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nmz-archiv
nmz 2002/07-08 | Seite 6
51. Jahrgang | Aug./Sep.
Musikwirtschaft
Applaus für ein Stück musikalischer Seele
Der autonome Komponist in der funktionellen Musik
Fahrstuhlmusik, Hintergrundmusik, Easy-Listening, Muzak oder Jingle... Eins ist all diesen Begriffen gemein:
Man bezeichnet sie als funktionelle Musik. Zu diesen Substantiven gesellen sich dann gerne noch
Attribute wie seicht, dahin plätschernd oder künstlerisch unselbstständig.
Die Musikwissenschaft geht aber noch weiter und ordnet auch Film- und Ballettmusik sowie jegliche Form von
Komposition, die nicht im Moment der Rezeption alleine sondern zum Bild oder während des Tanzens wahrgenommen
wird, dieser Gattung zu. Eine maßgebliche Stellung nehmen dabei die Erörterungen des Musikwissenschaftlers
Hans Heinrich Eggebrecht zur wie er sie nennt funktionalen Musik ein, die man im Archiv
der Musikwissenschaft aus dem Jahr 1973 Heft 1 findet.
Tatsächlich wurden und werden in der Musikwissenschaft Diskussionen darüber geführt, wie man
diese funktionelle Musik von der so genannten autonomen Musik abgrenzen kann. Diese
Abgrenzung wird nun meist dergestalt gezogen, dass autonome Musik um ihrer selbst Willen erschaffen und reproduziert
wird, somit also als artifiziell eigenständig und damit hochwertiger gilt, während funktionelle Musik
primär einem Zweck dient und deswegen zur nichtartifiziellen Musik gehört. Zum Beweis wird gerne angeführt,
dass sich autonome Musik sehr wohl als funktionelle Musik einsetzen lässt sofern ihr eigenständiger
Charakter beim Zuhörer den gewünschten Effekt hervorruft während sich eine funktionelle
Musik aber nie und nimmer zur autonomen Musik aufschwingen kann, da sie ja ohne ihre Funktion bedeutungslos
ist. Die Parallelen zur Diskussion um die E- und U-Musik sind nicht zu übersehen. Im Bereich der E-Musik
gibt es nebenbei noch eine wenn auch sehr viel wohlwollendere Unterscheidung in absolute Musik
und Programmmusik.
Die Gleichung autonome Musik = wertvolle Musik = hochrangiger als funktionelle Musik stimmt aber nicht und
hat noch nie gestimmt. Die Tafelmusik des Barock ist heute Konzertinhalt und Filmmusiken von Maurice Jarre,
John Williams oder Michael Nyman finden heute völlig losgelöst vom ursprünglichen Zweck Zuhörer,
die diese Kompositionen als eigenständige Werke genießen, ohne die dazugehörigen Filme je gesehen
zu haben. Ein Musiker wie Karl Jenkins, der einst mit der britischen Band Soft Machine mehr als
eigenständige Musik gemacht hat, ist heute kein bemitleidenswerter unartifizieller Komponist,
nur weil er mit seinem Ethno-Pop-Klassik-Projekt Adiemus riesigen Erfolg hat und diese Kombination
aus ethnischem Chorgesang, Schlagzeug- und Streichermusik bei uns erst durch die Verwendung im TV-Werbespot
der Delta Airlines richtig bekannt geworden ist. Letztlich scheint bei der Diskussion um autonome oder funktionelle
Musik eher ein Geist zu wehen, dem jegliche kreative Auftragsarbeit mit kommerziellem Hintergrund zunächst
äußerst suspekt ist.
Nun haben aber Händel und Mozart auch nicht nur von Luft und Liebe gelebt. Wie also soll man die Feuerwerksmusik
oder die Zauberflöte bewerten? Wie steht es mit den Weihnachtsliedern? Sind diese nicht durchaus funktionell?
Und was ist mit der gesamten Tanzmusik vom Walzer bis zum Swing, die größtenteils nicht für
E- sonden für U-Anlässe komponiert wurde?
Sicherlich gibt es sie, die Lart pour lart, aber nicht im Wortsinne als Kunst für
die Kunst, sondern immer nur als Kunst, die zunächst für den Künstler selbst da ist, als etwas,
das aus ihm fließt und zunächst nur seiner eigenen Wertschätzung unterliegt, bis er das Werk
einem Zuhörer zugänglich macht und damit der fremden Kritik aussetzt. Dann ist es Kunst für den
Betrachter oder für den Zuhörer. Dem gefällt es dann, oder nicht, er bezahlt dafür, oder
nicht, er nimmt es wahr oder nicht. Wenn sich der Komponist einem Auftrag stellt und sich damit in die Schranken
einer Funktion begibt, sei es nun eine Filmmusik- oder eine Jingleproduktion, so gilt doch in jedem
Fall: Immer ist die Idee, die für sich selbst musikalischen Bestand und Gehalt hat und dabei gleichzeitig
die Funktion, die Stimmung, das Markenattribut genau trifft, besser als der Einfall, der nur die Funktion bedient.
Dem einfallsreichen Künstler kann der gesamte Bereich der Auftragskomposition von der Ballettmusik
bis zum Produkt-bezogenen Audio-Logo viel Platz bieten, sich kreativ auszubreiten, so lange er keine
Angst hat, sich im abgesteckten Rahmen von Musikstil, Besetzung und Werklänge zu bewegen. Meistens findet
dann die Idee mehr Beifall, welche die Grenzen des Sujets ausleuchtet und damit mehr überrascht als die
dröge Mainstream-Komposition. Das ist hier nicht anders als im Bereich der so genannten autonomen Musik.
Gehalt zählt eben und macht sich bezahlt. Der Komponist selbst entscheidet, ob seine Musik autonom bleibt
oder ob sich ihr ein Zweck beiordnet. Natürlich gebührt jedem Komponisten größter Respekt,
der mit seiner Musik und nur damit, ohne jedes Beiwerk vor den Zuhörer tritt.
Und wohl dem, der erfahren hat, wie es ist, den Applaus für ein Stückchen seiner musikalischen Seele
entgegenzunehmen sei die Zuhörerschar auch noch so klein.
Das Wort Musik geht auf das griechische Wort musiké zurück, das ursprünglich
die Einheit von Dichtung, Musik und Tanz meinte. Die Musik fungiert somit immer als verbindendes Element, selbst
ohne Tanz und ohne Text: Sie stellt eine Verbindung zwischen Komponist und Zuhörer her. Darüber hinaus
kann sie viele Funktionen haben, etwa heilende, beruhigende, berieselnde et cetera.
Ob man dann die Hintergrundmusik im Hotel oder die Musik in der Telefonwarteschleife als akustische Umweltverschmutzung
oder als angenehmen Soundscape erfährt, hängt von der Umsetzung der Komposition mindestens genauso
stark ab wie von der Komposition selbst. Für Elise, von einem schlechten Soundchip in der Warteschleife
gedudelt, klingt nun mal immer scheußlich, selbst wenn es sich um eine autonome Musik handelt. Im Endeffekt
geht es also nicht um die Frage, ob Musik funktionell und deswegen weniger künstlerisch oder autonom und
deshalb artifiziell wertvoll ist, sondern darum, ob sie den Zuhörer anrührt oder langweilt.