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nmz-archiv
nmz 2002/07-08 | Seite 38
51. Jahrgang | Aug./Sep.
Jazz, Rock, Pop
Patriotische Gotteskinder versus quietschbunte Discoqueen
Pop-Diven im Live-Vergleich: Kylie Minogue und Destinys Child in Frankfurt am Main
Innerhalb von einer Woche waren im Juni in der Festhalle zu Frankfurt am Main zwei Diven-Acts der internationalen
Charts zu erleben: Destinys Child und Kylie Minogue. Die Konzerte sind natürlich groß, bunt
und perfekt. In Ästhetik und Aussage jedoch waren eklatante Unterschiede festzustellen.
Halten wir fest: Alle kommen sie gern per Hebebühne aus dem Bühnenuntergrund hochgefahren. Destinys
Child mit Donner, Blitz und Gloria, Kylie als Metropolis-Menschmaschine Maria Minogue mit
dem lächelnd implizierten Programm Hallo, ich bin ein Industrieprodukt. Eine von vielen ihrer
Rollen, wie sich im weiteren Verlauf herausstellt.
Destinys Child ziehen sich zwar beinahe genauso oft um wie die Disco-Queen aus Australien. Doch ihre
professionelle Show dient nicht einem Rollenspiel, sondern einer Verbildlichung der Künstlerinnen-Facetten.
Und da strebten sie nicht weniger an als eine Selbst-Definition über Gott und Vaterland.
Rechts. Mitte. Links. Selten wirkt das Prinzip der Dreifaltigkeit angemessener als beim Konzert von Destinys
Child. Ihr Trio-Dasein manifestiert sich als gottgegebene Symmetrie: Drei Videowände, drei Bühnenebenen,
drei Showtreppen. Damit jeder Schritt klappt, dafür gilt es Gott zu danken. Nicht nur im Gebet vor jedem
Konzert, sondern auch in dessen Verlauf, der sich streng an der Idee des Triptychons ausrichtet. Als Altarflügel
werden zwei Strecken mit den Powerhits aufgeklappt, aber im Zentrum, im Mittelteil, stehen die Balladen, songs,
that are important for us. Dazu zählt neben den obligatorischen Solos vor allem ein gemeinsamer Gospelsoul
voller überambitionierter Vocal-Koloraturen. Mit I Surrender, Amen endet er, mit der unmissverständlichen
Widmung Dedicated to our troops beginnt er.
Und beinahe hätte man es gar nicht gemerkt. Man fühlte sich, je nach Hit-Qualität, genügend
bis begeistert unterhalten. Man fühlte sich schon so unpolitisch o.k., wie der Destinys Child-Clan
aus Houston, Texas es immer für sich und seine Schützlinge behauptet hat. Doch an dieser Stelle wird
einem wieder bewusst, dass man es eben doch mit einem durchkalkulierten amerikanischen High-Class-Produkt zu
tun hat, das in raffinierter Weise die Kultur des Vaterlandes vereinnahmt, um dessen Stärke und Größe
zu feiern. Destinys Child brauchen dazu keine Flagge. Sie singen den Gospel einfach in der Art, in der
auch die Landes-Hymne in Stadien gesungen wird. Oder sie holen sich mit dem charakteristischen Gitarrensample
aus dem Rocky-Evergreen Eye of the Tiger für ihren Hit Bootilicious
dessen patriotischen Siegeswillen ins Boot. Und sie sichern das Ganze am Ende mit dem unwiderstehlich wuchtigen
Survivor ab.
Kylie Minogue singt am Ende Lalala Lalalalala Lalala, ihren Hit Cant Get You Out Of
My Head. War sie zu Beginn noch kühl, ist sie zwei Stunden später zum fröhlich hüpfenden
Girlie-Kylie gereift, eine erfrischende Verkehrung der üblichen Popstar-Entwicklung in Richtung Seriösität.
Rank und schlank in Miniröckchen, Top und Mieder? Die Show zeigt: Stimmt alles. Und Kylie Minogue zeigt,
dass sie weiß, dass alle wissen, dass das alles stimmt. Sie trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck Slim
Lady, sie räkelt sich im Moulin Rouge-Style auf einem Go-go-Podest, sie lässt perfekt
den Popo kreisen. Und dann lacht sie dabei mit ein wenig Stolz in den Mundwinkeln, weil es ihr Spaß macht,
es draufzuhaben, dieses Disco-Posing. Das ist das, was auf der Straße oder im Büro doof aussieht,
auf der Tanzfläche im Club aber der absolute und unverzichtbare Knaller ist. Das ist das, was fern und
gekünstelt bleibt und gleichzeitig für die Dauer einer Sternschnuppe nah und persönlich wirkt.
Wenn Kylie Deine Disco braucht dich ruft oder Welcome To The Club schnurrt, dann ist
allen der Moment des Glamours genug.
Minogues Seriösität besteht darin, dass sie mit ihrer Show nicht mehr ausformuliert als ihr Pop-Image
vorgibt. In einer prall choreografierten Buntheit und mit geringstem Balladenanteil zitiert sich ihre Revue
durch die Sounds, Outfits und Sujets des Dancefloor-orientierten Pop: HipHop, Techno, Gay-Disco und ein Donna-Summer-Tribut.
Nicht mehr und nicht weniger. Dabei bleibt es, und alle haben leidlich Spaß, solange es dauert. Und wenn
es vorbei ist, ist es auch gut.
Sicher, auch bei Destinys Child haben alle leidlich Spaß angesichts dieses ganz bestimmten wonnigen
Selbstbewusstseins, das die US-Kultur wie niemand anderes zu schaffen imstande ist. Aber wenn es vorbei ist,
ist es nicht mehr gut. Da hängt einem das religiöse Gedöns und der implizierte Patriotismus wie
bleiern am Leib. Die Luftballons, die von der Hallendecke trudeln, müssen nicht einmal die US-amerikanischen
Farben verteilen. Sie sind mit dem guten alten gelben Smiley-Emblem bedruckt. Doch selbst das wirkt am Ende
dieser Show nur wie das Zwinkern im Auge eines egozentrischen, anmaßenden Siegers.