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nmz-archiv
nmz 2002/07-08 | Seite 20
51. Jahrgang | Aug./Sep.
Rezensionen
Lagrimose S-Klassik
Sade live in Concert, bei Sony auf DVD erschienen
Man fasst es kaum: Ein angeblich marodes Konzept lockt noch immer so viele Menschen vor die Bühne. Bei
den PR-Strategen mancher Klassik-Labels sorgt es für Katerstimmung, im Madison Square Garden wurde es 2001
in der Gestalt von Sade umjubelt: die Zeitlosigkeit allgemein-menschlicher Affekte.
Noch verwunderlicher wird die Sache, wenn man weiß, dass die englische Soul-Prinzessin der Musikwelt
zuvor acht Jahre lang abhanden gekommen war: Keine Songs, Interviews oder Konzerte. Nur ihrer Tochter widmete
sie sich, die PR-Maschinerie hatte sie ausgebrannt. Dann kam das neue Album und die Tournee, aus der Sony nun
das New-York-Konzert veröffentlicht: Madonna wechselte halbjährlich das Image, Sade trug noch immer
den selben Zopf wie auf den ersten Pressefotos vor 16 Jahren. Bei anderen Pop-Sternchen leisten Anonymus-Bands
Domestiken-Dienste; Sade spielt seit Jahrzehnten mit den gleichen Musikern, die sich im Madison Square Garden
in minutenlangen Jazz-Kaskaden austoben dürfen.
Nur die sanften Elegien, Offenbarungen aus dem beschädigten Leben, die haben sich verändert, sind
noch intensiver im Ausdruck. Zumal auf der Bühne gewinnen sie an Dichte und Dringlichkeit. Noch kräftiger
klingt Sades Mezzo in der Tiefe, in der Höhe aber runder, gleißender. Dennoch behält das Timbre
das herb-süße Lila eines reifen Port. Im zweistündigen Set mit Klassikern wie No Ordinary
Love, Smooth Operator und vielen Songs aus dem aktuellen Album Lovers Rock wird
die Diva von ihrer Rhythmusgruppe auf Händen getragen. Die Gitarristen gießen eine gehörige
Portion Benzin ins lagrimos lodernde Feuer.
Wohltuend ist auch, dass man sich keine hyperaktive Mega-Show antun muss. So ähnlich, fährt es einem
durch den Kopf, würden sich Sade und Band auch verhalten, wenn sie im eigenen Wohnzimmer jammten. Nie hat
man den Eindruck, dass ein Weltstar sich selbst feiert. Nur der nervöse Bildschnitt wird dem stilvollen
Anlass nicht immer gerecht. Ohnehin geht es primär um Aussage und Atmosphäre. Man hofft, dass es nicht
wieder acht Jahre dauert bis zur nächsten DVD.
Oliver Wazola
Sade:
Lovers Live; Backstage-Material, Foto-Galerie, Film Message to Sade, Video King of Sorrow;
Regie: Sophie Muller Sony DVD 201564 9 (116)