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nmz-archiv
nmz 2002/07-08 | Seite 1
51. Jahrgang | Aug./Sep.
Leitartikel
Prüfen, wählen
Erbauend oder erquicklich ist unser Extra-Text-Paket kaum, das wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser als Urlaubslektüre
anbei zumuten. In Kooperation mit dem Deutschen Kulturrat veröffentlichen wir die Antworten der fünf
im Bundestag vertretenen Parteien auf 83 Fragen zu acht großen Themenkomplexen in Sachen Kulturpolitik.
Wir haben es uns verkniffen, die rein musikbezogenen Fragen herauszupicken. Kulturpolitik ist ein Netzwerk,
das alle Künste verbinden könnte, das sich zum Erfahrungsaustausch anböte, zum gemeinsamen Planen
und Handeln und leider noch immer viel zu wenig konsequent genutzt wird. Es dominiert als Horizont der
Tellerrand: Das Sparteninteresse, die kleinkarierte Besitzstandswahrung, der verbandliche Ego-Trip. Letztlich
behindern die Kulturschaffenden selbst oder die von ihnen gewählten Funktionäre eine
angemessene Präsenz ihrer Interessen in den Schaltzentralen gesellschaftspolitischer Entscheidungen.
Da verwundert es nicht, dass sich das Büro des Beauftragten für die Angelegenheiten der Kultur und
der Medien, kurz BKM genannt und derzeit von Staatsminister Julian Nida-Rümelin geleitet, im ohnehin aufgeschwemmten
Organismus unserer Staatsorgane ausnimmt wie eine Mischung aus Resthirn-Rinde, Blinddarm und Phantom-Schmerz.
Unterstützung durch seine Klientel findet dieses Amt wie gesagt kaum. An seiner eigentlich
nötigen Kompetenz zerren Außen-, Bildungs-, Finanz- und Familienministerium im Bund, vom Kanzler,
dem es direkt unterstellt ist, neuerdings ganz zu schweigen.
Andererseits starren unsere Landes-Kultusministerien mit dem Tunnelblick eines Drei-Promille-Chauffeurs auf
den Fetisch ihrer föderalen Kulturhoheit. Wer dran kratzt, wird beschossen, gebissen und gekippt.
Diese föderale Kulturhoheit mit all ihren Qualitäten und historischen Verdiensten scheint zu einer
Leerformel regionalen Machterhaltes verkommen. Sie wiegt grundgesetzlich offensichtlich schwerer als die mit
selbem Gesetzesgewicht zugesicherte Chancengleichheit für die Bürger unseres Landes. Anders lässt
sich das vorhandene Gefälle (zwei Schuljahre beispielsweise zwischen Bayern und Brandenburg) nicht erklären
und erst recht nicht die soeben ausgebrochene völlig kontraproduktive Propaganda-Olympiade zwischen
den Bundesländern in Sachen Bildungspolitik. Hier herrscht ein Reformbedarf, den die Länder augenscheinlich
zu leisten nicht mehr in der Lage sind. Hier ist kompetente und verantwortungsbewusste Bundespolitik gefragt.
Jedenfalls: Wer verändern will, muss wählen. Die Wahlprüfsteine geben wir den Politikern gern
mit auf den weiteren Weg als Baumaterial. Im Gebäude, liebe Leserinnen und Leser, werden Sie wohnen.
Prüfen Sie gut, auch mal zwischen den Zeilen.