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nmz-archiv
nmz 2002/07-08 | Seite 39
51. Jahrgang | Aug./Sep.
Jazz, Rock, Pop
Alternative, progressive Popkultur
Das Phänomen Remix zwischen Funktion und Persönlichkeit
Es hat sich mittlerweile zu einem formidablen Marketing-Instrument verselbstständigt. Remixe müssen
sein, irgendwie. Sie fördern die Präsenz der Stars, ohne dass diese wirklich mit neuem Material aufzuwarten
hätten. Die Produzenten und Tonstudio-Wizards werdens schon richten, und ein aufgepepptes Video wirds
verbreiten. Jennifer Lopez kann erst einmal wieder einen Film drehen oder sich um ihren Hintern kümmern,
während trotzdem ein, zwei neue Clips in der Rotation sind. Und Destinys Child können
ihre Tour vorbereiten, während aufgefrischte Versionen ihrer Hits durch die Charts geistern. Alles nur
Verkaufsförderung.
Moment mal. Selbst kulturmüde Fatalisten sehen mittlerweile ein, dass sich das Remix-Wesen wesentlich
facettenreicher darstellt. Selbst kulturmüde Fatalisten ziehen vor der Raffinesse den Hut, mit der so mancher
ohnehin einfallsreich gestrickte Hit von Destinys Child für das Album This Is The Remix
mit neuen musikalischen Aspekten redefiniert wird. Gerade bei scheinbar abgenudelten Songs wie Survivor
und Independent Women Part II weiß man hier vor lauter überbordender Musikalität
nicht, welcher Klangebene man zuerst lauschen möchte. Tatsächlich entpuppen sich diese Versionen als
Übererfüllung auf allen Ebenen der Remix-Tradition: Als kreative Aneignung des produzierenden Künstlers,
der das Original bereichert, wie auch in der Funktion als Euphorie-Ventil auf der Tanzfläche, wie sie im
Jamaika der 60er-Jahre und in den anglo-amerikanisch bestimmten Diskotheken in den 70ern installiert worden
war.
Im Verlaufe der letzten zehn Jahre hat sich das Primat des Remixes als Version für die Tanzfläche
abgeschwächt zugunsten eines Interesses an der Re-Definition eines Musikstückes. Mit der enormen Verbreitung
und Verfügbarkeit der technischen Produktionsmittel (das virtuelle Tonstudio als Computerprogramm ist längst
für alle erschwinglich) blüht das heimische Musizieren in ungeahntem Ausmaß. Mit Vorliebe wird
an bestehenden Musikstücken herumgefingert, gern stellen Stars wie Janet Jackson auf ihrer Homepage ein
paar Spuren zum Üben zur Verfügung.
Man muss ja nicht gleich soweit gehen wie die Internetfirma Epimusic. Die hat unter der Losung Wie kreativ
ist das Kollektiv? zu einem Remix-Wettbewerb eines Stückes aufgerufen, um mit der Anzahl von 1.000
Remixen einfach nur ins Guinnessbuch der Rekorde Einzug zu halten. Wesentlich interessierter an unentdeckten
musikalischen Qualitäten zeigt sich das belgische Elektro-Pop Duo Ming. Das stellte im Spätherbst
des vergangenen Jahres die Basis-Tracks einiger ihrer Songs auf die Internet-Seite einer deutschen Musikzeitschrift
und bat um Bearbeitung. Die Ergebnisse fanden sie und ihre kleine Plattenfirma in Dresden so spannend, dass
ihr Album Extérieur Remix gerade als Doppel-CD erschienen ist. Für CD 2 haben Ming ihre
sechs Lieblingsremixe aus jenem Wettbewerb ausgewählt. Bemerkenswert ist nicht unbedingt die Aktion selbst,
sondern die Sensibilität der Arbeiten, die ohne weiteres neben den offiziellen Remixen der
CD 1 bestehen, die von diversen Vertretern einer alternativen, progressiven Popkultur stammen, unter anderem
von Musikern der Band Kante, von Barbara Morgenstern oder Hans Platzgumer. Mings Lieder sind zugleich zart,
lieblich und abgründig, mal tanzbar, mal elegisch. Frédérique (die kleine Frau) und Nicolas
(der große Junge) sind Film-Fans, vor allem von Rainer Werner Fassbinder, und gerade ihre Hommage an ihn,
das Stück Liebe ist kälter als der Tod, offenbart hübsche Ansätze in diversen,
sensibel zerzupften Fassungen. Ming geht es, wie sie selbst im Interview sagen, mehr um Persönlichkeit
als um Funktionalität. Wir bevorzugen Arbeiten, die sich mit dem Sound, dem speziellen Ambiente oder
den Strukturen beschäftigen, anstelle von effizienter Musik, die ohne panache gemacht
ist, wie wir im Französischen sagen, also ohne Originalität und Risiko.
Remixe als seriöse Neubearbeitungen, über die traditionelle Funktion hinaus diesen Aspekt
betonen auffällig viele Projekte. Das Anliegen ist erfreulich und birgt neue musikalische Erfahrungen,
aber manche Ausführung überrascht auch durch Ödnis. So ist das Remix-Album Expander
der Berliner Band Mina schief gegangen, weil die zum Remixen geladenen Helden dieser Szene (Jim Avignon, Erobique,
der Kölner House-DJ Sinken und andere) zum großen Teil einfach nur den eigenen Sound über die
Tracks stülpen und damit auf Nummer sicher gehen, nämlich die üblichen Indietronic-
oder Indiedisco-Klischees bestätigen. Und plötzlich sind in diesem Rahmen wieder die Coverversionen
die besseren Beiträge. Wenn etwa der Berliner Schneider TM Minas Single Desktop als Guestpop
zum schnurrend-fingerschnippenden Barjazz verkehrt, hat er dem Prinzip des Personality-Remixes ein entwaffnendes
Schmunzeln abgerungen.
Apropos Jazz. Manchmal scheint hinter vermeintlich engagierten Projekten mehr Marketing-Interesse zu lauern
als in den Top Ten-Bereichen. Die Verve Remixed Doppel-CD macht sich mit ihrem Anspruch
festzustellen, wie stark die Verknüpfung zwischen traditionellem Jazz und heutiger Dance-Szene
ist (Presse-Info) schwer verdächtig, einfach nur ein weiteres Produkt für die vor sich hin schofelnden
Lounge-Clubs der urban Gelangweilten erzeugt zu haben. Versammelt doch die eine CD zwölf zum Teil ganz
hübsche, aber eben mehr oder weniger abgenudelte Originale aus den Jahren zwischen 1956 und 1968 (Willie
Bobo, Dinah Washington, Nina Simone, Astrud Gilberto usw.), um auf der anderen CD die Remixe genau jener Stücke
zu präsentieren. Da verschmoren dann die üblichen Soft-Dance-Verdächtigen wieder in ihrem eigenen
geschmackvollen Konsens-Saft, von Richard Dorfmeister bis De-Phazz, von MJ Cole bis UFO. Und auch
wenn diese Zusammenstellung, wie eigentlich jede, den rühmlichen Ausnahmetrack bereithält (hier: Trickys
Remix von Billie Holidays Strange Fruit), wäre damit bewiesen, dass Personality-Remixe nicht
immer für Innovation stehen, sondern manchmal als Name-Dropping einfach nur Werbung für leidlich funktionierende
Sounds machen.
Stefan Raulf
Destinys Child: This Is The Remix; Columbia/Sony
Ming: Extérieur Remix; Doxa Records/EFA
Mina: Expander; Bungalow/EFA
Verve Remixed; Verve/Universal