerüschkamp
In ihrer Gesamtlänge (ca. 50 Minuten), dem Charakter, der Dauer und dem Tempo einzelner Sätze entspricht
sie als Ganzes nicht dem Aufnahmevermögen von Kindern. Eine solche für die Planung komplizierte Ausgangssituation
ist für die Durchführung von Kinder- und Familienkonzerten eher die Regel als die Ausnahme. Schon
aus Kostengründen werden vielerorts für die jungen Zuhörer Musikstücke im Konzert angeboten,
die ohnehin im Repertoire des Orchesters sind. Für das Familienkonzert müssen aus dem Ganzen Sätze
ausgewählt werden, die Kinder ansprechen können. Die Musikstücke müssen dann so präsentiert
werden, dass die jungen Zuhörer eine lebendige Beziehung zu der Musik aufbauen können.
Für das Konzert im Mozartfest für die Familie wurde ein Konzept entwickelt, das über
die Durchführung eines Familienkonzertes hinausgeht und den Erwachsenen das Hören des ganzen Werkes
ermöglicht. Die Veranstaltung wurde in zwei Teile gegliedert:
Erster Teil: Familienkonzert für alle mit drei ausgewählten Sätzen (ca. 50 Minuten Gesamtdauer)
Zweiter Teil:
Musikwerkstatt Moz-Art für die Kinder, betreut von Studierenden, mit Tanzen zu dem Menuett
II von Mozart und der Gestaltung von Tüchern, die beim Tanz eingesetzt werden.
Zeitgleich das Konzert für die Erwachsenen mit der Aufführung der Gran Partita.
Am Schluss kommen die Kinder in den Konzertsaal zurück und führen vor, was sie in der Musikwerkstatt
erarbeitet haben. Das Ensemble begleitet die Kinder beim Tanz.
Vorüberlegungen
Welche Erfahrungsmöglichkeiten öffnen sich für Kinder bei den Menuetten und dem Finale aus
Mozarts Gran Partita?
in Bewegung kommen
Gewählt wurden drei Sätze der Serenade, die durchgehend von einem
tänzerischen Impuls getragen sind: Menuett I, Menuett II und Finale. Sie entsprechen in Länge, Tempo
und Ausdruckswechsel dem Rezeptionsvermögen von Kindern und eröffnen im Bewegungsimpuls Möglichkeiten
der aktiven Beteiligung. Hieraus ergibt sich ein Aspekt für die Moderation.
die eigene musikalische Welt ordnend aufbauen
Zugleich können Kinder und Eltern an den Sätzen der Serenade Grundlegendes zur Musik erfahren. Dafür
bringen alle viele Vorerfahrungen mit: Diese Musik bewegt sich unüberhörbar im Takt. Sie folgt musikalischen
Mustern und Ausdruckstypen, die in Tanz und Lied des 18. Jahrhunderts verankert sind und bis heute weithin die
Ordnung der musikalischen Welt mit bestimmen: Die vier- oder achttaktige Periodik, die Strukturierung des Zeitablaufs
durch Reihung und Wiederkehr von Abschnitten, das Öffnen und Schließen der Taktgruppen als Gestaltungsmuster.
Diese Ordnung wird in den Menuetten und dem Finale der Serenade durch den Wechsel im Klang, in der Dynamik,
in den Begleitformen, in der Bewegung, in der Agogik und bei der Instrumentenwahl zugleich akzentuiert und immer
neu gestaltet: Gleiches erscheint abwechslungsreich und voller Überraschungen in immer neuem Gewand. Daraus
ergibt sich ein zweiter Akzent für die Moderation: Kinder sollen das Spiel der Musik mit den Grundelementen
hörend mitspielen können.
sich eine ferne Zeit vergegenwärtigen
In den Menuetten ist eine Bewegungs- und Verhaltenskultur gefasst, deren Umbruch im 18. Jahrhundert durch
die Unterschiede der beiden Menuette gut nachvollziehbar ist. Die Art der Bewegung und des Miteinanders teilt
uns etwas von der Zeit vor über 200 Jahren mit. Kein Kind würde sich heute so bewegen, es sei denn,
es fühlte sich auf einer Bühne. Das Menuett I ist in Tempo und Ausdruck getragen von der Tanzkultur
festlich-höfischer Repräsentation; es spiegelt die Bodenwege der Tanzenden und lässt uns die
formalisierten Umgangsformen der Menschen damals spüren. Im lebhaften Tempo des Menuetts II dagegen kündigen
sich Ländler und Walzer als Zeichen einer neuen Bewegungs- und Körperkultur an. Die höfische
Prunkkleidung der Tanzenden gehörte zum höfischen Menuett so wie das die Bewegungsfreiheit ermöglichende
lockere (Bauern-)Kostüm zum Walzer. Die Moderation kann den Zuhörern einen Einblick geben in frühere
Lebensgewohnheiten und in den kulturellen Kontext der Musik. Sie kann vor Augen führen, was Tanzen ist.
Mozart als Kind und später als Erwachsenen beobachten
Mozart hat nicht nur viele Tänze zum Tanzen oder zum Zuhören komponiert. Er selbst liebte das Tanzen
und in Wien grassierte die Tanzwut. Es bestand beim Adel wie beim Bürgertum ein ungeheurer Bedarf an Kompositionen.
Mozart traf hier die besten Musiker, so auch den Klarinettisten Anton Stadler und begeisterte sich für
die Klarinette. In einzelnen Episoden kann Persönliches aus dem Leben Mozarts in den Blick kommen.
Szenen des Familienkonzerts
Aus den Vorüberlegungen wurde immer mit Blick auf die Erlebniswelt der Kinder ein Ablauf des Familienkonzerts
entwickelt, wobei das Thema stets mit neuen Ansichten eingekreist wird. Gelegentlich wurden scheinbar für
die Musik nebensächliche Details einbezogen, weil auch nebenbei bemerktes für Kinder Bedeutung erhalten
kann.
Szene 1: Hören im Konzert
Für alle war schon beim Betreten des Konzertsaales das Gemälde der Familie Mozart aus dem Jahre 1780/81
auf einer Bühnenleinwand groß sichtbar projiziert. Die Musiker traten wie in einem normalen Konzert
auf und spielten das Menuett I ohne Trios. Durch die Sitzordnung waren die Instrumentengruppen sichtbar und
hörbar gegenübergestellt.
Szene 2: Die fremde Alltagswelt von früher durch Vergleich mit der eigenen Alltagswelt entdecken
Nach der Begrüßung durch den Moderator wurden das Gemälde und dann der Kupferstich aus dem
Jahre 1764 (Mozart siebenjährig) genau betrachtet. Dies wurde verknüpft mit der Frage: Wie würdest
du deine Familie für ein Photo stellen? Von der eigenen Familiensituation der Kinder her kam die Familiensituation
Mozarts in den Blick: Die Rolle des Vaters und Bedeutung der Musik wurden erfasst. Es wurde erzählt, dass
Mozart nie zur Schule gegangen ist, keine Spielkameraden hatte und als Kind viele Jahre auf Reisen war. Straßenszenen
aus Wien, wie sie auch Mozart vor Augen gehabt hat, wurden mit Bildern aus dem 18. Jahrhundert gezeigt. Bei
jedem Schritt galt es, an die Erfahrungswelt der Kinder in konkreter Weise anzuknüpfen und Gemeinsamkeiten
zu stiften.
Szene 3: Wie funktionieren und klingen Klarinetten, Oboen und Fagotte? Wie klingen sie im Menuett I zusammen?
Mozarts Begegnung mit Stadler und seine Begeisterung für die Klarinette schlug sich nieder in vielen Kompositionen.
Dem Tutti des Menuetts I aus der Serenade stellt er im Trio I den Klang der Klarinetten und Bassetthörner
gegenüber, im Trio II übernehmen dann die Oboen und Fagotte die führende Rolle. Leitlinie für
die Erschließung des Menuetts I war die Beachtung der Instrumente. Mit selbstgebauten Blasinstrumenten
aus Bambusrohr und Plastikstück als Zunge wurde anschaulich und anhörlich das Prinzip der Tonerzeugung
auf der Klarinette erläutert und vorgeführt. Mehrere dieser Instrumente wurden im Publikum verteilt,
weitergegeben und erprobt. Große Heiterkeit über diese Klangerfahrungen. Dem wurde der wunderbare
Klang der Klarinette gegenübergestellt. Auf der Klarinette wurde die Melodie des Trios I gespielt, dann
mischte sich die zweite Klarinette ein, schließlich gesellten sich die beiden Bassetthörner hinzu.
Auf diese Weise war das Trio I allen im Saal vor Ohren.
Ein entsprechendes Vorgehen wurde bei der Vorstellung von Oboe und Fagott gewählt, um die Klänge
vergleichen und Unterschiede wahrnehmen zu können. Nachdem den Kindern eine Klangvorstellung der Bauteile
des Menuetts I vermittelt worden war, wurde der ganze Satz ohne Unterbrechung gespielt. Der Moderator hatte
kommentarlos fünf kleine Kästen (drei rote, ein gelber, ein blauer) in der Reihenfolge der Bauteile
auf die Bühnenkante gesetzt, eine Hilfe für das Hören.
Szene 4: Mit solcher Kleidung auf die Straße? Verkleidung eines Kindes
Nach einem kurzen Gespräch mit Kindern im Publikum, wie heute und damals ein Musiker sein Geld verdiente,
erzählte der Moderator von der Tanzbesessenheit der Wiener und zeigte Bilder von Tanzszenen: Alles erscheint
wohl geordnet; die Menschen zeigen sich in höfischer Kleidung der Zeit. Das Gemälde vom siebenjährigen
Mozart im höfischen Kostüm wurde groß projiziert: Welche Kleidungsstücke benötigen
wir, um ein Kind entsprechend dem Anzug von Mozart einzukleiden? Den Zurufen der Kinder entsprechende Requisiten
aus dem Theaterfundus lagen bereit. Der siebenjährige Leo wurde nun auf der Bühne von Kindern eingekleidet.
Aus Leo wurde ein anderer, ein kleiner Erwachsener. Ein Mensch, der zum Anziehen Diener brauchte, der sich nun
anders bewegen musste wie auf der Bühne. Aber damit auf der Straße spielen? Die Kleiderordnung
und Verhaltensformen einer fernen Zeit wurden anschaulich.
Szene 5: Verkörperung des Menuetts II durch einen Tanz. Was heißt tanzen?
Die Ordnung der Musik in ihrer regelmäßigen und zugleich abwechslungsreichen Periodisierung wurde
im Menuett klanglich und als Tanz von Grundschülern aus einer Arolser Schule vorgeführt. Diese Vorführung
war im Unterricht vorbereitet worden. Die Mitwirkung von Kindern im Konzert bewirkt, dass es im Saal besonders
still wird und Kinder wie Erwachsene konzentriert zuhören und beobachten.
Szene 6: Beim Finale sind alle mit von der Partie
Der Finalsatz ist ein Kehraus in Form eines Rondos mit zwei Couplets und Coda: Dasselbe klingt
in immer neuen Zusammenhängen, ein letztes Mal werden von Mozart die verschiedenen Instrumentenkombinationen
vorgestellt. Die klare Formung mit Wiederkehr des Refrains und kontrastierenden Couplets ermöglicht die
Gestaltung als Mitspielstück, bei dem das gesamte Publikum mitmusiziert: Für den Refrain wurde ein
Rhythmusmodell entwickelt, das von der Musik abgeleitet, aber zugleich auch eigenständig ist. Für
die Couplets wurden Bewegungen gefunden, die sich deutlich vom Rhythmusmodell unterscheiden. Die drei Elemente
wurden vom Moderator mit dem Publikum eingeübt. Dann wurde das gesamte Stück zum großen Vergnügen
aller musiziert.
Musikwerkstatt Moz-Art und das Konzert für die Erwachsenen
Während die Erwachsenen die Serenade B-Dur vollständig im Konzertsaal hörten, beschäftigten
sich die Kinder in Gruppen (bis zu 15) in zweifacher Weise: Sie tanzten zum einen das Menuett II in verkürzter
Form. Für die Gruppe der bis siebenjährigen Kinder wurden ganz freie Bewegungsformen gewählt,
für die übrigen ein Tanz mit vorgegebenen Bodenwegen. Zum anderen bemalten sie ein Tuch aus weißem
Seidentaft (30 mal 30 cm) mit Filzstiften. Dabei erwies es sich als günstig, die Bemalung einerseits freizustellen,
aber auch thematische Angebote zu machen: Wellen und Punkte Kreise und Linien Blumen. Insbesondere
die abstrakten Aufgaben führten zu farblich und gestalterisch schönen Tüchern. Die Tücher
wurden bei der Wiederaufnahme des Tanzes zur Verdeutlichung der Gestik eingesetzt. Zum Abschluss des Konzerts
kamen die Kinder in den Konzertsaal zurück und tanzten in den Gängen, vom Bläserensemble begleitet,
das eingeübte Menuett.
Informationen zum Studienangebot Musikvermittlung der Hochschule für Musik Detmold
Studienangebot Musikvermittlung
Die Musikhochschule Detmold hatte vor vier Jahren mit dem Pilotprojekt Musikvermittlung. Konzertpädagogik
eine Vorreiterrolle in der Ausbildung von Musikvermittlern in Konzerten übernommen. Für Musiker/-innen,
Musikpädagog/-innen und Musikwissenschaftler/-innen mit einem abgeschlossenen Studium wurde ein Studienangebot
entwickelt, das in Blockseminaren an Wochenenden organisiert ist. Es bereitet vor auf die Moderation und Konzeption
von Kinder- und Familienkonzerten, auf die Durchführung von Einführungen bei Abonnementkonzerten
und die Entwicklung pädagogischer Programme von Orchestern und Theatern.
An der Ausbildung beteiligt sind die Professoren Joachim Harder, Hermann Große-Jäger und Ernst
Klaus Schneider sowie Hochschullehrer/-innen aus den Bereichen Sprecherziehung/Moderationstraining, Regie,
Bühnenarbeit. Überdies werden Experten für verschiedene Aspekte des Berufsfeldes einbezogen,
die in diesen Feldern an herausgehobener Stelle außerhalb der Hochschule beruflich tätig sind.
Das viersemestrige Pilotprojekt Musikvermittlung. Konzertpädagogik, das alle zwei Jahre Studierende
aufnimmt, beginnt im Oktober 2002 nach zwei abgeschlossenen Durchgängen neu. Anmeldungen müssen
bis zum 15. September 2002 in der Hochschule vorliegen. Unterrichtsgebühren fallen nicht an. Ausführliche
Informationen: Hochschule für Musik Detmold, Neustadt 22, 32756 Detmold; Tel. 05231/97 57 70; www.hfm-detmold.de